Tom Jones: „Ruhm bringt das Schlechte im Menschen hervor – ein bisschen wie Alkohol“
Der Sänger, den sie „Tiger“ nannten, über Lügen und Wahrheiten, alte Affären und neue Erkenntnisse.
Tom Jones rehabilitiert sich gerade selbst. 2010 hörte er auf, in Las Vegas zu singen, um sich wieder mehr der Musik zu widmen, weniger dem Showbusiness. Dann ließ er das Haarefärben sein. Nun hat der 75-Jährige mit „Long Lost Suitcase“ den letzten Teil einer Albumtrilogie veröffentlicht, in der er Lieder singt, die ihn inspirieren – von Willie Nelson und den Stones bis zu den Milk Carton Kids. Seine Autobiografie, „Over The Top And Back“, erzählt den Rest. Der Waliser redet gern und viel, oft von kehligem Lachen unterbrochen. Er hat aber auch ein paar ernstere Anliegen.
Ihre Karriere begann 1965 mit ein paar Lügen: Ihre Plattenfirma behauptete, Sie wären 22, ehemaliger Bergarbeiter und Single.
Dabei war ich nie in einer Kohlengrube, mit 25 längst verheiratet und hatte einen achtjährigen Sohn. Man hat mich falsch dargestellt – und neulich ist mir etwas ähnliches wieder passiert. Ich habe zur „Sunday Times“ gesagt, dass meine Frau meist zu Hause bleibt, weil sie an einem Lungenemphysem leidet. Sie hat die Öffentlichkeit immer gescheut, Menschenmengen machen sie nervös. Heute kommt hinzu, dass sie sich selbst nicht mehr so hübsch findet. So wie ich schließlich zitiert wurde, wirkte es allerdings, als fände ich sie nicht mehr hübsch. Da sagen die Leser natürlich: Kein Wunder, dass die Frau depressiv zu Hause hockt, wenn ihr Mann so ein chauvinistischer Scheißkerl ist! Dabei liebe ich meine Frau über alles, ohne sie wäre ich nichts.
Haben Sie Ihre Familie vorher gefragt, ob sie mit der Autobiografie einverstanden sind?
Natürlich. Mein Sohn war sowieso involviert, er ist ja mein Manager. Meine Frau bat bloß darum, dass nicht wieder all der alte Kram hochkommt, den sowieso jeder kennt. Wegen meiner Affäre mit der damaligen Miss World schlug sie mich, ich hatte es verdient – Ende der Geschichte. Mit Mary Wilson von den Supremes, dem anderen großen Seitensprung, war meine Frau später sogar befreundet. Alles andere spielt keine Rolle, das liegt längst hinter uns.
Erzählen Sie deshalb im Buch viel von ihrer Karriere, aber wenig Privates?
Ich erinnere mich genau, wie ich Kirk Douglas – Sie kennen Kirk Douglas, den Hollywoodstar, Vater von Michael? – 1988 in der „Johnny Carson Show“ sah. Er hatte gerade seine großartigen Memoiren, „The Ragman’s Son“, veröffentlicht. Carson sagte: „Okay, nett, wie Sie es aus einfachen Verhältnissen so weit gebracht haben und all das. But did you bang Lana Turner?“ Das habe ich nie vergessen. Natürlich dachte ich: Dasselbe kann mir auch passieren, keiner will was über dein Talent wissen, sondern nur über dein Sexleben. Aber das geht niemanden etwas an – außer meiner Frau, mit der ich seit 58 Jahren verheiratet bin. Meine Karriere gibt auch so genug her. Allein meine Begegnungen mit Idolen und Kollegen: Frank Sinatra und Sammy Davis jr., den Beatles und den Rolling Stones, Crosby, Stills, Nash & Young, Janis Joplin, Ray Charles – die Liste ist endlos. In einem Moment sang ich in einem Pub in Wales, im nächsten mit den größten Weltstars. Verrückt!
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Wie haben Sie sich an all die Details erinnert? Führen Sie Tagebuch?
Muss ich nicht. Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Als ich gerade „Stones“ sagte, sah ich Mick Jagger neben mir stehen, 1965 in den Kulissen der „Ed Sullivan Show“. Sie hatten gerade „Satisfaction“ rausgebracht, ich „It’s Not Unusual“ und „What’s New Pussycat?“.
Wie haben Sie die Songs für „Long Lost Suitcase“ ausgesucht?
Buch und Album gehören für mich zusammen, also sollten es Lieder sein, die mit meinem Leben zu tun haben – deshalb auch der Titel. Ich habe ja immer aus dem Koffer gelebt. Wenn ich nach L.A. heimkomme, packe ich das meiste gar nicht aus, sondern lagere es ein. Da liegt so viel herum: Fotos, Platten, Kassetten, Demos, sogar 8-Tracks. Beim Stöbern hat mich zum Beispiel Dave Van Ronks „He Was A Friend Of Mine“ an einen alten Freund erinnert, der später mein Bodyguard wurde. Meine Version von Gillian Welchs „Elvis Presley Blues“ habe ich Priscilla vorgespielt, die sie zum Glück mochte. Elvis hat unser aller Leben verändert. Vorher war Rock’n’Roll schwarz-weiß, mit ihm kam die Farbe.
In Ihrem Buch behaupten Sie, dass Ruhm einen Menschen nicht verändert.
Stimmt. Wenn sich ein Prominenter wie ein Arschloch benimmt, war er höchstwahrscheinlich schon immer eins und hat sich früher nur nicht getraut, das zu zeigen. Ruhm bringt das Schlechte im Menschen hervor – ein bisschen wie Alkohol. Elvis zum Beispiel blieb immer ein Gentleman. Als er hörte, dass ich Jerry Lee Lewis mag, sah er mich kritisch an und sagte: „Du weißt aber, dass der verrückt ist? Ich gehe ihm seit Jahren aus dem Weg.“
Wie bleiben Sie bei Stimme?
In Las Vegas habe ich in den 60er- und 70er-Jahren zwei Shows pro Abend gespielt, das hat meiner Stimme nicht gutgetan, und ich wurde bald nur noch als Las-Vegas-Entertainer gesehen – ein Missverständnis. Ich wollte immer ein Sänger sein. 1988 wurde ich an den Stimmbändern operiert, seitdem fühle ich mich wie neugeboren. Wie ein Auto, das einen neuen Motor bekommen hat.
Wie geht es jetzt bei Ihnen weiter?
Ich will singen und auftreten, solange es geht. Mehr vom selben, immer mehr!
(Birgit Fuß, ROLLING STONE 12/2015)