Tina (Re-)Turner

Und noch einmal geht der Vorhang auf. Pünktlich zum 60. Geburtstag feiert Tina Turner ein weiteres Kapitel ihres langen Abschieds. Welcome, my friends, to the show that never ends...

Kann diese Frau denn nie zur Ruhe kommen? Keine zwei Monate vor ihrem 60. Geburtstag fegt Frau Turner wie eine Dampflokomotive durch das Aufnahmestudio – ganz wie vor 40 Jahren, als sie die Clubs in St. Louis zum Beben brachte.

Es ist ein Uhr nachts im Londoner Studio „Sarm West“ – und Tina steht unter Strom. Während der normalsterbliche Musiker schon mit einem Track alle Hände voll zu tun hat, tanzt diese Frau gleich auf mehreren Hochzeiten: Sie muss in letzter Minute noch an den Vocals für zwei Tracks feilen, damit ihr neues Album „Twenty Four Seven“ planmäßig in den Läden steht. Und Tina hält sich an ihre Deadlines.

Gerade hat sie alle verfügbaren Männer zusammengetrommelt, vom Techniker über den Boten bis hin zu den Musikern, die gerade so entspannt die Beine hochgelegt hatten. .Jungs, ich brauch euch“, knurrt sie, und ehe sie sich versehen, stehen sie mit vor Aufregung schlotternden Knien im Studio und versuchen sich als zusammengewürfelter Backgroundchor an einer bislang unveröffentlichten Bee Gees– Nummer namens „I Will Be There“.

Kaum ist der letzte Ton verklungen, da flitzt sie bereits in den nächsten Raum, wo drei professionelle Background-Perlen an ihrem Part für „All The Woman“ arbeiten. Eigentlich sollen sie ihren Part im Trio einsingen, aber Tina kann’s nicht lassen: „Baby can’t you see/This is me. I’m all the woman that I want to be“ röhrt sie über die wummernden Bass-Tracks. Roger Davies, seit 20 Jahren ihr Manager und gerade aus Australien eingeflogen, vergisst seinen Jetlag. Und selbst Produzent Johnny Douglas, ein abgebrühter Studioveteran, der schon mit George Michael, Tom Jones und All Saints zusammenarbeitete, anfangs aber Blut und Tränen schwitzte, um dem unerbittlichen Turner-Standard gerecht zu werden, blickt endlich entspannt von seinem Mischpult auf.

Vielleicht ist ihre Hyperaktivität ja dadurch erklärbar, dass Tina noch nach Los-Angeles-Zeit tickt. Vor einigen Tagen stand sie dort vor einem gigantischen TTNA-Billboard und drehte das Video für die erste Single. „When The Heartache Is Over“ stammt aus der Feder von John Reid (The Nightcrawlers) und Graham Stack; produziert wurde es vom Metro-Team Brian Rawling und Mark Taylor, denen Cher mit „Believe“ den größten Hit ihrer Karriere verdankt.

Aber auch noch am Nachmittag des nächsten Tages präsentiert sich Tina als lebender Dynamo. Seit „Private Dancer“, ihrem 11- Millionen Comeback-Seiler von 1984, war sie anlässlich eines neuen Albums nicht mehr so aufgekratzt wie dieses Mal…

Ein neues Album war bis vor kurzem eigentlich überhaupt nicht in der Pipeline. Wie kam es TU dem Schnellschuss – und wie kamst du auf die Produzenten, die für Chers Karriereschub sorgten?

Tatsächlich war für dieses Jahr eigentlich gar kein Album geplant. EMI wollte eine Best Of-CD mit zwei oder drei neuen Songs veröffentlichen. Für ein komplettes Album hatte ich gar keine Zeit, weil ich mit Elton John auf US-Tour gehen wollte. Wir hatten in der Vergangenheit ein paar Mal zusammen gearbeitet – und die Chemie stimmte. Elton sollte bei meinen Titeln am Piano sitzen – und ich zwölf seiner Songs im

