Theaterkritik: „Salome“ im Sumpf – mit Songs von Tom Liwa

Eine Premiere mit gar nicht so viel Blut, grotesken Momenten – und ganz schön harter Musik von Tom Liwa

Wie blutig wird’s wohl? Das ist eine berechtigte Frage, wenn Oscar Wildes „Salome“ und der Regisseur Stef Lernous zusammenkommen. Und wie verrückt wird’s, wenn auch noch Tom Liwa die Lieder dafür geschrieben hat? Die Antworten im Theater Oberhausen: gar nicht so und ziemlich.

Es ist Oscar Wildes brutalstes Stück unter all seinen die menschlichen Schwächen sezierenden Dramen: „Salome“, 1893 geschrieben, spielt am Hof des Herodes, der seine Tochter etwas zu gerne ansieht, während sie sich nach dem Propheten Jochanaan sehnt. Als der sie einfach nicht küssen will, fordert sie seinen Kopf in einer Silberschüssel – als Belohnung für den Tanz, den sie ihrem Vater geboten hat. Salome bekommt ihren Willen, aber auch sie bezahlt dafür. Es gibt keine Moral in dieser Tragödie. Es gibt den Schlüsselsatz „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“

„Salome“: v.li.n.re.: Torsten Bauer, Daniel Rothaug, Ronja Oppelt

Der belgische Regisseur Stef Lernous liebt Abgründe und Horror, seine Theatergruppe heißt nicht umsonst „Abattoir Fermé“ (geschlossener Schlachthof). Tom Liwa war ganz froh, dass er sich nicht als Satanist herausstellte, sondern als sehr angenehmer Mensch mit immer neuen Ideen und viel Liebe zum Detail – so klappte die Zusammenarbeit auf Anhieb. Und das Ergebnis wurde vom ausverkauften Haus nach zwei höchst interessanten Stunden entsprechend begeistert beklatscht.

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Wer Oscar Wildes „Salome“ im Kopf hat, kann anfangs schon hirnwütig werden, wenn er auf Lernous‘ Inszenierung blickt: Die Leute, die auf der Bühne stehen, sprechen den Text zwar recht originalgetreu, aber statt vor einem Königshaus sitzt man in der White-Trash-Hölle: ein schäbiger Wohnwagen im Hintergrund, ein Sumpf, der Wein kommt aus Dosen, Herodes trägt Bademantel und Adiletten. Es herrscht eine unheimliche Atmosphäre, und das liegt nicht nur an den Gesichtern, die bleich wie der Mond sind, es ist eine Mischung aus Verzweiflung und seelischer Verwahrlosung.

Ein Dutzend Lieder von Tom Liwa

Die Musiker stehen mit auf der Bühne, mehr als ein Zuschauer sagt nach der Aufführung: „Eigentlich habe ich das Werk durch die Songs besser verstanden als durch die Dialoge.“ Na, das hätte Oscar Wilde wohl nicht begeistert, aber andererseits war er ja ein Wahrheitsfanatiker. Ein Dutzend Lieder hat Tom Liwa für „Salome“ geschrieben, einige davon singt er selbst, andere werden von den Schauspielern interpretiert. Der Begriff „Weird Folk“ klingt zu gewöhnlich für die manchmal melancholischen, manchmal sehr heftigen Stücke. Vor allem Clemens Dönicke als Page ist wunderbar schwermütig, wenn er „Meine schwarze Seele“ singt, auch Susanne Burkhard hat als Herodias bei „Papa Papa“ einen starken Moment – es ist der härteste Song im Programm: „Sauberes Mädchen, lieb und unbeleckt/ Die bringt Papa gerne ins Bett/ Er zieht ihr Hemdchen an, er zieht ihr Höschen aus/ Papa, Papa – mag sein Fleisch zart…“ Der Hit ist allerdings das Duett „König und Königin“, bei dem das menschliche Drama und der absurde Witz aufs Eindrucksvollste zusammenkommen. Würde, aus dem Kontext gerissen, der Schimpfwörter wegen hier vielleicht doch zu sehr irritieren.

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Der maximale Widerspruch zwischen dieser drastischen Direktheit und Wildes eleganten Worten macht, wie der zwischen Text und Bühnenbild, natürlich den Reiz aus, ebenso die erstaunliche Besetzung: Daniel Rothaug als Jochanaan ist kein unwiderstehlicher Typ, bei dem sofort klar wäre, warum Salome ihn unbedingt will, sondern ein Nerd mit Brille und zarter Stimme, die nur gefährlich wirkt, weil sie so furchtlos den Schrecken verkündet. Der Mittelpunkt bleibt freilich Salome, von Ronja Oppelt herrlich gemein gespielt. Auch die Prinzessin von Judäa sprengt die Erwartungen, sie schreit und zetert, sie wickelt alle um den Finger, nur den einen kriegt sie eben nicht. Und als sie schließlich für Herodes tanzt, braucht sie keine Schleier, um ihm den Verstand zu rauben… Weil die gnadenlosen Machtspielchen zwischen Vater und Tochter so deutlich herauskommen bei dieser Aufführung, ist es schwer zu schlucken, wenn die Groteske in einigen Momenten ins allzu Hysterische kippt. Da weiß dann auch das Publikum nicht, ob es lachen oder wegschauen soll. Aber Verwirrung ist ja nicht immer was Verkehrtes.

Infos zu den weiteren Aufführungen: www.theater-oberhausen.de

Finn Hege
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