Trau dich doch!
S LIEGT EINE STILLE auf der Musik von Sumie Nagano, die man kaum erklären kann. Die Songschreiberin aus Schweden braucht nur ihre Stimme und eine vorsichtig gezupfte Gitarre, um riesig weite Räume zu schaffen, die sich hinter den minimalistischen Arrangements öffnen. Manchmal geistern zusätzliche Stimmen, ein Klavier oder eine Geige durch diese Räume, doch zumeist sind da nur die meditativ gespielte Gitarre und Naganos gleichzeitig schwerelose und feste Stimme. Denn Nagano zerfließt nicht in ihrer Musik wie etwa die Kolleginnen Marissa Nadler und Hope Sandoval -die Lieder auf dem Debütalbum „Sumie“ bekommen ihre Faszination durch die elegante Ökonomie und Klarheit, mit der sie gespielt werden. Dazu erreicht „Sumie“ eine angesichts der wenigen Mittel erstaunliche emotionale Bandbreite zwischen traumverhangener Schönheit und einem irgendwie unguten Gefühl, das sich regelmäßig einmischt.
„Das Album ist ein Schnappschuss“, erklärt sie, „diese Songs sind sehr persönlich, fast wie ein Tagebuch der Zeit, in der sie entstanden.“ In diesem Tagebuch gehe es durchaus um einige schwere Jahre, sagt Nagano, möchte die Details aber lieber für sich behalten. Entsprechend ist ihre Poesie zu metaphorisch für eine lineare Lesart; sie muss vom Zuhörer selbst gedeutet werden.
Eigentlich wollte Nagano nicht ins Rampenlicht. Vor drei Jahren begann die Tochter eines Japaners und einer Schwedin daheim in Göteborg ihre Lieder aufzunehmen und auf das damals bei Musikern beliebte Myspace-Portal zu stellen. Außer der Musik gab die Künstlerin dort nichts von sich preis, doch der Postordner war bald voll mit Anfragen von Musikern, Bookern und anderen Leuten aus der Musikbranche. Es ergab sich ein vorsichtiger Kontakt zu dem US-amerikanischen Wahlberliner Dustin O’Halloran, der einst mit Sara Lov bei den Devics spielte und als Filmmusikkomponist für Sofia Coppola arbeitete. O’Halloran machte Nagano mit dem Berliner Produzenten Nils Frahm bekannt, wenig später kam mit Bella-Union-Labelchef Simon Raymonde (der seinerzeit die Devics unter Vertrag hatte) auch ein Partner fürs Geschäftliche dazu. „Ich hatte Simon regelmäßig Musik von mir geschickt“, erzählt Sumie. „Zunächst fand er wohl, ich sei noch nicht so weit, aber als wir das Album aufgenommen hatten, wollte er es unbedingt veröffentlichen.“ Dass Nagano ein solches Team um sich bilden konnte, empfindet sie als großes Glück. „Ich hatte bis dahin nie die richtigen Musiker gefunden. Deshalb habe ich ja irgendwann angefangen, mir auf Biegen und Brechen Gitarrespielen beizubringen! Dass ich Dustin und Nils kennengelernt habe, ist fabelhaft. Ich vertraue ihnen voll.“
„Sumie“ entstand in Frahms Berliner Tonstudio, wo Nagano an nur zwei Tagen ihre Songs aufnahm. In den folgenden eineinhalb Jahren war sie sich nicht sicher: Sollen noch mehr Instrumente dazu oder ist es gut, wie es ist?“Ich bin jetzt froh, dass wir die Aufnahmen sehr puristisch gelassen haben -aber ich habe eine Zeitlang gebraucht, bis ich mich getraut habe.“
Zeit brauchen, das ist hier ein Thema. Die heute 39-jährige Nagano zielte zunächst auf ein Leben als Tänzerin, bis sie später zu singen begann, doch ohne große Ambitionen. „Ich habe mich nicht besonders ernst genommen“, erklärt sie, „es hat lange gedauert, bis ich bestimmte Ängste und Unsicherheiten überwinden konnte. Ich empfinde es als Segen, dass ich jetzt viele von den Dingen machen kann, von denen ich immer geträumt habe – ich glaube, dass ich mit 25 nicht dazu in der Lage gewesen wäre.“
Auf dem Cover ihres Albums zerfließt die Künstlerin in ein Geflecht aus Blumen und Schmetterlingen – einer giftigen, in Japan vorkommenden Art, wie Nagano erklärt. Zudem ist im Bild eine lange Treppe zu sehen, die zu einer dunklen Tür führt. Das Bild hat ihr Vater gemacht, ein Maler und Illustrator. Sehr viel Schönheit, aber auch ein bisschen Dunkelheit und Gefahr: eine gute Beschreibung für Sumie Nagano? „Es ist jedenfalls die Beschreibung meines Vaters“, lächelt sie und will sich lieber nicht selbst beschreiben. Akzeptieren wir.