Duett mit ihm singen. Im April war ich in New York, um in der „Divas“- Show von VH-1 aufzutreten; Elton, Cher und ich wollten eine Version von „Proud Mary“ singen. Der Auftritt selbst war zwar absolut perfekt, aber während der Proben stellten Elton und ich fest, dass wir live wohl doch nicht so recht zusammenpassen. (Was sehr dezent formuliert ist: Glaubt man den Augenzeugen, so manifestierten sich die „ künstlerischen Differenzen“ in einem handfesten Krach hinter den Kulisien. – Red.) Deshalb beschlossen wir kurzerhand, die geplante Tournee abzusagen. Unmittelbar nach „Divas“ flogen Roger und ich zurück nach London. Noch im Flieger schmiedeten wir Pläne, die ganze Nacht lang, und er sagte: „Tina, wenn die geplante Tournee nun also ins Wasser fällt – warum nutzt du dann nicht die freie Zeit und machst ein Album wie seinerzeit „Private Dancer“? Wir gucken uns in England ein paar von diesen neuen Produzenten aus, nehmen das Album innerhalb von sechs Wochen auf- und fertig!“ Ich war anfangs noch ziemlich unschlüssig, weil ich eigentlich Abstand zum Plattenverkaufen gewinnen und obendrein auch lieber meine Häuser einrichten wollte, aber Roger meinte: „hier, hör dir das mal an und sag mir, was du davon hältst.“ Ich war so begeistert von der Musik, dass wir vom Flugplatz direkt ins Studio fuhren und uns dort mit den Metro-Jungs trafen. Sie hatten ein paar tolle Popsongs auf Lager, und ich fing an Ort und Stelle mit den Vocals an.

Und diese Begeisterung erwies sich auch nicht als Strohfeuer?

Nein, es lief wie am Schnürchen. Ich habe mir die Demos wirklich gern, einfach nur zum privaten Vergnügen angehört; ich war so stolz, diese Songs zu bekommen. Die Arbeit am Album hat mir ungeheuren Spaß gemacht, es war eine gute Zeit. Ich hatte auch nie das Gefühl: „Mist, jetzt muss ich wieder nach London ins Studio.“ Ich konnte es kaum erwarten, mir die fertigen Aufnahmen anzuhören, weil die Demos schon so gut waren. Die Texte haben Pfiff, und die Musik ist wie eine Art moderner Gospel. Doch, das Material hat mir ausnehmend gut gefallen. Das Album hat die gleiche Spontaneität wie damals „Private Dancer“: Ich hatte vor lauter Begeisterung gar keine Zeit zum Nachdenken. Wenn mir ein Song gefiel, hieß es gleich: „Lass ihn uns aufnehmen.“

„Das ist das erste meiner Alben, das ich mir wirklich gern anhöre. Die Produktion ist klasse, meine Stimme klingt richtig gut, das Material ist exzellent. Das Album ist modern, aber nicht auf oberflächliche Weise hip – es ist einfach nur frisch und voller Leben.“

Was bedeutet der Albumtitel „Twenty Four Seven „?

Das ist eine amerikanische Redensart Terry Britten hat den Song für mich geschrieben. Er sagt, dass er meinen Lebensstil genau beschreibt – 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche voll unter Dampf.

Nach welchen musikalischen Kriterien wurden denn die anderen Songwriter und Produzenten ausgewählt?

Ich wollte, dass die neuen Songs im Radio zu hören sind. Aber sie sollten auch nicht aufgesetzt modisch klingen. Ich wollte mir selbst treu bleiben, aber gleichzeitig ein etwas hipperes Album machen. Die Leute, die Roger und ich aussuchten, waren die hipsten Produzenten weit und breit, aber sie sind ja fast noch Kinder, kleine Jungs! (lacht)

Robin Gibb schickte mir ,I Will Be There“. Die Bee Gees hatten ihn gemeinsam geschrieben, aber Robin war der Meinung, dass ich ihn aufnehmen solle. Wir trafen uns noch mit anderen Songschreibern, Paul Wilson, Andy Watkins, Tracy Ackerman. Ich sagte ihnen, was mir vorschwebte, und sie schrieben für mich „All The Woman“. Ihnen war klar, dass ich keine autobiografischen Texte singen will, dazu habe ich einfach keine Lust mehr. Meine Vergangenheit ist abgeschlossen, darüber muss ich nicht mehr singen – erledigt.

„When The Heartache Is Over“ klingt aber nach einer weiteren Folge des sattsam bekannten Ehedramas, wie eine erneute Aufarbeitung deiner Zeit mit Ike.

„Das ist mir selbst erst bewußt geworden, als ich das dazugehörige Video drehte. Ich dachte: „Du meine Güte, wovon handelt diese Story eigentlich? Textzeilen wie „I know I won’t be missing you“ könnten tatsächlich aus meinem Leben stammen. Es war fast schon ein Albtraum. Andererseits klingt der Song nicht deprimierend, sondern sehr positiv. Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätten all diese Songs nur auf mich gewartet.

