Travis: Fran Healy im Interview – „Immer gerate ich in brenzlige Situationen“
Zum 20. Jubiläum erscheint „The Invisible Band“ als Box-Set. Wir sprachen mit Travis-Sänger Fran Healy über das dritte Album, das noch größer hätte sein können, als es war.
In Kalifornien strahlt, wie sich in Berlin aus dem Zoom-Fenster am Rechner erkennen lässt, die Sonne von einem klaren blauen Himmel. Fran Healy hat sich vom Fahrersitz seines Autos heraus zugeschaltet, hat gerade seinen Sohn zur Schule gebracht. Nun steht er auf einem Parkplatz. Er krempelt seinen T-Shirt-Ärmel hoch, zeigt das Pflaster auf seiner Schulter. Jüngst hat er sich impfen lassen. „Ich war im CVS, der Supermarktkette. Habe mich nach einer Corona-Impfung erkundigt und sie gleich bekommen.“ Healy fragt sich, ob das in Deutschland bei den Apotheken (er verwendet das deutsche Wort, er hat mit seiner Familie jahrelang in Berlin gewohnt), wohl auch so schnell ginge. Wenn er doch nur wüsste, wie langsam die Impfungen hierzulande in Gang gekommen sind.
Mit „The Invisible Band“ erscheint nach „12 Memories“, „Good Feeling“, „The Boy With No Name“ und „The Man Who“ das vierte Travis-Album neu auf Vinyl – und als Boxset. Wir sprachen mit Fran Healy über das wichtige dritte Album, die Zusammenarbeit mit Nigel Godrich, Nine Eleven und Paul McCartney.
Ob in „Sing“, oder danach in „Re-Offender“ oder „Another Guy“: In den Videoclips geht es zwischen Ihnen und den Band-Kollegen oft zur Sache. Mal soft, wie bei einer Tortenschlacht, dann ruppig, wenn es zu einer Klopperei kommt. Warum rangelt ihr Vier immer miteinander?
Ich habe keine Ahnung! Ich messe dem aber auch keine tiefere Bedeutung zu. Bei der Eifersuchtsgeschichte im „Another Guy“-Video hatte ich nur den Text im Sinn. „Re-Offender“ basiert auf der Idee des Regisseurs Anton Corbijn. Ich glaube, er hat diese Rangelei deshalb inszenieren wollen, weil Travis das Image einer „netten Band“ hat. He wanted to fuck with that idea. Ein früherer Song wie „Writing To Reach You“ beschreibt eines meiner häufigeren Themen: die Reise des Helden. In „Why Does It Always Rain On Me?“ wurde ich in einen Kofferraum gesperrt. Irgendwas muss bei Video-Regisseuren seitdem hängen geblieben sein, dass sie mich immer wieder in brenzligen Situationen inszenieren. Aber seit meine Bandkollegen mich in diesen Kofferraum sperrten, sind mehr als 20 Jahre vergangen. Ich denke mal, dass wir inzwischen gute Freunde sind.
Das prächtige kalifornische Landhaus, in dem „Sing“ gedreht wurde – ist das der Schauplatz des rauschenden Fests von Guns N’Roses im „November Rain“-Video?
Ja, eine Villa in Pasadena. Mittlerweile lebe ich ja in Los Angeles, und ich fahre des öfteren durch Pasadena. Wie die Zeit vergeht.
„The Invisible Band“ wurde wie „The Man Who“ von Nigel Godrich produziert, der just zuvor mit Radiohead für „Kid A“ zusammenarbeitete und 2001 der Mann der Stunde war.
