The Untouchables
Als genialische Studio-Tüftler und Songschreiber machten ich Walter Becker und Donald Fagen in den 70er Jahren einen Namen. Jetzt hat sich das nach einem Dildo benannte Duo überraschend zu neuen Großtaten aufgerafft, immerhin 20 Jahre nach ihrem letzten Album. "TwoAgainst Nature" heißt ihre meisterhafte Comeback-LP: Steely Dan do it again.
Das Fernsehen kriegt alles klein. Genie oder Idiotie, die Mattscheibe macht da nur marginale Unterschiede. Dumpfbacken gewinnen durch die flimmernde Aura. Wer indes mit Intelligenz geschlagen ist und Talent nicht nur vortäuscht, erfahrt das Nivellement als Zwangsmaßnahme. Walter Becker flucht innerlich, bleibt nach außen aber gelassen, während ihn die TV-Kameras umkreisen. „Mir ist der Zirkus genauso zuwider wie Donald“, konstatiert er später, „aber ich kann ihn besser ignorieren.“ Donald Fagen, seit jeher kamerascheu und ohnehin kein Genießer öffentlicher Auftritte, macht im Rampenlicht eine unfreiwillig komische Figur. Die Schultern defensiv hochgezogen, das Keyboard umgehängt und ganz in schwarz, stakst er auf der Bühne herum wie eine mürrische alte Krähe. „Ich werde mich nicht mehr daran gewöhnen“, sagt Fagen und meint die mediale Inszenierung einer musikalischen Darbietung, „aber da müssen wir wohl durch“. Der Mann leidet. „Look attractive“, weist der Animateur das Publikum ein, „be enthusiastic!“
Wir befinden uns in den Sony Studios, W54th Street, Manhattan. „Storytellers“ wird gefilmt, eine Sendereihe des Musikkanals VH-1, in der Künsder live auftreten und locker ihr Werk kommentieren. Hat mit Ringo gut geklappt, hatte ein paar wirklich witzige Anekdoten drauf. Und Johnny Cash mit Willie Nelson erst Haben sich die Bälle bravourös zugespielt. Gut geprobt ist halt halb gewonnen. Heute ist das anders. Steely Dan stehen auf dem Programm. Keine Clowns, keine gewieften Show-Veteranen. Ein No-Nonsense-Ensemble. Musiker. Komponisten. HiFi-Fanatiker. Akkord-Meister in Moll, Jazz-hochinfbrmiert und Pop-souverän. Perfektionisten. Die Intelligentsia der Rockwelt, die Sophisto-Twins, ein elitäres Gespann. So geht die Legende, an der Abstriche zu machen kein Anlass besteht Auch nicht für den quadratschädeligen Türsteher, der Becker und Fagen klar durchschaut: „Eggheads!“ Abschätzig sagt er das, fast feindselig. Und bezieht das Publikum gleich mit ein. Nur Brillen, null Bizeps. Nicht eine einzige adiletische Erscheinung, Pullis und Jeans an schlappen Körpern, niemand unter vierzig. Aber alle happy. Steely-Dan-Fans, die ihr Glück nicht fassen können.
Darüber, dass ihre Lieblingsband 20 Jahre nach ihrem letzten Studio-Album wieder da ist, völlig unverhofft. Und dass sie hier dabei sind, zu den 200 Auserwählten gehören. Einige haben bei einem Radio-Quiz reüssiert, andere haben einfach ihre Beziehungen spielen lassen. Wie auch immer, jetzt sind sie drin, und gleich werden ihre Helden von ehedem wiederauferstehen, die Verursacher hunderter Stunden audiophilen Hochgenusses. Da braucht es keine Mahnung, doch bitteschön Begeisterung zu zeigen.
Wie man mal eben auf Geheiß attraktiv erscheinen soll, wenn man darin nicht viel Übung hat, gibt indes schon Rätsel auf. Der Regisseur weiß Rat. Er sortiert die Fan-Fassade nach Anstrich und Geschlecht Ein
paar gut geschminkte „female persons“ werden in die erste Reihe komplimentiert, dafür müssen einige Barte im Halbdunkel zwischen den Lichtkegeln Platz nehmen.