Es heißt, dass du mit „Falling“ von Terry Brüten anfangs überhaupt nicht zurecht gekommen seist – dir gefiel das Demo offenbar nicht.

„Es war grauenhaft. (lacht)Es war für eine Boygroup aufgenommen worden und das reinste Stimmen-Aerobic. So will ich nun wirklich nicht singen. Ich mühte mich trotzdem einen ganzen Tag lang mit diesem Song ab, den ich in dieser Form einfach nicht mochte. Schließlich sagte ich Terry, er möge doch ein neues Demo aufnehmen und mit der Gitarre den Gesangspart übernehmen. Als er mir diese Version vorspielte, hatte ich endlich ein besseres Gefühl, weil ich nun eine Basis hatte, von der aus ich den Song weiterentwickeln konnte. Roger meint, es sei immer ein positives Zeichen, wenn ich mit einem Song richtig kämpfen muss, weil ich dann umso besser singe. Und Terry weiß immer ganz genau, wie er das Beste aus meiner Stimme rausholt. Ich bin inzwischen richtig stolz auf diese Aufnahme, weil meine Stimme auch in den höheren Tonlagen sehr gut rüberkommt. Denn das ist wirklich meine Stimme – eine starke, tiefe, samtige Billie Holiday-Stimme. Nachdem ich einmal George Michaels „Older“ gehört hatte, ist mir klar geworden, dass ich eigentlich auch qualitativ gutes Easy Listening machen sollte. Aber ich bin innerlich immer noch nicht in der Lage, ausschließlich und immer nur schön und easy zu singen.“

Bereitet dir das Älterwerden eigentlich privat Probleme? Wie fühlt man sich als 60-jährige Rock’n ‚Roll-Legende?

„Ich bin stolz darauf. Gestern Abend sagten mir die Background-Sängerinnen, sie müssten heute zur Schule. Ich fragte: „Was lernt Ihr denn?“, und sie sagten: „Nein, wir bringen unsere Kinder zur Schule.“ Da merkt man, dass Rock’n’Roll eine Angelegenheit für gesetztere Herrschaften wird, (lacht).

Ich werde alt. Ist das ein Problem? Nein, denn es ist unvermeidlich. Es ist eine reine Kopfsache zu meinen, dass dieser Prozess etwas Negatives ist. Ich nehme das Älterwerden als gegeben hin. Ich bin 60, ich bin gesund, es geht mir gut. Ich bin so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben, deshalb bereitet mir das keine großen Sorgen.“

Welche Platte hattest du vor 20 Jahren, als du immerhin auch schon 40 warst? Damals war ich in Las Vegas und versuchte, mein Leben in den Griff zu bekommen. Ich stand zum ersten Mal allein auf der Bühne. Ich trat in Nachtclubs auf, wollte aber in die Stadien, wie die Stones. Ich wollte wissen, wie das ist, wenn man vor so vielen Leuten auf der Bühne steht. Eines Morgens sprang ich aus dem Bett, zog mir Regenklamotten über und ging in Rogers Büro, um mit ihm über Managementfragen zu reden. Ich machte ihm klar, dass ich keine neue Aretha Franklin sein wollte, sondern Rock’n’Roll. Ich wollte nie R&B-Sängerin sein. Auf jeden Fall hatte ich damals vor, weiter als Sängerin zu arbeiten. Und das hab ich bis heute gemacht.

Deine Live-Performance bestach schon immer durch eine ausgeprägte tänzerische Komponente…

„Wenn mir zu Hause ein Song im Radio gefallt, fange ich sofort an zu tanzen. Das steckt in mir, mein Körper kann gar nicht anders, das ist immer noch so. Ich versuche, bei der modernen Choreografie auf dem Laufenden zu bleiben, aber einige Bewegungen sind ganz schön haarig. Janet Jackson, die Rapper – puh! Aber ich beschäftige mich damit.“

Was muss man tun, um auch mit 60 Jahren noch so gut in Form zu sein?

