The White Stripes bringen den Blues an den Punk
Kinderspielchen mit Delta-Klassikern, singende Schulklassen, eine Mystik um die Zahl 3 und ein Hohelied auf den Folksong - The White Stripes sind die sonderbarste Band des jungen Rock-Revivals, zugleich eine der erfolgreichsten. Ein rotweiß-gestreifter Streifzug durch ihre Welt und ihr neues Album "Elephant" (Veröffentlichung: 7.April)
Immer wieder, selbst in den Nuller-Jahren des neuen Jahrtausends, hört man diese Erfolgsmeldungen – es sei jeglicher Art von Karriere sehr zuträglich, wenn man einen Pakt mit dem Teufel schließt Aber keine Angst.Jetzt kommt nicht etwa die bis zum Wegwerfen erzählte Geschichte des Sängers Robert Johnson, der sich nachts an der Straßenkreuzung von einem dunkelhaarigen Mann die Gitarre stimmen ließ, plötzlich den Blues spielen konnte wie der Herr über die Elemente und den Rest seines Lebens auf der Flucht vor Höllenhunden war. Die Geschichte hätte gut hierher gepasst, weil Jack White von den White Stripes mit 27 bekanntlich der (nach Keith Richards) jüngste Rock’n’Roll-Star ist, der sagt, wie wichtig ihm die Musik von Robert Johnson ist. Doch Jack White hat den Teufel selbst getroffen, und sicher ist das der Grund, warum er so gut spielt Es könnte auch ein verkleideter Engel gewesen sein, auf jeden Fall war er dunkel, runzlig, und guckte aus dem Fernseher. Jack war 14 oder 15, wohnte mit neun Geschwistern in dem Haus in Detroit, in dem er heute noch lebt, saß auf dem Sofa und schaute sich auf Video eine Folge der damals beliebten Reihe „Rock School“ an. Jedes Mal eine Stilart in 45 Minuten, an diesem Nachmittag der Blues. Der dunkle Mann hieß King (wahrscheinlich Earl King – B.B. oder Albert seien es nicht gewesen, weiß White noch). Er stimmte die Gitarre, rief „Schaut mal, was man mit drei Noten alles machen kann!“ und spielte das Solo, das Jack White auf Wunsch gerne vorsummt. Im selben Moment vergaß der Bub vor dem Fernseher wie von Teufelshand drei Viertel von dem, was er schon auf der Gitarre gelernt hatte, und dachte laut: „That’s what I should be doing.“ Drei Noten. Jack White ist sanft besessen von der Zahl. In der eng definierten Ästhetik, die seiner Band zugrunde liegt teilt sich alles durch drei: die drei musikalischen Koordinaten Melodie, Rhythmus und Storytelling, die drei Farben auf den Plattencovern und Fotos und im Erscheinungsbild (schwarz mitgerechnet). Dass The White Stripes nur aus ihm und Schlagzeugerin Meg White bestehen, macht nichts, weil der Gesang extra zählt, also drei Instrumente.
Jack White ist nicht abergläubisch, allerdings hat er eine Art magische Weltsicht, und die Ereignisse bestätigen ihn. Als er vor fast sechs Jahren ein schickes Zitat für das Cover der ersten White Stripes-Single „Let’s Shake Hands“ suchte, schlug er beim Trödler ein altes Lexikon mittendrin auf und las einen Spruch von George Washington über das USA-Banner: „We take the stars from the blue Union of heaven, the red from our mother country, separating it by white stripes“ and the white stripes shall go down to prosterity, representing liberty.“ Mit dem Zippo (auf dem eine 3 steht) zündet er sich viele Zigaretten an (rote Gauloises, die er nur in Europa kriegt) und erzählt, wie er jeden Tag irgendwo das Bild eines Elefanten gesehen hat, seit Meg und er vor einem Jahr entschieden haben, das neue Album „Elephant“ zu nennen. Er schaut bübchenhaft, lacht ungehemmt stotternd und wirkt selbst dabei so ernst. Man kann nicht widersprechen, wenn Jack nach Jacks Regeln das Universum skizziert, denn: Er könnte wie ein Kind in Tränen ausbrechen oder einem mit Würgegriffen an den Hals fahren. Meg sagt wenig. Sie ist auch ein Jahr erwachsener.
