„Tiny Toons Looniversity“: Wie ist das jetzt mit der Hasenliebe?
Der Neuaufguss verschreckt mit einem Detail viele Fans des Zeichentrick-Klassikers aus den 90ern.
Die 90er-Jahre waren ein Paradies für Liebhaber unterhaltsamer und nicht nur an Kinder gerichteter Animationsserien. Über allem schweben natürlich die „Simpsons“. Aber es gab eben auch „Beavis And Butthead“, „Batman – die Zeichentrickserie“, „Ren und Stimpy“, „Rockos modernes Leben“, „Darkwing Duck“ und gleich mehrere Knaller, die von Steven Spielberg mitproduziert wurden.
Dazu gehörten neben den „Animaniacs“ und „Pinky und der Brain“ vor allem die „Tiny Toon Adventures“. Die Serie begründete ab 1990 für drei Staffeln den Meta-Wahnsinn mit, der das Jahrzehnt bestimmen sollte und verstand sich gleichzeitig als durchgedrehte Hommage an die „Looney Tunes“-Klassiker der Vergangenheit wie auch als mit vielen Filmzitaten geschmückte Neubestimmung des anarchistischen Cartoon-Humors von Tex Avery und Chuck Jones.
Das Setting war clever: Die jünger anmutenden Zwillingsversionen von zahlreichen beliebten Charakteren, ergänzt um einige herrliche, vor allem satirisch zugespitzte Originale (Elmyra Duff!, Montana Max! Wacky!), studieren an der Acme Looniversity, wie sie zu echten Toons werden. Unterrichtet werden sie dabei von Bugs Bunny und seinen Kollegen. Die Erinnerung an den genialen Klamauk von „Falsches Spiel mit Rogger Rabbit“ schwang immer mit, der Krawall der „Looney Tunes“ wurde allerdings zeitweise mit bunter Farbe und dennoch ins Chaotische tendierenden Szenarien zurechtgeschneidert. Hier fliegen permanent Klaviere und Ambosse auf die Protagonisten. Und angeleitet werden die Geschichten von Buster und Babs Bunny – zwei Häschen im Teeniealter, die in gleich mehreren Folgen einander sehr liebevoll zugetan sind, man könnte gar sagen: aufeinander abfahren.
„Tiny Toons Looniversity“: Reboot eines Reboots
Und jetzt wird es spannend: Inzwischen gibt es eine Neuauflage der Serie unter dem Titel „Tiny Toons Looniversity“ – und Buster und Babs, erkennbar nach dem Vorbild Bugs und Honey Bunny gestaltet, sind plötzlich Zwillinge. Penetrant wird das gleich in der ersten (turbulenten, sehr gelungenen) Episode ins rechte Licht gerückt. Für Fans der Reihe, die zumeist wohl selbst inzwischen Kinder haben, ist das ein ziemlicher Schock. Im Netz wird kaum über die Gelungenheit des Aufgusses gesprochen und stattdessen vor allem über diesen major change debattiert. Tenor: WTF! Warum ändert man etwas, das perfekt funktionierte?
Die Frage ist berechtigt, denn die Inszenierung der Verbindung zwischen den beiden Karnickeln ist durchaus ungewöhnlich, tendiert sie doch zu einer mindestens romantischen, wenn nicht manchmal gar sexuellen Spannung. Prominentestes Beispiel ist eine Episode mit dem Titel „Prom-ise her anything“, in der Buster sich stark überwinden muss, um Babs zu einem Abschlussball (Prom Night) einzuladen. Zwischen den beiden funkt es heftig, es wird auch geschmust.
Auch in anderen Folgen wurde immer wieder darauf angespielt, dass beide einander innig zugetan sind, auch wenn zwischenzeitlich cartooneskes Gezicke regiert. Das Flirten wird intelligent legitimiert mit einem Gag, der die „Tiny Toons“ an den Kalauer-Kanon der „Looney Tunes“ („Is was, Doc?“) anband: Beide Häschen sagten stets, wenn sie sich vorstellten: „Not related“. Eine Doppeldeutigkeit, die den Autoren alle Türen offenließ. Sie nutzten sie gerne.
Zuschauer lieben die Spannung zwischen Figuren
Wenn man nun die frustrierten Beiträge im Netz durchstöbert, warum zahlreiche Zuschauer die nach heutigen Maßstäben einfallsreich produzierte und sehr hübsch geschriebene Neuversion boykottieren, dann sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die romantische bzw. sexuelle Energie zwischen zwei (Haupt-)Charakteren, selbst wenn das Thema einer Serie ein völlig anderes sein sollte, die Menschen zum Zuschauen geradezu elektrisch verleitet. Man denke nur an „Akte X“.
Gesteigert wird das natürlich noch, wenn es Gründe gegen eine Liaison gibt oder beide Figuren nicht in der Lage sind, sich zu ihrer Liebe zu bekennen. Solche Unterschwelligkeiten sind allerdings ziemlich selten, selbst noch in den meisten Qualitätsserien. Es braucht die richtigen Autoren und die passenden Schauspieler. Für die meisten Zeichentrickserien gilt, dass sie entweder Langzeitpaare zeigen, die durchaus auch einmal die Nase voll vom Partner haben, oder es Verliebtheitsgeschichten gibt, die gemeinsame Bande aber nicht länger als ein paar Folgen hält. Insofern ist die Beziehung zwischen Buster und Babs durchaus etwas besonderes.
