Till Lindemann klagt sein Lyrisches Ich zurück zum KiWi-Verlag
Weiteres Urteil im „Fall Rammstein“. Pornovideo kein Grund für Rausschmiss

Ein Mann gibt nicht auf. Vor der Landgericht Köln hatte Till Lindemann gegen die Kündigung seines Buchvertrages mit dem Verlag Kiepenheuer & Witsch geklagt. Und Recht bekommen. Der Rausschmiss vom Juni 2023 sei „unzulässig“, wie die Richter nun entschieden.
Nach diesem Urteil könnte der Rammstein-Sänger weiterhin seine provokanten Lyrikbändchen dort veröffentlichen. Doch darum geht es nicht. Es geht um die Vermessung von Moral und Wahrheit. Nichts von juristischer Tragweite soll im „Fall Rammstein“ übrigbleiben.
Der Verlag hatte den einseitigen Ausstieg damals mit Lindemanns Porno-Video „Till The End“ von 2020 begründet, in dem er „sexuelle Gewalt gegen Frauen“ feiern würde. Darin verarbeitet wird, je nach Sichtweise, auch Lindemanns Gedicht „In Stillen Nächten“. Ein Dildo kommt vor.
„Vertrauensbruch“ und „Verhöhnung“
In der KiWi-Kündigungs-Argumentation wurde die unheilige Verquickung der Kunst („Das lyrische Ich“) und mit dem Wirken des Autors genannt. Von „Vertrauensbruch“ und „Verhöhnung“ war die Rede. Lindemann hätte „für uns unverrückbare Grenzen“ überschritten, was den Umgang mit Frauen betreffe“.
Vor dem Hintergrund, dass man bei KiWi drei Jahre zuvor noch selbst, „das lyrische Ich“ in den Hard-Sex-Reimen von „Wenn Du Schläfst“ verteidigte hatte, war die Kündigung nun eine Art Notbremse. Ein Mega-Skandal mit Mega-Folgen stand 2023 im Raum. Die Kartoffel Lindemann war zu heiß geworden.
Schließlich muss ein großer Verlag wie KiWi stets auch die Befindlichkeiten der anderen Star-Autorinnen und – Autoren im Blick haben. Krisenmanagemnt war gefragt, zumal Lindemanns Lyrik-Ergüsse keine Bestseller waren. Die naheliegende Idee einer Biografie, die wiederum fetten Umsatz gebracht hätte, war noch vage Zukunftsmusik.
Nun schreibt das Kölner Landgericht ins Stammbuch: „Genauso wie im Gedicht das lyrische Ich eine künstliche Figur ist, sind die in einem filmischen Werk auftretenden Personen grundsätzlich als solche zu betrachten.“ Die seinerzeit erhobenen öffentlichen Vorwürfe wären nicht belastbar.
Allenfalls „der Verdacht strafbaren Verhaltens“ hätte im Raum gestanden hatte. Soweit der Vorwurf also ,moralisch vorwerfbares Verhalten’ sei, könne dies KEIN Kündigungsrecht begründen“, so kommentierend Lindemanns Kanzlei.
Sechs Millionen (!) Fans bei 135 Pyrospektakel-Shows
Auf eine Online-Anfrage des Fachmagazins„“Börsenblatt“ heißt es am Kölner Bahnhofplatz: „Der Verlag kann sich nicht vorstellen, mit Till Lindemann wieder zusammenzuarbeiten, und wird alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um dies zu verhindern“, so Kiepenheuer & Witsch in einer ersten Stellungnahme.
Lindemann und das Team Rammstein kämpft unverdrossen weiter; unterstützt von zwei renommierten Kanzleien mit erheblichem personellen und finanziellen Aufwand.
Und auch sonst formieren sich die Unterstützer: In einer längeren Gesprächsrunde auf der Tallinn Music Week (3. bis 6. April) hatte ihr langjähriger Touragent Scumeck Sabottka die Hand für Rammstein ins Feuer gehalten. Unter seiner Ägide hätte es kein Sex-System gegeben.
Zuletzt war am 12. März ein weiteres Urteil am Landgericht Hamburg bekannt geworden. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und dem Podcast von Süddeutscher Zeitung/NDR wurden diverse Passagen ihrer Berichterstattung untersagt. Etwa die „KO-Tropfen“-Behauptung.
Auf ihrer Website haben Rammstein die mitten im Skandal-Sturm durchgezogene Europa-Tour plus die Stadionkonzerte 2024 bilanziert: Sechs Millionen (!) Fans bei 135 Pyrospektakel-Shows. Damit könnten sie den Wind der Geschichte über das Jahr 2023 wehen lassen. Machen sie aber nicht. Sie wollen recht behalten.