Das unwahrscheinlichste aller bereits eingetretenen Ereignisse kommentieren die White Stripes nur unwillig und knapp, weil sie als Indie-Band gelernt haben, Erfolg als niederes Gut abzutun. Vergangenen Mai beispielsweise waren sie der verstörendste Pausenfüller, den es bei den „MTV Movie Awards“ in Hollywood je gegeben hatte: „Fell In Love With A Girl“, 110 Sekunden nur, eines ihrer schepperndsten Garagen-Punk-Stücke spielten sie dort, Meg auf dem Podest, Jack zu ihren Füßen, die Bühnentreppe gefüllt mit rot-weißen Fans, die sie über ihre Internet-Seite angeheuert hatten. Natürlich ist das Rock-Revival schon länger offiziell und gilt als veritabler point of sale, aber die White Stripes rochen doch gegen den Wind wie genau die Band, die das Special-Interest-Publikum am ehesten bis zum Schluss für sich behalten würde.
Weil die Musik eine so individuelle Marke hat (nicht nur durch den fehlenden Bass), weil sie so Lo-Fi ist, weil Jack White einem mit einer kriechenden Bluesrock-Gitarrenfigur so sehr auf die Nerven gehen kann, dann mit einem Wimpernschlag zu Meg das Tempo verdoppelt (Power-Pop), heult wie eine hungrige Ratte und alles in eine Blind-Willie-McTell-Coverversion überlaufen lässt. Es geht nicht um die Vielseitigkeit – es geht darum, dass die White Stripes scheinbar ohne ausbaldowerte musikalische Ideen operieren, dass sie aber direkt aus dem Urschlamm, der Blues, Rock’n’Roll und Punk nährt, immer wieder unglaubliche Kraft ziehen. Als ob sie alles aus der einen „Rock School“-Folge hätten und trotzdem ewig weiterspielen. Der Ein-Mann-Kapellen-Abzählreim „Hotel Yorba“ war ein eindeutiger Hit der Rest ist großteils widerspenstige, unpoppige Musik. Trotzdem 750 000 verkaufte Exemplare vom dritten Album „White Blood Cells“.
„Viele finden uns wohl erst mal süß und sehen den shock value“, sagt Jack White. „Aber unser Image ist nur die Zuckerschicht die wir um den Kern legen, der uns eigentlich wichtig ist, nämlich die Hingabe an die Blues- und Folkmusik. Die ganze Ausgestaltung, also wie ein Lied gesungen wird, wie der drum beat klingt, wie man sich auf der Bühne bewegt, das zählt für mich alles nur als Mittel, um die Leute auf die Geschichte aufmerksam zu machen, die man erzählen will. Alles, was zur Erzählung direkt nichts beiträgt, ist ein Teil des big trick. Jede Band macht das auf ihre Art Manche beherrschen den big trick gut, manche nicht so.“
Der big trick des Bob Dy lan sah zum Beispiel vor, dass 1965 auf dem Collagen-Foto vom „Bringing It All Back Home „-Cover Robert Johnsons Jung OfThe Delta Blues „-Platte zu sehen sein musste. Die stand weder zufällig noch zwangsläufig in Dylans Wohnzimmer herum, anders als in archetypischen Rock’n’Roll-Geburtsgeschichten wie Jack White wählte den Blues nur deshalb, weil er ihn so schön fand. Das Folk-Revival der frühen sechziger Jahre hatte noch einen friedenspolitischen und antirassistischen Kontext, den gibt es nicht bei den White Stripes. „Ich bin mir so sicher“, glüht Jack White, „dass der American Folk Song vom Anfang des 20. Jahrhunderts der ewige Höhepunkt aller Songschreiberkunst ist. Blues came in, und zum Glück haben sie ihn auf Platten gepresst, warum auch immer. Die drei Komponenten Storytelling, Rhythmus und Melodie, die für mich Musik bedeuten, sind nirgendwo so klar wie hier. Blues ist so einfach zu spielen, so einfach zu verstehen und so aufrichtig: Der Sänger hat seine Geschichte, und der Hörer kommt da sofort rein durch die vielen Wiederholungen und… ich will nicht, dass das übertrieben technisch und nerdig klingt. I think there’s something Godgiven and blessedabout the blues music.“
Wer die ersten drei White-Stnpes-Platten ganz gut fand, wird von „Elephant“ einen gewaltigen Rüsselschlag bekommen. Aufgenommen in einer Netto-Einspiel-Zeit von sieben Tagen auf acht Spuren in London, ist die Doppel-LP eine Nussschalen-Odyssee durch ausnahmslos alle emotionalen Unwetter, von den ersten Fuzz-Tönen des finster bewölkten Rhythm’n’Blues-Riffs „Seven Nation Army“ bis zum akustischen Country-Chat „It’s True That We Love One Another“, einem call-and-response-Kaffeekränzchen zwischen Jack, Meg und der Sängerin Holly Golightly (der White im Song das schönste Hobo-Kompliment macht: („I got your phone number written in the back of my bible“), mit dem die Platte friedlich ausschippert.