Unmut regt sich. Nicht bei den bevorzugten Ladies, versteht sich. Fairness spielt im Feminismus dieselbe Rolle wie im Fußball. Taktische Fouls sind manchmal nicht zu vermeiden. Als Steely Dan anderntags von der Rochade erfahren, sind sie peinlich berührt „Wir hatten keine Ahnung und im Übrigen auch keinen Einfluss darauf“, beteuert Becker. Fagen zürnt: „Alles absurdes Theater. Leider kommt man nicht immer umhin, diesen Mumpitz mitzumachen. Wir haben den TV-Kram auf ein Minimum reduziert Okay, Letterman steht noch an, aber dann ist erst mal Schluss.“
„Sobald man sich als Rock’n’Roll-Musiker in die Hände von Fernsehleuten begibt“, sagt Becker milde ironisch, „all is lost“ Und, um ja keinen Zweifel am Ernst seiner Einlassung aufkommen zu lassen, fugt er gravitätisch hinzu: „That’s how I feel about it“ So gesehen, sei die „Storytellers“-Session eigentlich recht gut gelaufen, zumindest musikalisch. Eine Untertreibung. Was Steely Dan an jenem Abend des L Februar mit ihrer neu formierten Band hinzaubern, genügt höchsten Ansprüchen. Bass und Schlagzeug schaffen mühelos den Spagat zwischen metronomisch und funky, die zweite Gitarre korrespondiert gekonnt mit Beckers erster, ein zweites Keyboard sorgt für zusätzliche Färbung und entlastet Fagen, dessen Stimme tougher und trockener geworden ist seit den Siebzigern. Alte Favoriten bekommen einen neuen Kick. „The Boston Rag“, „Peg“, „Bad Sneakers“ und „Kid Charlemagne“. Verve und ein Verständnis zwischen den Akteuren, das niemals nur blind ist sondern stets auch Resultat von Kopfarbeit. Auch das ein Markenzeichen von Steely Dan: Die Blutzufuhr zum Hirn wird auch in lustvollsten Momenten nicht unterbrochen. „Do It Again“ wird im Refrain mit einem minor chord verdunkelt, wo vormals kalifornisches righton regierte.
Schon seinerzeit, 1972, in den Liner Notes zu Steely Dans Debüt-LP „Can’t Buy A Thrill“, war die Rede von „crisp and exacting music“. Becker schüttelt mitleidig lächernd den Kopf. Was sie doch für blutige Anfanger gewesen seien, frisch verpflanzt vom rauhen New York ins laue Los Angeles. „Wir haben zwar viel geübt damals im ABC/Dunhill-Gebäude“, erinnert sich Donald Fagen, „aber das Aufhahmeverfahren war neu für uns. Entsprechend unausgereift war die Musik.“ An das Vorläufer-Album^« Gotta WaikltLikc You Talkit“
die Musik zu einem Film-Flop mit Richard Pryor, mögen sie nicht einmal mehr denken. Das fiir Dan-Standards ausgesprochen krude Rock-Werk war 1970 unter dem Moniker The Original Soundtrack von Spark Records, einem kleinen New Yorker Label, veröffentlicht worden. Dahinter verbargen sich neben Becker und Fagen der spätere Dan-Mitstreiter Denny Dias und Drummer John Discepolo, der gar Gelegenheit bekam, sein Können in einer damals populären Disziplin zu beweisen: dem Schlagzeug-Solo. Doch klangen auch jene Stärken an, die man inzwischen als Dan-Signatur schätzt: die Jazz-Deklinationen, die Songstrukturen, die Texte. Etwa in „Roll Back The Meaning“: „Our Special losing streak, it can’t survive for long/ The time is right but something eise is wrong.“ „Filmmusik“, meint Walter Becker, der darin in den vergangenen Jahren einige Erfahrung sammeln konnte, „ist dann gut, wenn man sie im Kino nicht wahrnimmt, wenn sie die Bilder unterstreicht Was andererseits bedeutet, dass sie außerhalb dieses Kontextes an Wert einbüßt Es ist Gebrauchsmusik mit beschränkter Gültigkeit.“ Ein Wort in das Ohr von Soundtrack-Sammlern. Nach dem kommerziellen Fehlstart fanden Becker und Fagen einen festen Job als Hauskomponisten bei ABC. 125 Dollar in der Woche für jeden. „Kein Angebot, das man leichten Herzens hätte ausschlagen können“, kichert Fagen, „es war verlockend, weil leicht zu verdienen.“ Einschlägige Erfahrungen hatten die beiden Songschreiber, von der gemeinsamen Liebe zum Jazz zusammengeführt und beflügelt, bereits im berühmten Brill Building am Broadway gesammelt, wo ihre klug konstruierten Songs allerdings unverstanden blieben. „Die einen hielten uns für linkisch, die anderen für zu clever“, meint Becker, „wir drangen jedenfalls nicht durch. Unser Vorbild war Burt Bacharach. Besonders die Songs, die er für Dionne Warwick schrieb, hatten es uns sehr angetan. Seine Melodien waren so sophisticated, seine Akkordfolgen so gewagt, und dennoch erreichte er damit ein Massenpublikum. Große Kunst ist das.“
Eine Kunst, in der es Steely Dan bald auch zu unbestrittener Meisterschaft bringen würden. Zuerst mussten freilich die Probleme geschultert werden, die der neue Job mit sich brachte. Vor allem der Umzug nach LA. kostete viel Kopfzerbrechen. „Ich war davor noch nie dort, kannte aber natürlich alle Klischees über das Leben in L.A. Nichts davon war anziehend für zwei mit allen Wassern gewaschene intellektuelle Zyniker aus New York City. Zumindest hielten wir uns dafür. Und L.A. bediente unser Überlegensheitsgefühl ganz prächtig. Wir amüsierten uns köstlich.“ Fagen assistiert: „All diese überkandidelten, hohlköpfigen Wichtigtuer auf einem Fleck. Das hatte schon einen gewissen Unterhaltungswert.“ Um in der fremden Welt zu überleben, mussten sich die New Yorker eingewöhnen. Autofahren lernen, den Lebensrhythmus drosseln, bei Bedarf alle Fünfe gerade sein lassen. Und „Versuchungen nicht widerstehen“, feixt Fagen.
