These Poison Years
Joachim Hentschel und Arne Willander über die acht Platten, die später Grunge und Alternative Rock möglich machten
Land Speed Record (1981)
Eines der erschütterndsten Dokumente des Post-Punk: In Explosionen von höchstens anderthalb Minuten Dauer entladen sich Gewitter von Wut, Krawall und Unvermögen. Der absolute Nihilismus in gebrüllten Slogans: „Don’t Try To Call“, „I’m Not Interested“, „Don’t Have A Life“, „Let’s Go Die“. Auf dem Cover: Särge mit den Leichnamen amerikanischer Soldaten auf dem Rücktransport. Böse. 3,0
Everything Falls Apart (1983)
Ohne den Adrenalin-Amphetamin-Schub der „Land Speed“-Live-Platte billig in L.A. aufgenommen, heute maximal ein Dokument: Die zwölf Stücke sind zwischen (immerhin!) zweieinhalb Minuten und 30 Sekunden lang, die politische Kampf-Attitude schlägt sich eins zu eins nieder. Unter dem Trümmer-Hardcore liegen Hinweise auf die spätere Glorie: das folkige Titelstück und ein Donovan-Cover! 2,5
Metal Circus (1983)
Eigentlich ein Mini-Album, weil im Studio nach sieben Liedern der Strom ausfiel – trotzdem kaum kürzer als der Vorgänger, weil die Lieder länger sind. In „Real World“ rechnet Mould mit den Punks ab, die Tendenz zur Melodie ist bei Harts Songs am stärksten, „Diane“ wird zum Klassiker: ein Road-Song aus der Perspektive des Lustmörders, prompt gibt es Gewaltverherrlichungs-Vorwürfe. 3,0
Zen Arcade (1984)
Die Doppel-LP, nach dem im US-Underground nichts mehr wie vorher war – die Band wurde später noch besser, aber hier wuchteten sie den Hinkelstein, der unten im brüllenden Ameisendreck steht und mit der Spitze in die Wolken ragt. Die verlorener-Sohn-Parabel, in Reagans USA verlegt, mit E-Folk-Harmonie, Hackebeil-Punk, Piano-Interlude und 14 Minuten reinem Verzerrer-Jazz. 4,5
New Day Rising (1985)
Im Rückblick ein Kampf der Giganten. Hart fabuliert wie ein Minnesänger in siedendem Öl über Mädchen mit Hügelhütten und UFO-Fernrohren, während Mould als Blausäure-Sozialprophet häusliche Gewalt anprangert und aufdeckt, wie scheiße der Sommer ist. Die Dichte an fantastischen Liedern klappt einem die Kinnlade runter – und der Säge-Sound ist sicher kein Produktionsfehler. 4,5
Flip Your Wig (1985)
Mould und Hart produzierten diesen perfekten Reigen von Lärmliedern, die man auf Vinyl hören muss. Mit „Makes No Sense At All“, „Flexible Flyer“, „Games“, dem unheilvoll simmernden „Find Me“ und „Hate Paper Doll“ gelangen Meisterstücke. Den vielleicht größten Dü-Song schrieb Hart: „Green Eyes“, das Harts naive Euphorie und Moulds schneidendes Gitarenspiel exemplarisch verbindet. 4,0
Candy Apple Grey (1986)
Der Einstand bei Warner, von Harts irrlichternder Orgel um eine Klangfarbe bereichert. Hart brilliert auch mit „Sorry Somehow“ und „Don’t Want To Know If You Are Lonely“, Mould schrieb seine schwärzesten Songs überhaupt: „Too Far Down“ und „Hardly Getting Over It“, akustische Leidenslieder, die den Weg bereiteten zu der Seelenschau von „Workbook“. 4,0
Warehouse: Songs And Stories (1987)
Zum Abschied ein behäbiges Doppelalbum, dem die frühere Kohärenz und Schärfe fehlen. Hart gravitierte zum Seemannslied („She Floated Away“) und zum einfachen Pop-Song („Too Much Spice“), Mould gefiel sich in barockem Pathos („Friend, You’ve Got To Fall“). Die Texte verblüffen mit kindlichem Fabulieren und Moralisiererei, der Sound ist verhallt – die Drogen hatten ihre Arbeit verrichtet. 3,0