Tom Gaulds „Die Rache der Bücher“: Würde nur nicht jeder einen Roman in sich tragen
Kein Cartoonist arbeitet sich so intensiv an den intellektuellen Bassins der bürgerlichen Welt ab wie der Schotte Tom Gauld. Ein neuer Sammelband versammelt Comicstrips über den scheinbar schwerelosen Literaturbetrieb. Wir zeigen exklusiv einige Ausschnitte.
Wer hat sich das beim Lesen eines im Feuilleton hymnisch besprochenen Romans eines bislang unbekannten jungen estnischen Autors noch nicht gefragt: „Entweder ist das ein stilles Meisterwerk, das ebenso subtil wie akribisch die sanften Rhythmen des täglichen Lebens beschreibt, oder es ist einfach superlangweilig.“
Dieser Gedankengang einer versonnenen Leserin wurde von Tom Gauld in einem von etwas mehr als 140 Cartoons protokolliert. Was als heiterer Witz daherkommt, ist zugleich eine druckvolle Abrechnung mit einem Literaturbetrieb, der sich von allen Seiten selbst schwächt: Verlage, die stets nur nach (literarischen) Lifestylemoden aus sind; Kritiker:innen, die sich danach sehnen, aus dem Tümpel der nicht mehr zählbaren Veröffentlichungen immerzu den einen großen Roman herauszufischen, der endlich unsere Zeit in symbolische Konturen fasst; schließlich Leser:innen, die permanent nach dem gleichen verlangen, vor Stilurteilen zurückschrecken und die Langeweile fürchten wie einen halben Tag ohne WLAN.
Der schottische Zeichner Tom Gauld ist ein Verfechter des einfachen Strichs. Seine Cartoons beleuchten die Akademikerwelt und bürgerlichen Possenspiele und sind oft gestaltet wie Fact Charts. Tiefgründig braucht er dafür gar nicht zu werden. Beispiel gefällig: „Henry James schreibt einen so langen und verschlungenen Satz, dass James drei Tage nicht mehr hinausfindet“. Ein Strip heißt „Warten auf Godot beim Zoom-Meeting“ – und die Überschrift ist bereits der ganze Witz.
Man kann über Gaulds Ausschnitte schmunzeln und die Kritik an der intellektuellen Bräsigkeit der Hochburgen des Intellektuellen teilen. Ein wenig harmlos bleibt all das dann doch für jene, die zu den wenigen Menschen gehören, die mehr als vier Bücher im Jahr kaufen. Und für alle anderen sind Bebilderungen von schwankenden Stapeln ungelesener Bücher neben dem Bett oder Besuche von James Joyce bei seiner Verlegerin wohl eher kein Material für ausgiebiges Lachen. Allerdings bekommt man nach der Lektüre Lust, im Antiquariat nach einer Dünndruckausgabe von Melvilles „Moby Dick“ zu suchen. Oder bei einer Lesung eine Frage zu stellen, die den Autor garantiert aus der Reserve lockt.
ROLLING STONE präsentiert einen Ausschnitt aus Tom Gaulds „Die Rache der Bücher“