Trachten, Schlick und Krautrock: Der sanfte Boom der Craft-Festivals
Craft-Festivals wollen den Lärm der Welt und vor allem den großen Zirkus der üblichen Musik-Events hinter sich lassen. Das Stereowald ist ein gutes Beispiel dafür. ROLLING-STONE-Redakteur Ralf Niemczyk hat es besucht.
Ein gültiger Fachbegriff hat sich noch nicht durchgesetzt; für all die kleinen, selbst organisierten, Großsponsoren-freien Festivals. Kein Rockzirkus mit gepanzerten Megabühnen, sondern Liebe zum Detail. Wir schlagen „Craft Festival“ vor – in Abgrenzung zu den traditionellen „Umsonst-und-Draußen“-Formaten, die schon seit den späten Siebzigern auf Anti-Kommerz-Kurs segeln. Schließlich ist gepflegtes Essen und Trinken, mit den Mode-Erscheinungen Craft Beer sowie Slow & Regional Food, ein wichtiges Element. Mit dem „A Summer’s Tale“ hat die Hamburger Agentur FKP Scorpio diese Strömung erstmals im größeren Rahmen aufgegriffen. Ansonsten läuft in dieser Liga die Provinz zu großer Form auf.
Atmosphäre ist der Star
Etwa im „Stereowald“ am Grubet, einem grünen Hügel am Rande von Aichach (Autokennzeichen: AIC), was wiederum in der Greater Augsburg Area liegt. Bayrisch-Schwaben also. Am Freitagnachmittag wird der Besucher vor dem Eingang von einem Pferdegespann und einem antiken Motorrad mit Beiwagen empfangen, von denen aus fröhlich Freibier gereicht wird. Drinnen ist das Naturfreunde-Vereinsheim der Backstage-Bereich und die jungbewegte Trachtenkapelle Pipinsrieder Musikanten spielt flotte Traditionals.
Dazu passen natürlich die Oberammergauer Blasmusik-Krautrocker Kofelgschroa, die gegen Vier den zweitägigen Bühnenparcours eröffnen. Die Veranstalter erzählen, dass es eher Zufall sei, dass man heuer nur deutsche und österreichische Bands gebucht habe. „Allerdings konnten und wollten wir uns beim großen Festival-Gagen-Gezocke nicht beteiligen. The Notwist waren schon teuer genug.“ So wird die Drumherum-Atmosphäre zum eigentlichen Star. Die regionalen Britpopper Tonair oder das MC-Duo Dicht & Ergreifend bekommen warmen Applaus, während hinten im Eck die Bude mit „Bayrisch Döner“ brummt.
Wohlfühl-Faktor für Musiker
Headliner am ersten Abend sind Wanda aus Wien, die im Vorfeld ihres zweiten Albums „Bussi“ eine sommerliche Live-Ochsentour abreißen. Recht fit geblieben vom Kilometerfressen zwischen „Watt’n’Schlick“ im Norden und Frauenstein am Inn sorgen sie für alle volle Breitseite zwischen Pubrock und Adriano Celentano. Sänger Marco badet mit gewohnt offenem Hemd in der Menge, und ja, die Aussage des „Stereowald“-Teams, dass sich die Künstler auf „solchen“ Festivals besonders wohl fühlen, wird mit Nachdruck bestätigt. Eine kraftvolle Show mit endlosem Beifall über die Stoppelfelder hinweg. Am Ende hieß es „Keine Bierleichen. Keine Schlägereien!“ Und The Notwist zeigten am Samstag eindrucksvoll, dass sie nicht nur vor Großstadt-Kunststudenten glänzen können.