Nigel und ich sind beste Freunde. Ich lerne noch immer von ihm, jeden Tag! Zuletzt sprachen wir vor vier Tagen miteinander. Wenn ich ein Demo aufnehmen will und ihn anrufe – „Hey Nigel, ich brauche einen Effekt für die Vocals“ – dann weiß er Rat. Oder „Wir kriege ich es hin, dass sich der Bass besser in das Lied einfügt?“ – und er sagt sofort: „Drehe einfach das AAK ein bisschen runter.“ Ich weiß gar nicht, was das bedeutet! Damals, 2001, befanden sich Travis auf dem Höhepunkt, Nigel auch. Ich denke gerne an ein Foto zurück, das ihn und mich in jenem Jahr zeigt, vor 20 Jahren, in einem Café in Hampstead Heath. Wir waren Kids, wir waren Babies. Und ich denke: Wow, wir haben „The Invisible Band“ aufgenommen. Und er war es, der „The Bends“ schon mitproduziert, der „OK Computer“ produzierte. Aber um ehrlich zu sein, ich weiß oft gar nicht, was er genau da macht am Pult. Er schraubt einfach an Dingen, und dann klingen sie gut. Er ist der Beste. Was er macht, klingt wie Magie.
„The Invisible Band“ war Ihr erfolgreichstes Album. Sie sagten auch, es hätte noch erfolgreicher sein können, wäre es nicht kurz vor Nine Eleven erschienen.
Ja, aber das war mir damals noch nicht so bewusst. Die Terroranschläge in den USA haben die Welt verändert. Keiner wusste, was passieren würde. Das hallt bei uns auch bis heute nach, wenn wir ein Flugzeug besteigen. Die ersten Singles waren „Sing“ und „Side“, dann kam Nine Eleven. Das Momentum war nicht mehr da. Alle unsere Pläne zerstreuten sich. Unsere dritte Single war „Flowers In The Window“, aber zu dem Zeitpunkt waren einige von uns bereits erschöpft – ich nicht. Ich sagte, „Come On!“, weiter geht’s. Nach „Flowers In The Window“ kam unsere Maschine also zum Stillstand. Wir hatten noch drei Konzerte zu spielen, und dann brach sich Neil den Nacken …
… Ihr Schlagzeuger Neil Primrose brach sich 2002 bei einem Sprung in einen Swimming Pool den Nacken und wäre fast gestorben …
Es war eine harte Zeit. Bildlich gesprochen: Wenn man eine bestimmte Flughöhe erreicht hat, und dann setzen Probleme ein, dann ist es total egal, wie stark man körperlich gebaut ist. Dann reißt es Dir trotzdem das Fleisch vom Leib. Der Druck wird zu groß. Ich muss hier wieder auf Coldplay verweisen. Sie gehen mit dem Druck gut um, sie gingen auch nach Nine Eleven gut mit dem Druck um. Oder U2. Ich weiß nicht, welcher Klebstoff sie zusammenhält, aber sie implodieren nicht, und sie explodieren auch nicht. Und Travis, Coldplay oder U2 sind keine Solokünstler, sie sind eine Band aus jeweils vier Leuten. Das macht eigentlich eine viermal höhere Gefahr, dass jemand irgendwann nicht mehr kann. Wenn ich an 2001 zurückdenke, dann nicht mit Bedauern. Aber in gewisser Weise mit Vorsicht.
Für „Flowers In The Window“ arbeiteten Sie mit Paul McCartney zusammen …
Nein, tat ich nicht.
Nein? Das ist so aber in vielen Quellen dokumentiert. Ich dachte sogar Ihr Solo-Song „As It Comes“ erhielt deshalb den Titelzusatz „Bass: Paul McCartney“, weil er bei „Flowers In The Window“ keinen Credit erhielt.
Die „Flowers In The Window“-Kooperation ist ein Mythos. Als wir McCartney zum ersten Mal trafen, spielten wir ein wenig rum. Er saß am Klavier, ich hatte meine Gitarre zur Hand. Ich spielte ihm „Flowers In The Window“ vor – er hörte zu und konnte es aus dem Stand beenden. Ich sang den Refrain, und er wusste irgendwie, wie er verlaufen würde. Er sang mit. Journalistische Magie hat später aus „er sang mit“ eine Songwriting-Kooperation gemacht. Ich beschwere mich über die Deutung aber nicht. Wenn mich jemand auf das Lied anspricht, korrigiere ich ihn gerne. Ich liebe Paul, er ist brillant.