This land is Antifolk
In einer interessanten Genrestudie baut Martin Büsser einen Stammbaum des New Yorker Antifolk und stellt gewagte politische Kontinuitäten her
Antifolk? Welcher Folk? Gegen was? Welche Folks? Gegen wen? Auf Deutsch wird’s nicht leichter: Wie verhält sich Folk zu Volk? Folkmusic zu Volksmusik? Woher kommt das „s“ zwischen Volk und Musik? Einige dieser Fragen beantwortet Martin Büssers Bestandsaufnahme der jungen – im Greil Marcusschen Sinne zugleich doch so old american – Gattung Antifolk. Wie Marcus das an Dylans Werk durchexerziert, so bemüht sich Büsser um eine historische Verortung dieser disparaten Szene(n), der in den späten 9oern das Label „Antifolk“ verpaßt wurde.
Weil es schlau vermarktet und historisiert wurde, ist das Genre Antifolk mehr als nur die Summe seiner Teile. Wer kennt schon mehr Antifolk-Artisten als die Moldy Peaches und ihre Teile: Adam Green und Kimya Dawson? Jeffrey Lewis, okay, Dufus? Schon weniger. Interessant wird Antifolk durch den Kontext, den ihm seine Fürsprecher zimmern. „Von Beck bis Adam Green“ heißt es zwar im Untertitel, tatsächlich aber konstruiert das Buch eine Ahnenreihe zurück zu den Gründervätern des Folk. Zu Woody Guthrie und Pete Seeger, Zu den Hootenannies, den Open-Mic-Abenden für Amateure, die Antifolk in Greenwich Village wiederbelebt hat.
Büsser verfolgt die Verpuppungen und Inkarnationen des Folk, um Antifolk als deren vorerst letzte zu deklarieren. Die so entstehende Ahnenreihe enthält die üblichen Verdächtigen (Dylan, Harry Smith, David Peel), aber auch überraschende Einträge. So erfahren wir, daß Jeffrey Lewis im Plattenschrank seiner Mutter die Fugs entdeckte, und lernen daraus zweierlei: daß Polit-Rock-Freak-Folks wie Kupferberg, Sanders oder Ginsberg Spuren hinterlassen haben und der Generationskonflikt auch nicht mehr der alte ist. Zu den Vorläufern des Antifolk zählt Büsser auch die Genialen Dilettanten. Die Westberliner Kleinbewegung um Die Tödliche Doris und die frühen Neubauten machte ihren Dilettantismus ja schon orthographisch zur Waffe.
Auch wirklich geniale Dilettantinnen werden gewürdigt. Die Shaggs als Anti-Girlgroup wider Willen, die Raincoats als historische Klammer zwischen Punk, Küchenfolk und Riot Grrrl. Und vor allem Maureen Tucker. Die Velvet Underground-Schlagzeugerin wird ja gemeinhin für ihr tribalistisch Olatunji-haftes Primitiv-Trommeln geschätzt. Büsser erinnert uns daran, daß das von ihr gesungene „After Hours“ die „Geburtsstunde der Teenage Angst im Gewand eines Naive Pop“ war. Ebenso logisch, daß Naive-Pop-Protagonisten wie Jonathan Richman und Calvin Johnson beim Antifolk Pate standen. Das Buch entwirft ein reizvolles Patchwork der Folks und Folkismen, eine Genealogie einfacher, aber nicht einfach gemeinter Leftfield-Musik, die handwerklich leicht erlernbar ist, die zu erfinden aber Ideen, Wachheit, politische Klugheit, ästhetischen Mut usw. erfordert.
Um eine Kontinuität vom explizit an politischen Topics arbeitenden Folk der frühen 6oer Zu den spielerischen Antifolk-Vignetten eines Adam Green herzustellen, müssen allerdings Widersprüche ausgeräumt werden. Um Antifolk die gewünschte politische Okayheit attestieren zu können, braucht es da einige interpretatorische Kapriolen. So muß unter den Tisch fallen, daß der punkaffizierte Agit-Folk eines Billy Bragg (angeblich Erfinder des Begriffs „Antifolk“) sich historisch gegen hippieske Dropout-Folks wie Pearls Before Swine oder die Fistel-Freakshow eines Tiny Tim in Stellung brachte. Braggs Gitarre sollte Fascists killen, wie einst Woodys. Um den Antifolk politisch zu nobilitieren, pickt sich Büsser die Rosinen vom musikalischen Stammbaum. Wenn er dem wunderlichen Richman bescheinigt, seine „zur Schau gestellte Kindlichkeit“ wirke wie ein „antikapitalistisches Gegenmodell zur leistungsorientierten Erwachsenen-Welt“, dann erleichtert er das politische Gewissen von uns Immer-noch-Richman-Fans und adelt en passant seine Antifolkies. Die tragen ihre Kindlichkeit ja gerne mal in Einhornkostümen spazieren und kritzeln mit dem Edding niedliche Figuren auf Fan-Shirts. Wenn er feststellt, daß „das Pseudokämpferische der Rockistenfraktion als Gegenentwurf zum Bestehenden ausgedient hat“, dann erspart er uns die Mühe, das neue Foo Fighters-Doppel-Album auf doch irgendwie interessante Songs abzuscannen. Sein Umkehrschluß zugunsten der Antifolk-Wimps ist hingegen ebenso schlicht wie gewagt: „Die neuen Nonkonformisten an der Akustik-Gitarre geben sich defensiv und geschwächt und verweigern sich so einem auf Arbeitszwang, Vitalität und Virilität basierenden Leistungsprinzip.“ Als Kronzeuge dieses „großen Nichteinverstandenseins“ fungiert Magnus Klaue. Dem gelingt es „ausgerechnet in der konservativen FAZ, die Musik der Moldy Peaches dialektisch zu erfassen“. Die ostentative Kindlichkeit der Moldy Peaches feiert er als „Weigerung, sich einem Kulturbetrieb anzudienen, in dem Erwachsensein, wie schon Adorno wußte, oft genug nur ein anderes Wort für Regression ist“.
Nicht jeder Rückzug ist gleich aber subversiv, und nicht jede Schwäche gleich eine Verweigerung, und wie problemlos ein neuer Nonkonformist den Leistungsprinzipien der Unterhaltungsindustrie genügt, das hat der Aufstieg des Adam Green gezeigt. Der „Greenmania“ widmet Büsser ein ganzes Kapitel. Die enttäuschte Liebe des frühen Entdeckers, der sein Juwel jetzt mit den Massen teilen muß, verbirgt er nicht. Aber auch aus dieser Enttäuschung schöpft er neue Hoffnung und verschaltet die von Green in relativer Anonymität zurückgelassene Graswurzel-Antifolk-Szene mit Jean-Francois Lyotards Utopie vom Patchwork der Minderheiten. So ganz traut Büsser seinem Zweckoptimismus jedoch nicht. „Die Musiker der Antifolk-Szene hebeln den Kapitalismus nicht aus, sondern haben ihm ein menschlicheres Antlitz verpaßt. Der Widerspruch bleibt bestehen.“ Dem ist nicht zu widersprechen.