Es gibt eine Bacharach/David-Coverversion, es gibt ein sehr langes Led Zeppelin-artiges Stück mit mehreren Gitarren-Soli, in dem White auch textlich näher denn je an der Erzählstruktur des Talking Blues ist, es gibt ein Lied mit einem geisterhaften lead vocal von Meg White, für das Jack sich vor eine Orgel kniete und die Basspedale mit den Händen drückte. In „Little Acorns“ hört man einen Detroiter Radiosprecher, der eine Seelsorge-Geschichte erzählt: vom Mädchen, dass sich ein Beispiel daran nimmt, wie die Eichhörnchen allen Widernissen zum Trotz ihre Nüsslein sammeln. Man habe das bei den Demo-Sessions auf einem alten Band entdeckt, wieder so eine Überzufälligkeit, Die Geschichte schien direkt am roten Faden der Platte zu hängen.
„Elephant“ beklagt programmatisch „the death of the sweetheart“. „Weil sich die Idealvorstellungen davon, wie ein Mensch zu sein hat, so stark geändert haben“, sagt Jack White. „Ein gentleman oder ein sweetheart zu sein, scheint heutzutage falsch und uncool zu sein. Die Leute erziehen sich selbst zur Härte, sie brauchen schon als Teenager Tätowierungen und Piercings und glauben, man müsse so gefühlskalt wie möglich sein. In Amerika ist das eine richtige Krankheit geworden, es ist ekelhaft.“ White ist kein Mahner, sondern ein feuriger Fortschrittsverächter, er magkeine Autos und Telefone (nicht Handys, sondern Telefone überhaupt) und lobt die dreißiger Jahre als „goldenes Zeitalter Amerikas“. „Elephant“ wurde an Journalisten nur als Vinyl-LP verschickt, weil Jack White nicht will, dass jemand darüber schreibt, der keinen Plattenspieler hat (was die Firma gut fand, weU es auch das MP3-Problem löste – das erste Exemplar, das aufEbay erschien, brachte dem Verkäufer 199 Dollar). Darüber, wie stark Whites kultureller Konservatismus seine Haltung gegenüber Frauen berührt, gibt es Mutmaßungen. Er ist sicher kein Feminist.
Man muss an der Stelle noch mal kurz dem Irrglauben widersprechen, der Blues sei eine besonders gefühlsechte, in diesem Sinn vorzivilisatorische Ausdrucksform. Kaum eine andere Musik hat so strenge Regeln, eine so enge Formelsammlung, kaum eine andere Musik lässt sich deshalb so gut improvisieren oder veräppeln. Obwohl die White Stripes wie andere nachgewachsene Bluesrocker kein einziges der Gebote vorsätzlich befolgen, ist das für den jungen Zahlen- und Farbenmystiker an sich eine tolle Sache. „Ich mag es, mich selbst unter Druck zu setzen. Ich bin am kreativsten, wenn ich auf irgendeine Art eingesperrt bin“, sagt White. „Deswegen arbeiten wir so, lassen uns wenig Zeit, gehen zum Aufnehmen in andere Städte, wo wir niemanden kennen.“ In der Chefetage von XL Records wurde wieder geklatscht. Man vermutet, dass „Elephant“ (wie in Hollywood („My Big Fat Greek Wedding“) zur profitabelsten Platte der Pop-Geschichte werden wird, weil sie nur 6 OOO Pfund gekostet hat und man dank der Präsenz in Mainstream-Medien mit mindestens einer Million Auflage rechnet.
