Titel, Thesen, Therapien
Campino und Jan Weiler sprechen sich aus
Jan Weiler stand im Publikum, als Die Toten Hosen ihre ersten Konzerte gaben. Seitdem ist viel passiert: Die Band wurde berühmt, der Punkrock-Fan ein Bestseller-Autor. Zum 25-jährigen Hosen-Jubiläum blicken sie erstmals gemeinsam zurück.
Düsseldorf, ein Vormittag im Herbst. Jan Weiler ist auf Lesereise, um sein Buch „In meinem kleinen Land“ vorzustellen; er kommt aus Köln und muss am Abend nach Aachen. Campino dreht gerade mit Wim Wenders seinen ersten Spielfilm als Hauptdarsteller, hat aber heute ausnahmsweise einen freien Tag. So treffen die beiden ein wenig erschöpft, aber guter Dinge im Büro der Hosen-eigenen Plattenfirma JKP ein. Bassist Audi steht schon bereit, um Bilder der zwei zu machen. Während er Licht und Schatten testet, besprechen Campino und Jan, was in letzter Zeit so passiert ist. Sie sind seit Jahren befreundet.
Warum eigentlich? Fragen viele, wenn man von dieser Verbindung erzählt. Jan Weiler, das ist der Ex-Chefredakteur des „SZ-Magazins“, der mit „Maria, ihm schmeckt’s nicht“ 2003 einen überraschenden Bestseller landen konnte. Er war auf der Journalistenschule und bei einer Werbeagentur, trägt Brille und manchmal auch Anzüge. Dass er seit den frühen 80er Jahren die Karriere der Toten Hosen verfolgt, würde man nicht sofort erraten. Okay, er wurde 1967 in Düsseldorf geboren, das hilft. Campino ist ein paar Jahre älter, was kaum auffällt, und kann heute (zum Glück) auch nicht mehr sofort als Punk identifiziert werden, hat sich jedoch einer klassischen „Karriere“ sein Leben lang verweigert. Und kann trotzdem auf ein sehr erfolgreiches Vierteljahrhundert zurückblicken.
Die Toten Hosen bringen jetzt die 17 Alben ihrer 25-jährigen Geschichte (ohne die aktuellsten, „Zurück zum Glück“ und „Unplugged“) remastered, mit massenhaft Bonustracks und neuen Booklets heraus. Jan Weiler hat – zusätzlich zu langen Interviews – zu jeder Platte kleine Essays geschrieben, in denen er sich an die Jahre erinnert, in denen die Songs entstanden: an Politisches (RAF, Strauß, immer wieder Kohl. Einheit, Irak-Krieg), aber auch an „Formel eins“ und die Einführung der CD, an Leggings und Rechtschreibreform. Als Weiler die Hosen entdeckte, ging er noch zur Schule. Inzwischen hat er sie mehr als 30-mal live gesehen, zuletzt mit seinen Kindern. Die Band gehört einfach zu seinem Leben: „Man will sie nicht jeden Tag im Wohnzimmer haben, aber es geht auch nicht ohne sie.“
Jan Weiler und Campino reden beide gern, und so entspinnt sich, kaum dass sie im Konferenzraum Platz genommen haben, ein reger Diskurs über die Zukunft der CD – warum keiner mehr Respekt vor der Musik hat,wieso manche meinen, sie könnten Songs kostenlos haben und sich flugs die gesamte Sammlung eines Freundes auf den iPod ziehen, ohne schlechtes Gewissen.