In Internetforen wird darauf hingewiesen, dass die beiden Zeichentrickfiguren als Paradigma für die so genannte Furry-Bewegung herhalten können. Dabei handelt es sich um eine Subkultur von Menschen, die sich an anthropomorphisierten Lebewesen aus der Tier und Fantasy-Welt orientieren, sich wie sie kleiden (etwa auf Cosplay-Conventions), ihnen auf eine durchaus libidinös aufgeladene Art und Weise hinterher schmachten. Das Furry-Prinzip ist gewissermaßen naturmystisch aufgeladen, die erotische Komponente wird vielleicht manchmal verborgen, spielt aber im Grunde die wichtigste Rolle.
Ist das womöglich der Grund, warum die Macher von „Tiny Toons Looniversity“ die beiden Kaninchen zu Geschwistern machten? Tom Rueger, einer der Schöpfer der Original-Serie und diesmal nicht beteiligt, reagierte auf X mit einer Mischung aus Verwunderung und Zynismus, als er die Botschaft im ersten Trailer vernahm: „Ummm, ew?“
„Ich denke, dass ein jüngeres Publikum vielleicht keine Zeichentrickfiguren beim Knutschen sehen will“, sagte hingegen dazu Nate Cash, einer der Showrunner des Neustarts der „Tiny Toons“, von einigen wütenden Fans auf einer Comic-Messe gestellt. Aber was noch wichtiger ist, fügte er hinzu, ist, dass die Entwickler der Serie, darunter auch Autorin und Schauspielerin Alison Becker („Parks and Recreation“), mehr Facetten im Leben der Figuren erforschen können, indem sie den Toons eine Familiengeschichte mitgeben. Die Serie sei nun nicht mehr so referentiell und erwachsen wie die ersten Staffeln in den 90ern, dafür verrückter und gemeinschaftsstiftender.
Familiäre Liebe als Schutzzone vor Verletzungen
Die wonnige Wärme der Grenzen setzenden, aber auch Sicherheit spendenden Familie (nicht nur im konkreten Sinne; auch die Gemeinschaft mit Freunden, die einander umgarnen und helfen, wird zum Familienkomplex umgestaltet, in dem jeder die Marotten des anderen zu tolerieren bereit ist) wird nun der unberechenbaren Energie des Erwachsenwerdens mit all ihren Freiheiten und Mutproben, Gefährlichkeiten und Leidenschaften entgegengehalten. Insofern ist die Universität hier schon auch das richtige Spiegelbild als Terrain der sich ändernden Befindlichkeiten und als Neubestimmung für diese Zeichentrickserie. Die neuen Sensibilitäten für Minderheiten, aber auch das Gespür für den Bedarf von Schutzzonen vor (übergriffigen?) Mehrdeutigkeiten nahm vor allem in diesem Milieu, zumal in den USA, ihren Anfang.
Das deckt sich auch mit einer anderen Entwicklung, die zuletzt bereits die „Simpsons“ genommen hat (weswegen auch hier Stimme laut wurden, die Serie erhole sich gerade von einem viele Jahre andauernden kreativen Verfall): Auch in Zeichentrickserien wird nun ausgiebig erzählt, geht es um lebendige Charaktere, die ihre Sicht auf die Welt in anschaulichen Geschichten hinterfragen und so auch Vorurteile neu bewerten. Eine Folge der „Tiny Toon Adventures“ war in den 90ern eine irre Collage aus Witzen, Anspielungen und vor allem einer Story, die immer einen doppelten Boden hatte. Nun zeigt sich, dass es eben auch um Entwicklungen geht, um das Etablieren diverser Identitätsmöglichkeiten – um eindeutige Geschichten mit moralischen Botschaften.
Ob dies nun ein Votum gegen eine im Unklaren gelassene (unschuldig-unverbindliche, teenagerhafte) Hasenliebe sein muss, die in die heutige Zeit übersetzt wahrscheinlich als so etwas wie eine Freundschaft plus verstanden werden könnte, mag erst einmal dahingestellt bleiben. Aber die Lehre aus den starken Emotionen, die eine solche im Grunde simple Plot-Veränderung bei treuherzigen TV-Zuschauern auslöst, ist natürlich, dass hier wohl einmal mehr die Bedürfnisse der Produzenten, die Welt in ihrer ganzen gesellschaftlichen wie psychologischen Farbpalette abzubilden, mit jenem Bedürfnis der Fans in Konkurrenz tritt, bestimmte emotionale Bedürfnisse befriedigt zu bekommen, wie sie das Fernsehen nun einmal über Jahrzehnte erschöpfend zur Verfügung stellte.
Die Geschichten der Tiny Toons mögen nun komplexer sein, mit dem Verlust einer ambivalenten Beziehung zwischen ihren Hauptfiguren verringert die Serie aber auf der Ebene der symbolischen, nonverbalen Kommunikation mit geradezu infantiler Lustbefriedigungslogik – also dem Königsgebiet des Zeichentricks – den Schwierigkeitsgrad.
Bestellt wurden von „Tiny Toons Looniversity“ gleich zwei Staffeln für (HBO)Max, produziert wurden die neuen Folgen erneut von Steven Spielberg, der sich stets als großer Fan der „Looney Tunes“ zu erkennen gab und die „Tiny Toons“ einmal als eines seiner Herzensprojekte bezeichnete. Entsprechend liebevoll entwickelt erscheint die neue Reihe auch. Wer ihr eine Chance geben möchte: Toggo (RTL Super) zeigt derzeit die erste Staffel, alle Folgen gibt es auch im Stream in der Mediathek des Senders.