Travis – Berlin, Huxleys Neue Welt
Nach Jahren auf Achse haben die Schotten die Prioritäten neu gesetzt. Konzerte spielen sie entsprechend ausgeruht und mit Verve.
Keine Fanfaren, kein Einzug der Gladiatoren durch die Menge, plötzlich stehen die Jungs auf der Bühne, ganz unzeremoniell. Analog zur No-Nonsense-Attitüde des aktuellen Albums „Ode To J.Smith“, dessen Riff-Dichte und schroffe Breaks wie geschaffen scheinen für die Live-Bewältigung.
Und so wird mit „Chinese Blues“, dem Opening-Track der LP, einem hitzigen Dramarama aus brodelnden „Gimme-Shelter“-Licks und harten Piano-Anschlägen, gleich zu Beginn ein deutliches Zeichen gesetzt. J.Smith“ folgt mit launig quengelnden Gitarren und dem unter Travis-Fans durchaus umstrittenen, hier gesampelten „Crouch-End-Festival-Chor. Ein Touch Pomp, sagen die einen, a touch too much, meinen die anderen. Der danach ausbrechende Jubel legt den Verdacht nahe, dass die Mehrheit der knapp zweitausend Anwesenden ersterer Fraktion zuzurechnen ist.Überhaupt erweist sich die altehrwürdige Neue Welt als kongeniales Venue. Zumal zahllose Erinnerungen daran hängen. Kim Fowleys Skandalauftritt, Blackstreets HipHop-Randale, die sentimental aufgeladene Abschiedsvorstellung der Ramones mit dem grotesken Vorprogramm Rammstein.
In die traditionsreiche Neuköllner Halle hatte man wechseln müssen, weil das ursprünglich für den Travis-Gig gebuchte, nur halb so viele Zuschauer fassende Kesselhaus binnen Tagen ausverkauft war. Was einmal mehr beweist, dass Live-Attraktion und Plattenumsatz nicht unbedingt reziproke Größen sind. Ganz sicher nicht rar Travis, deren letzte beide Alben die in sie gesetzten Verkaufserwartungen nicht ganz erfüllen konnten.
Dessen ungeachtet sind die Schotten global erfolgreich unterwegs. In Argentinien etwa, wo sie riesige Arenen füllen, oder in Mexiko, wo sie von hunderten kreischender Fans schon am Flughafen empfangen werden. Hysterie dieses Ausmaßes ist dem Berliner fremd. Er signalisiert seine Freude über Bühnendarbietungen durch Johlen und Applaus. Womit freilich nicht gehaushaltet wird an diesem Abend, schon gar nicht, wenn die Hits angestimmt werden, „Side“ und „Sing“, „Driftwood“ und „Writing To Reach You“, dramaturgisch verteilt über das 21 Songs starke Set. Dazwischen kommt das Material des letzten Albums zur Geltung, „Something Anything“ und „Long Way Down“ im Tandem wie auf Platte, das nicht nur melodisch wunderhübsche „Before You Were Young“ und natürlich die neue Single „Song To Seif, in der extended Version der 45.
Deren Rückseite „Bailad Of J.Smith“ zwei Tage zuvor in Köln Livc-Ehren erfuhr, wo „Blue Flashing Light“ und „Beautiful Occupation“ die Show eröffneten und mit „AU I Want To Do Is Rock“ jener Kracher noch mal zur Aufführung kam, mit dem vor gut zwölf Jahren alles begonnen hatte. Heute haben Travis ein paar andere B-Seiten ausgegraben. Dougies „Ring Out The Bell“, mit dem Bassisten an Mikro und Gitarre, der Bass bei Fran so tiefgehängt, dass dieser schäkert, er fühle sich wie Nicky Wire. Und „Village Man“, ein brillantes Stück Bolan-Bop, das T.Rex einst die Charts hochgejagt hätten, so zwischen Jeepster“ und „Telegram Sam“. Die Mädchen vorne in der ersten Reihe singen auch diese weniger berühmten Songs textsicher mit, „Closer“ sowieso und „Flowers In The Window“, das superbe, leicht sinistre „Re-Offender“ und das hymnische „Turn“. Fran Healy, der seit einem knappen Jahr in Berlin lebt, bedankt sich artig „for making me feel at home“, verzichtet indes wohlweislich auf anbiedernde Floskeln. Wie der Agitations- und Animationsanteil generell abgenommen hat seit der letzten Tour. Für „Falling Down“ gönnt sich Fran noch ein Bad in der Menge, und der Kollektiv-Pogo zu „Why Does It Always Rain On Me?“ ist inzwischen liebgewonnenes Ritual, aber ansonsten hält sich der Sänger merklich zurück mit Anekdoten und menschelnden Ansagen. „In Scotland we call this a jig“. kündigt er karg „Selfish Jean“ an. oft sagt er gar nichts zwischen den Songs, was die Schlagzahl der Show erhöht und ein Mehr an Musik bringt, rein netto. An Andys konvulsiver Körpersprache hat sich kaum etwas geändert, er springt und taumelt und wälzt sich so selbstverloren wie eh, Neils Beat bleibt verlässlich, und der langjährige Keyboarder Claes Bjorklund aus Stockholm spielt erfreulicherweise zurückhaltender als zuletzt, weniger flächig.
Nach den vielen strapaziösen Jahren auf Achse, nur kurz unterbrochen für kreative Pausen, haben Travis, nun nicht mehr unter ständigem Druck einer Plattenfirma, ihre Prioritäten neu gesetzt. Mehr Zeit für die Familien, das Songschreiben, die Kunst. Und mithin weniger Zeit im Laufrad des Konzertbetriebs. Man nutze sie also, die selteneren Gelegenheiten.