Jack White hat einiges ausprobieren müssen, um den klarsten Formalismus zu finden. Unter seinem echten Namen Jack Gillis hat er für die klamaukigen Cowboy-Rocker Goober And The Peas mit Stetson getrommelt, mit seinem Ausbildungsmeister aus der Möbelpolsterei hatte er ein schrulliges Kunst-Musik-Projekt. „Einer meiner Grundsätze ist, dass ich mich von jeder Form von Humor fernhalten will“, sagt er heute. „Bloß nichts machen, wo der Humor im Mittelpunkt steht Zwischen den Zeilen ist es okay, aber je fröhlicher die Musik wirkt desto mehr entfernt man sich von der Unmittelbarkeit des Blues. Man identifiziert sich doch am meisten mit den schwierigen Geschichten.“ Die kommen nicht von ihm selbst, die muss er sich ausdenken. Zum Gründungspamphlet der White Stripes gehörte auch, dass Meg seine Schwester sein muss. Reporter in Detroit haben die Heirats- und Scheidungsurkunden der zwei gefunden, die Scans auf der Leinwand. Eine Band für Kinder, die glauben, Meg und Jack seien im wahren Leben Comicfiguren. „Das sind unsere zwei Seiten, das kindisch Primitive und das Regelhafte. Die kindliche Seele, die sich im Rahmen eines erwachsenen Konzepts bewegt“ Als Jack White Ende letzten Jahres im verschneiten Transylvanien seinen Part im Bürgerkriegs-Epos „Cold Mountain“ spielte, machte er aber nur das, was Regisseur Anthony Minghella ihm sagte, mit Filmen kennt er sich schließlich nicht aus. In seiner Lieblingsszene musste er einen toten Hirsch ans Lagerfeuer bringen und fragen: „Glaubt ihr, wir können den essen?“
Am Ende sind es immer die gleichen Fragen, von denen, die nicht verstehen oder glauben wollen, dass Jack White noch viele Parabeln erzählen muss über Verfehlung und Verwirrung in einer Welt, die neuesweethearts braucht. „Wann holt ihr euch einen Bassisten? Wann expandiert ihr?“, zitiert White, „und wir sagen nur: Nie! Wir wollen nicht wachsen und uns weiterentwickeln. Because that ’s not thepoint ofthe band. Kann schon sein, dass wir irgendwann anfangen, uns zu wiederholen. Vielleicht geWebsite gloriousnoise.com sind mittlerweile unterdrückt Es ist Jack White tatsächlich nicht egal, ob er richtig oder falsch verstanden wird. Jegliche Unscharfe nennt er nur „lazy artistic expression“.
Würde man nicht wissen, was dieser rittmeisterlich geführte Betrieb für wilde Musik spielt, und wäre Jack White nicht aus purem Talent ein so großer Sänger und Gitarrist und Meg White keine Drummerin mit einer so unverwechselbaren Schlagsprache – auf dem Papier hätte das mit den White Stripes ganz schön in die Hose gehen können. Unter den günstigen Umständen bündelt das Prinzip der Selbstbeschränkung allerdings alle Stärken: Neulich kam sogar Post von einer Lehrerin aus Michigan, die mit den Erstklässlern den Stripes-Song „Apple Blossom“ einstudiert hatte, die Videoaufzeichnung davon läuft nun oft vor den Shows auf fallt das den Leuten trotzdem. Wie bei den Ramones.“
Eine Maxime der White Stripes hat die Zeit nicht überlebt. Anfang Oktober ließen sich Jack und Meg für ein Gratis-Open-air in Manhattan verpflichten, das von Nissan gesponsort wurde. Im Bühenhintergrund war zwar kein Banner, aber das Foto eines Autos, also fast schon Werbung. Die White Stripes spielten zur Mittagspause, es muss ein Idyll gewesen sein, wie die Fensterputzer applaudierten und 9 000 Zuhörer mit ihren Sandwich-Henkelmännem am Ende mit Jack White „Boll Weevil“ von Leadbelly sangen, nachdem die Polizei den Strom abgedreht hatte:, Jack White, he’s a looking for a home, he’s looking for a home…“ Wenn Jack White alte Standards covert, baut er sich gelegentlich selbst in den Text ein. Diese Maschine killt Puristen.