Der Sänger argumentiert – obwohl die Hosen doch gerade all diese Remasters in die Läden stellen-gegen die Zukunft des Mediums CD: ‚Wir leben noch in dieser Vorstellung, dass Alben einfach sein müssen. Aber jetzt fangen ja die ersten an, jeden Monat ein Lied auf ihrer Homepage rauszubringen, und das war’s. In diese Richtung könnte es gehen. Ich sehe das Album als klassisches Medium in Gefahr. Es gibt ja keinen Grund mehr dafür. Bei Vinyl und CD war das ja eine Frage der Kapazität, die beschränkt war. Aber warum sollte man jetzt 15 Lieder auf einmal rausbringen? Warum nicht 150 oder nur eines?“ Wohin das führen wird, wer weiß es schon. Doch Jan Weiler hat eine Ahnung: „Unsere beiden Söhne wachsen mit Sicherheit schon anders auf, für die wird’s gar keine Alben mehr geben. Bald wird es so sein, dass man sich von Künstlern Abos kaufen kann, wie jetzt bei diesem Klingelton-Quatsch, und man bekommt jeden Monat einen Song geschickt, und nach einem Jahr hat man im Prinzip auch ein Album.“
Die 17 Alben der Toten Hosen möchte Weiler allerdings keinesfalls missen, sonst hätte er sich für den Job des Booklet-Schreibers gar nicht zur Verfügung gestellt. 18 Stunden Interviews führte er mit der Band – und hielt sich auch mit gemäßigter Kritik nicht zurück: „Ich mochte die Band ja immer. Deshalb war klar, dass ich nicht mit einem Scharfrichter-Beil durch die Plattensammlung gehe. In den meisten Fällen deckt sich meine Einstellung zu den Alben mit der der Band. Ich konnte ja schreiben, was ich wollte. Die Haltung muss schon echt sein, sonst macht es keinen Spaß – und dann wäre ich auch der Falsche dafür. Es war ein Wunsch von Campino, dass die Begleittexte neben einer gewissen Einordnung in die Zeit, zu der die Platten aufgenommen wurden, auch eine persönliche Ebene haben.“
Weiler führte Einzelgespräche mit allen Musikern, auch mit den ehemaligen Schlagzeugern Trini Trimpop und Wölli, dann gab es „ein großes gruppentherapeutisches Gespräch. Das war interessant! Da gingen wir noch mal alles chronologisch durch, und man merkt dann, wie sich die Gruppe im Gegensatz zu den Einzelgesprächen anders erinnert. Wenn du davon außen reinkommst, als eine Art Mediator, dann kriegst du am Ende ein Gesamtbild, das durchaus auch kontrovers ist.“ Und aussagekräftig: So ausführlich hat man die Hosen, die nicht Campino heißen, noch selten gehört. Gitarrist Kuddel erzählt von Spielsucht und kokaininduzierter Selbstüberschätzung, Andi erinnert sich ausgesprochen launig an viele Details der bewegten Karriere. Weiler kannte Schlagzeuger Vom und Gitarrist Breiti vor den Sitzungen gar nicht. Worauf Campino jetzt einwirft: „Ich kenne den auch nicht! Wenn du verstehst, was ich meine… Breiti ist ja nicht gerade der Smalltalker vorm Herrn.“ Doch Weiler war schnell eingenommen von dessen Konzentrationsfähigkeit und seinem extrem trockenen Humor. Besonders an den Gitarristen zeigt sich, wie unterschiedlich die Bandmitglieder ticken. Während Kuddel sich ärgert, wenn Live-Aufnahmen nicht perfekt klingen und alle Profi-Tricks kennt, antwortet Breiti auf typische Musikerfragen immer nur mit: „Null.“ Null Interesse, mit anderen Gitarristen fachzusimpeln. Null Interesse, die eigenen Instrumente zu zählen.
