Tiger essen keine Hippies

Seit den späten Sechzigern bereist Helge Timmerberg die Welt und kommt jedes Mal mit fesselnden, komischen Reportagen zurück.

Wenn Helge Timmerberg über seine 60er Jahre spricht, dann klingt das alles wie schon x-mal gehört: Der Dissens mit dem Vater und dem Arbeitgeber in Frisurfragen; die Studienreise ins nahe Ausland als Initiation der privaten Revolte und Antizipation späterer Ausbrüche; die Rockmusik als Rückenstärkung, ein bisschen Lektüre, Sartre, Kafka, Mitscherlich, und nicht zuletzt das Acid als chemischer Büchsenöffner für das Bewusstseins.

Es ist eine einigermaßen typische Hippie-Sozialisation, die Timmerberg vorweisen kann, aber die Konsequenz, mit der er sich dieses antibürgerliche Programm anverwandelt und es auch noch durchzieht, als die Hymnen abgesungen waren und den hehren Idealen längst schon wieder der Fassonschnitt verpasst wurde, zeichnet ihn eben doch aus als einen true believer. Er treibt sich herum in der Welt, überführt ohne Führerschein mit 17 Jahren einen Autobus durch den Iran nach Afghanistan, bereist Pakistan, Indien, Thailand „und nahezu jedes südostasiatische Land, auch Shanghai, Hongkong, Tokio, die kompletten USA (außer Alaska) und das komplette Europa (außer Norwegen und Irland), vom afrikanischen Kontinent sah ich Ägypten, Marokko und Uganda, und ich war auch noch im Libanon, in Syrien und Belize (Mittelamerika)“. Er lebt zwei Jahre auf Kuba und sieben in Marrakesch, aber da ist er schon Schriftsteller, Reporter für diverse Zeitungen und Magazine wie „Playboy“, „Geo“, „Merian“, nicht zuletzt „Tempo“.

In den Achtzigern profiliert er sich als eine Art deutscher Hunter S. Thompson. Und dessen Imago aus Exzess, dreistem Spesenrittertum, Macho-Attitüde, unbedingter schriftstellerischer Professionalität und „Gonzo“-Chuzpe, die meistens erst die Geschichte hervorbringt, sitzt auch Timmerberg wie angegossen. Kein Wunder, dass sich die beiden nach anfänglicher Sympathie bald ziemlich auf die Nerven gehen, als der Eleve Timmerberg eine Weile beim Großmeister logiert. Seine Bewunderung für das Werk jedoch bleibt von Animositäten gänzlich ungetrübt: „Diese Konsequenz, diese absolute Recherche, diese Tiefenausleuchtung des Themas brachten etwas in den Journalismus, das vorher nur in Krankenberichten von Nervenheilanstalten zu lesen gewesen war.“

„Der Jesus vom Sexshop“ (Rowohlt, 18,95 EURO) ist erst Timmerbergs zweite Sammlung mit Reportagen nach „Tiger fressen keine Yogis“. Erstaunlicherweise, denn das ist sein Format, dessen Dramaturgie er intuitiv beherrscht. Und seine Expedition durch den Amazonas-Regenwald ist nicht nur eine grandiose Abenteuergeschichte, sondern zugleich auch eine existenzphilosophische Meditation über Grenzsituationen. Timmerberg soll ruhig weiter seine Schubladen plündern. Frank schäfer

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