Tougher als der Rest
Nach ein paar exzessiven Jahren haben ASH eingesehen, dass es Schlimmeres gibt als frühen Erfolg. Jetzt wollen die Nordiren die Welt noch einmal erobern
Wenn einem mit 19 eine glorreiche Zukunft prophezeit wird und man mit 22 schon das Gefühl hat, diese hinter sich zu haben, dann muss etwas passieren. Tim Wheeler, der Sänger von Ash, ist kein theatralischer Typ. Er verzichtete auf eine strenge Entziehungskur und erspart einem auch Geschichten von Rückzug, Neuorientierung und „sich selbst wieder finden“. Er stellt nur lakonisch fest: „Manchmal denke ich, es wäre gesünder gewesen, wenn wir später bekannt geworden wären. Aber hey, es gibt doch schlimmere Dinge als zu frühen Erfolg!“
Also machte Wheeler in den vergangenen zwei Jahren einfach weiterhin Musik, aber mit einem anderen Ziel: „Ich wollte fröhlichere Songs schreiben. Mit der Prämisse, dachte ich, werde ich selbst auch gleich optimistischer. Und so war es.“ Das Ergebnis heißt „Free All Angels“ und ist das dritte Album des Songwriters mit seinen Freunden.
Es gibt natürlich immer noch Tage, an denen sich Tim Wheeler viel älter als 24 vorkommt. Dann schaut er zur Vergewisserung zweimal auf das Ash-Debüt von ’96. Es hieß “ 1977″ nach seinem Geburtsjahr – und erstaunte nicht nur Großbritannien mit seinen Rocksongs, die catchy und poppig waren, aber auch schon andeuteten, dass Ash es faustdick hinter den Ohren haben. Ein wüstes, nicht gerade eingängiges Album später klingen die Nordiren wieder ähnlich inspiriert, aber musikalisch noch viel reifer. Eines hatte der relative Misserfolg des Zweitlings JVu-Clear Sounds“ immerhin bewirkt: Den Erwartungsdruck waren Ash erst einmal los – nicht viele hätten darauf gewettet, dass von dieser Band noch einmal ein umwerfendes Album kommt. Angeschmiert! Wer noch das Video zu „Numbskull“ im Kopf hat, in dem Wheeler nicht nur nackt zu sehen ist, sondern vor allem kaputt, wird sich wundern, wie aufgeräumt „Free All Angels“ klingt. „Sex, Drugs and Rock macht schon Spaß“, erinnert sich Wheeler, aber: ,Jeden Morgen mit Kopfschmerzen aufzuwachen und nicht mehr zu wissen, wo man ist, mit wem und warum – das bringt’s auf die Dauer nicht. Unsere Eltern machten sich auch schon Sorgen. Außerdem litt die Musik unter dem Lebensstil.“ Der letzte Song auf dem neuen Album heißt nicht umsonst „World Domination“. Ash geben sich kämpferisch: „Wir wollen jetzt den Mainstream zurückerobern.“ Die UK-Charts, stellt Gitarristin Charlotte Hatherley fest, sind „Schrott“, und es könne ja wohl nicht sein, dass die Leute keinen vernünftigen Rock mehr hören wollten, sondern nur noch „all die leisen Bands“. Vor einigen Wochen machten Ash von sich reden, weil sie 300 Westlife-CDs verbrannten – eine plakative Aktion, auch etwas albern natürlich. Aber Tim Wheeler hielt es für dringend nötig, ein Statement abzuliefern: „Diese Nation ist in einem traurigen Zustand, wenn fünf untalentierte Nichtskönner mehr Nummer-1-Hits haben als die Beatles. Sie haben keinerlei Integrität. Diese Boybands kotzen mich tierisch an.“ Dass sich einige Mädchen auch von ihm ganz gerne Poster übers Bett hängen, „dafür kann ich nichts. Soll ich mir deshalb ein Ätzfrisur wie der Typ von Toploader wachsen lassen?“
Um etwas Abstand von Großbritannien zu haben, nahmen Ash den Großteil von „Free All Angels“ in Marbella auf. Auch ein Grund für die positiveren Titel wie „Walking Barefoot“ und „Shining Light“? „Klar. Es war cool, in der schicken Umgebung zu sitzen, Wein zu trinken und zu sonnen.“ Ash haben gelernt, es sich gutgehenzulassen.