Bei der Bewertung ihrer Alben sind sich die Hosen auch nicht immer einig, mit „Auswärtsspiel“, „Ein feines bisschen Horrorschau“ und „Opium fürs Volk“ können sie aber alle „gut leben“. Bei manchen Produkten der Frühzeit kneifen sie selbst lieber die Ohren zu. „Wir hatten bei dieser Relaunch-Aktion immer den sehr interessierten Fan vor Augen. Ich bin mir nicht sicher, ob das für andere ein Hörgenuss ist – wenn man mit der Band nicht so viel zu tun hat und dann eine Demo-Session aus dem Jahre 1982 mit den damals schon von uns selbst abgelehnten Liedern hört. Dafür muss man schon offen sein.“ Und immer daran denken, wie jung die Band damals war und in welchem Umfeld sie begann. „Es tut unseren Platten nicht gut, sie aus dem zeitlichen Kontext zu lösen. Allein der Name der Band wäre ja heutzutage vollidiotisch. Damals hatte er eine gewisse Berechtigung. Wenn wir in Jugendzentren angerufen haben, hat die Hälfte der Leute gleich wieder aufgelegt. Das kann man heute gar nicht mehr nachvollziehen. Oder auch die Schlampigkeit, mit der die Texte auf „Opelgang“ geschrieben sind – das hatte damals einen Charme, wir fanden sie lustig. Aber rein inhaltlich sind viele davon eine Katastrophe.“
Wie viel haben Die Toten Hosen von heute überhaupt noch mit denen von damals zu tun? Campino wägt ab: „Einerseits ist mir das total vertraut, andererseits erzähle ich manchmal von früher und merke dann, wie weit das von der heutigen Realität weg ist. Zum Beispiel die Tatsache, dass wir sehr lange nur in besetzten Häusern gespielt haben und dass diese Hardcore-Freaks unsere ersten Anhänger waren, von der Kiefernstraße in Düsseldorf – das war schon ein derber Haufen. Oder die Art und Weise, mit der uns die Polizei begegnet ist. Völlig irritiert: Was machen diese Toten Hosen, was machen ihre Anhänger, gibt’s heute Abend eine Straßenschlacht? Dass die Gesellschaft irritiert war, war ja irgendwann vorbei. Wir waren dann bekannt, haben unseren Platz bekommen. Aber unheimlich lange haben die Hosen und die Punk-Szene solche Irritationen ausgelöst. Da kamen die Leute vom BKA in den Proberaum und haben Texte durchgelesen. Zu Konzerten kamen irgendwelche Sondereinheiten, jeder Besucher wurde kontrolliert. Das ist heute undenkbar.“
Für Leute wie Jan Weiler war genau diese Sonderstellung ein weiterer Grund,
die Band zu lieben: „Mitte der Achtziger, auf den ersten Konzerten der Toten Hosen, bei denen ich war, da war das noch so. Da standen auch immer Zivil-Bullen herum, und man wusste ganz genau, welche das sind. Die hatten sich wahnsinnig schlecht getarnt! Aber ich als Randfigur fühlte mich dadurch auch in gewisser Weise geadelt. Wenn die das nicht gemacht hätten, hätte das geheißen, dass die Musik und der Auftritt verpufft.“ Und Campino fand die Lage auch nicht gerade schrecklich: „Der Anstrich des Verbotenen – dadurch kamen wir uns schon wichtig vor. Weil an jeder Ausfahrt der Orte, an denen wir spielten, gleich zwei Einsatzwagen der Polizei standen. Oder wie wir aus der Tschechoslowakei rausgeflogen sind, zusammen mit den Einstürzenden Neubauten. Wie die Polizei uns mit Gewehren in den Rücken gehauen hat. Das sind solche Sachen, die mir jetzt vorkommen, als redete man über den Mond. Die Leute denken dann manchmal, ich erfinde Legenden…
Das war schon ein sehr langer Weg, aber es ist auch unheimlich schön, dass man diese Posen nicht mehr nötig hat. Damals war ja auch viel aufgesetzt. In dieser sogenannten Punk-Clique, in der es ja eigentlich keine Regeln geben sollte, gab es verdammt viele Regeln – was cool ist, oder was uncool ist.“
Wer eine Uhr trug, musste fünf Mark in die Band-Kasse zahlen. Und als Wölli damals in einer Lederhose auftauchte, war das „ein echtes Problem“ für Die Toten Hosen – wobei Campino da jetzt doch zugeben muss, dass das noch heute schwierig wäre. Man kann ja auch nicht alles durchgehen lassen! „Wenn Andi jetzt anfangen würde, sich einen Bart wachsen zu lassen, dann müsste er sich wahrscheinlich auf der Bühne umdrehen. Ich will ja kein ignoranter Idiot sein, aber ein paar Dinge gehen einfach nicht. Bärte ja, aber nicht bei uns.“
Wie sehr verändert man sich in 25 Jahren? Wir sprechen nicht von grellen Klamotten, Frisuren oder Musikgeschmack, sondern vom Charakter. Wenn fünf Typen in einer Band spielen, dann müssen sie auch damit klarkommen, dass jeder sich anders entwickelt. Ein kurzer Disput zwischen Sänger und Autor:
Jan Weiler: Ich glaube, mit 17 oder 18 bist du fertig, da passiert nichts mehr. Da bist du, wie du bist.