Wenn ich auf der Bühne unter den heißen Scheinwerfern tanze, habe ich keine Chance, Fett anzusetzen, sondern nehme sogar noch ab. Wenn ich nicht auf Tour bin, gehe ich in die Sauna. Ich habe wohl Glück mit meinen Genen gehabt; meine Schwester dagegen ist ziemlich auseinandergegangen. Ich lasse die Finger von Süßigkeiten, Kuchen und Fett. Mag ich einfach nicht. Ich esse gesund. Obst zum Frühstück, mittags Hühnerbrust, abends meist Pasta, Fisch und ab und zu ein Stück rotes Fleisch. Ich mag kein Soul Food mehr und brate alles mit Olivenöl. Mein Geschmack hat sich verändert, seit ich in Europa lebe. Ich achte auf mein Äußeres – für meine Fans, für mich, für Erwin. Ich verlasse mein Ankleidezimmer erst, wenn ich mit meinem Aussehen zufrieden bin, selbst wenn es mir mal nicht gut geht. Ich möchte meine Fans nicht enttäuschen. Wenn sie mich am Flughafen sehen, höre ich oft Komplimente. Ich möchte nicht, dass es dann heißt: „Sie sieht ja gar nicht so aus wie auf den Bildern.“ Das ist mir wichtig.“

Du lebst nun schon seit vielen Jahren in Europa. Was ist dein wahres Zuhause? „Ich hab ein Haus in Südfrankreich, wo ich etwa drei Monate im Jahr lebe. Wenn ich nicht arbeite, verbringe ich die übrige Zeit in Zürich bei Erwin (Bach, dem Chefron EMI Schweiz)- Anfang des Jahres sind wir in ein Haus am Zürichsee gezogen.“

Wie lange lebt Ihr schon zusammen?

„14 Jahre, solange wie mit keinem anderen Mann zuvor. Ein Grund dafür ist, dass er keinen Wert darauflegt, als der Mann an Tina Turners Seite aufzutreten. Er ist mein Freund. Ich freue mich, wenn er abends nach Hause kommt. Wir haben keine Köche, deshalb kocht er bei uns, während ich den Tisch decke. Dann sitzen wir zusammen, essen gut, trinken ein Glas Wein, er raucht eine Zigarre und wir genießen es, beisammen zu sein.

Was nun nicht heißt, dass wir ständig aufeinander hocken. Jeder hat seinen Raum. Wenn ich lesen will und er Musik hört oder telefoniert, geht er dafür in sein privates Zimmer. Erwin ist in der Lage, sich mit meiner Spiritualität auseinanderzusetzen. Er kann zuhören. Viele Männer können mit diesen Sachen nichts anfangen. Wir passen einfach gut zueinander.“

40 Jahre sind im Showbiz eine fast biblische Zeit. Willst du nicht irgendwann einmal die Bühne endgültig verlassen?

„Bei den Aufnahmen für das Video kam irgendjemand zu mir und sagte einfach: „Danke“. Ich fragte: „Wofür?“, und er antwortete: „Dafür, dass du so lange dabei bist.“ Ich bin davon überzeugt, dass alles einen übergeordneten Sinn hat, warum sollte ich mein Talent also verschleudern? So lange ich diese Energie habe und gesund bin, werde ich weitermachen. Ich bin noch immer offen für neue Ideen. Aber nach der kommenden Tournee kommt die Stunde der Wahrheit. Wir starten im März in den USA und kommen im Sommer nach Europa. Aber das wird die letzte Tour dieser Art sein. Danach trete ich vielleicht noch bei Silvester- Galas oder so was auf, aber ich werde mich rar machen.“

Warum?

Ich habe viele wunderbare Acts gesehen, die sich irgendwann lächerlich machten, weil sie kein Ende fanden. Ich will’s nicht so weit kommen lassen. Ich möchte, dass die Leute mich in guter Erinnerung behalten: meine tollen engen Kleider, meine sexy Beine – all das war ja wunderbar. Diesen Teil von mir werde ich nächstes Jahr zum letzten Mal auf die Bühne bringen. Ich will nicht den richtigen Zeitpunkt verpassen. Das muss ich mir nicht antun.“

Wenn du dein Leben Revue passieren läßt, gibt es dann etwas, was du bereust? „Es geht mir heute so gut, dass ich keine Zeit habe, über Reue nachzudenken. Wenn man etwas bereut, heißt das, dass man was versäumt hat Reue ist für mich kein Thema, weil ich alles erreicht habe, was ich wollte. Mein Leben hat mir die Kraft verliehen, das zu tun, was ich heute tue. Ich habe harte Zeiten durchgemacht, aber die liegen hinte

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