Tori Amos – Interview
Wenn man mit Tön Amos sprechen will, muss man einen weiten Weg auf sich nehmen. Die Songschreiberin wohnt seit einigen Jahren in Cornwall am südwestlichen Ende Englands, und entfernt sich neuerdings nur ungern aus dem "eigenen Nest" mit Tochter Tash. "Dies ist die Herzensheimat meines Ehemanns, und ich fühle mich inzwischen sehr wohl hier, sehr geschützt."
Dein neues Album, „Scarlet’s Walk“ (VÖ: 14.10.), ist eine Reise durch Amerika. Wie nahe fühlst du dich deiner Heimat überhaupt noch?
Amerika ist meine Mutter – oder doch eher eine Tante, denn meine Mutter ist die Erde. Amerika ist meine Seele, und das hat nichts damit zu tun, wie sie sich politisch zurzeit benimmt. Es geht ja um mehr – um die Indianer und die Geschichte und die Tatsache, dass es eine andere Welt gibt als die, über die man in der Zeitung liest. Es gibt noch Mitgefühl und Leidenschaft und ein ganz tiefes Bedürfnis nach Spiritualität, das weder von Erfolg noch von Allmachtsgefiihlen noch von Überfluss gestillt wird. Die Menschen verhungern an dem Überfluss.
Wo hast du all die Geschichten aufgesammelt?
Ich toure so viel durch Amerika, und durch diese Roadtrips sehe ich so viel. Ich war in New York, als die Twin Towers zusammenbrachen, und da musste ich entscheiden, ob ich die Tour absage. Ich hab’s nicht getan, weil die Leute Ablenkung, Zuneigung brauchten. Zumindest die, die kommen wollten.
Hat sich deine Weltsicht verändert seit dem 11. September 2001?
Es ist eine beängstigende Zeit. Als Mutter sieht man die beiden Seiten der Medaille. Einerseits: Was wird in 20 Jahren übrig sein? Ich kann nicht akzeptieren, dass meine Tochter keine glückliche Zukunft haben wird, weil wir fälsche Entscheidungen treffen. Alle Seiten müssen sich jetzt mal an den Tisch setzen. Nichts löst sich durch Gewalt egaL völlig egal, woher sie kommt. Andererseits: Wenn jemand, den man liebt, weggeblasen wird, ist es sehr schwer, Verständnis für die „andere Seite“ zu haben. Zurzeit gibt es nur Opfer. Ich weiß, dass ich mich sofort jedem Terroristen, der meine Tochter angreifen will, in den Weg stellen würde. Ich würde ihn ohne Skrupel umbringen, ihm die Kehle rausreißen – und Salz auf meine Zunge streuen, damit das Blut ein bisschen besser schmeckt Punkt Ende der Geschichte.
Und wie schätzt du die Chancen für eine gewaltfreie Lösung ein? Hast du Hoffnung?
Ich glaube nicht, dass alles mit einem bang zu Ende geht. Aber es macht mir Angst, wie sehr zurzeit nach Feinden gesucht wird und wie man sich wieder isoliert. Wenn das noch schlimmer wird, gibt es irgendwann gar kein Mitgefühl mehr oder Visionen, sondern nur noch Ignoranz und Mittelmäßigkeit.
In „Amber Waves“ geht es um die Tragik einer Frau, deren Träume in L.A. scheitern. Eine wahre Geschichte?
In Los Angeles findest du so viele Geschichten. Vor allem siehst du, wo all die Filme herkommen – und wie das Schachspiel funktioniert. Amber Waves gehört dazu – ob sie Amerika symbolisiert oder eine Frau ist, entscheidet jeder für sich. Es gibt eben diese Hymne, in der „amber waves of grain“ vorkommen – und dann gibt es den Pornostar in „Boogie Nights“. Sie stellt irgendwann fest, dass sie sich selbst schätzen lernen muss. In L.A. werden eigenwillige Persönlichkeiten nicht geschätzt. Zu viele sind genormt.
Du greifst Oliver Stone direkt an – in dem Lied heißt es, er habe eine Ohrfeige verdient. Was wird er dazu sagen?
Er hat entweder Humor oder eben doch nicht. Er repräsentiert nun mal gewisse Dinge. Außerdem wollte er damals mein Lied „Me And A Gun“ für seinen Film „Natural Born Killers„, und er hatte viele Argumente, die ich am Ende aber doch nicht annehmen konnte. Ich habe eben dieses Problem mit Hollywood-Regisseuren, die Gott spielen wollen. Das mag ich auch bei Pfarrern, Präsidenten und anderen nicht. Ich musste darauf einfach antworten. Jetzt treffe ich Oliver dauernd zufallig, in Flugzeugen und so. Seltsam. Wir sind so unterschiedliche Wege gegangen, und doch überschneiden sie sich immer wieder.
Gibt es Menschen, über die du nicht schreiben kannst – oder dich nicht traust?
Das kann vorkommen. Wenn es zu schmerzhaft ist. Manchmal wartet man lieber, bis Leute sterben.