Campino: Da bin ich nicht deiner Meinung, auf keinen Fall.
JW: Da veränderst du dich nicht mehr groß.
C: Es wird schwieriger, aber es wäre traurig, wenn es nicht passieren würde. Die Veränderungen werden vielleicht anders hervorgerufen, aber es gibt im Leben immer Schlüsselmomente, die einen in den Grundfesten erschüttern.
JW: (zweifelnd): Meinste?
C: Ja, hundertprozentig. Ich glaube daran. Ich weiß es. Lass es einen schrecklichen Unfall sein oder eine private Tragödie – wenn du gezwungen bist, umzudenken, dich selbst total in Frage zu stellen, dann kommt die Veränderung, egal wie alt du bist. Und ich würde das vehement verteidigen: dass Menschen auch noch in der Lage sind, sich zu verändern, wenn sie 70 sind. Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens Heiner Geißler, der in hohem Alter in vielen Dingen eine Wende vollzogen hat.
JW: Sieht der das selbst eigentlich auch so? Mich würde interessieren, wie er seine Auftritte Mitte der Achtziger heute beurteilt.
C: Das weiß ich nicht, aber er scheint einen guten Weg für sich gefunden haben. Ich habe ihn ja häufiger getroffen in den „Feindesjahren“ und heute. Jetzt ist es mir immer ein Vergnügen – wenn er etwa über Attac redet.
JW: Ich glaube, dass man sich vielleicht anders verhält, weil man gewisse Dinge einsieht, aber in der Persönlichkeit ist doch auch Geißler derselbe geblieben, genauso kämpferisch. Er vertritt nur eine andere Ansicht.
C: Ich glaube, man hat die Wahl, sich zu verändern. Man kann die Chance annehmen oder nicht. Wieso entwickeln Leute, die wissen, sie werden bald sterben, so eine Ruhe und oft auch völlig andere Maßstäbe?
So weit ist es aber noch lange nicht. Das Motto war ja immer: „Wir sind noch keine 60/ Und wir sind auch nicht nah dran/ Und erst dann werden wir erzählen/ Was früher einmal war.“ Okay, erzählt haben sie jetzt viel, aber nun ist auch genug in der Erinnerungskiste gekramt. Eigentlich sollten die Hosen längst das nächste Album aufnehmen. Nachdem sie ein Jahr pausiert hatten, während Campino in Berlin bei der „Dreigroschenoper“ auf der Bühne stand, wollten sie schnell wieder ins Studio. „Mindestens ein Drittel“ der nötigen Songs haben sie schon zusammengetragen, aber dann kam ein Anruf. Von Wim Wenders. Mit einem Angebot, das Campino nicht ablehnen konnte. Er sollte die Hauptrolle in „The Palermo Shooting“ spielen, Wenders‘ erste deutsche Produktion seit 15 Jahren. Seit Mitte September wird gedreht; Campino spielt – neben Milla Jovovich und Dennis Hopper – einen rastlosen Fotografen, der sein Leben noch einmal neu überdenken muss. Und das kam so: „Wim hatte vor sieben Jahren das Video zu ‚Warum werde ich nicht satt?‘ gedreht und sagte mir damals schon, dass er gern mal länger mit mir arbeiten würde. Ich habe das als nettes Kompliment angenommen und abgehakt. Unabhängig davon sind Wim und seine Frau Donata sehr gute Freunde von uns geworden. Dann kam im letzten Winter der Anruf von Wim: ‚Es ist soweit, ich habe etwas gefunden, von dem ich glaube, dass du es machen sollst.‘ Ich habe den Ball erst mal flachgehalten. War sehr geehrt, dass er mich fragt, und habe das Buch gelesen. Dann habe ich den anderen von der Idee erzählt. Sie meinten, das passe gar nicht ins Timing, aber ich solle es unbedingt machen. Alle hatten Verständnis. Wenn ich das abgesagt hätte, würde ich immer denken, ich hätte unwiderruflich etwas verpasst.“
Das lernt man bei den Toten Hosen: Gelegenheiten ergreifen, wenn sie sich bieten. Etwas wagen, wenn es aufregend klingt. Langweilig wird einem nicht, langweilig ist man. Und das kommt überhaupt nicht in Frage.