Der neue Job gewährte auch wertvolle Einblicke in die Mechanismen des Music-Business. Zwar waren Becker und Fagen keine heurigen Hasen mehr, sie hatten mit Jay & The Americans getourt, mit Jerry Leiber gefachsimpelt und ihre Jazz-Kennerschaft auf ein passables Niveau gehievt Jetzt jedoch waren sie Songlieferanten für ABC-Acts wie die Grassroots, John Kaye oder Three Dog Night.
„Ohne jede Fortune“, räumt Fagen ein, „aber was von uns erwartet wurde, war nicht weniger als die Quadratur des Kreises.“ Die beiden waren dazu ausersehen, diverse bis dahin brave Popgruppen mittels leicht schrägem Material einer jüngeren, mit der Mode gehenden Käuferschicht zu erschließen. Underground war das Zauberwort, ein pinkfarbenes Parallel-Universum, so weit es Walter und Donald betraf. A&R-Meetings, Charaden, Winkelzüge. Die beiden lernten das Biz von innen kennen. Und hassen. „Der Bullshit-Faktor“, so Becker, „stieg ins Unerträgliche“. Sie ließen Denny Dias, Jeff Baxter und Jim Hodder aus New York nachkommen und gründeten eine Band.
„Den Bandnamen fanden wir damals witzig“, sagt Walter Becker entschuldigend, „but I know the joke has worn thin.“ Steely Dan: So hatte William Burroughs in „Naked Lunch“, seinem berüchtigten Roman von 1959, eine Serie dampfbetriebener Dildos genannt „Und wir hatten doch einen Steel-Player“, erklärt Donald Fagen, „der hieß zwar nicht Dan, doch das wussten die Leute ja nicht Wir dachten, das stiftet ein wenig Verwirrung.“ Unmittelbar dahinter in der Musikergunst und am Ende im Rennen um den Bandnamen nur knapp geschlagen: The Bad Rock Group. Dada meets gaga, aber es hat nicht sollen sein. Die erste Platte ist eine Single: „Dallas“, ein gediegenes Stück Country-Rock, die Pedal-Steel prominent im Mix, Jim Hodder am Mikro. Schnell darauf die erste Dan-LP, ohne „Dallas“, aber mit einem David
Fremdkörper wirkt in einer Band, die dabei war, die Grenzen des Popsongs in unbekanntes Terrain zu verlegen.
Donald Fagen wurde Sänger wider Willen. Seit den Brül-Building-Tagen gewohnt, die mit Walter Becker entworfenen Songs potenziellen Interessenten vorzutragen, zuerst live am Piano, später per Demo, sah er sich dennoch nie als Frontmann. „Meine Stimme ist kein natürliches Instrument“, argumentiert er, „sie hat ärgerliche Limitationen und muss zum Modulieren gezwungen werden.“ Hinzu kam schlimmes Lampenfieber. Jeder Griff zum Mikro kostete Fagen Selbstüberwindung. „Im Laufe der Jahre wurde es besser, aber ein gewisses Unwohlsein ist geblieben. Das Projizieren liegt mir einfach nicht“ Ungewöhnlich für einen Amerikaner. „Wir New Yorker“, grinst Fagen, „sind keine ordinären Amerikaner.“
Donalds Wechsel ins Spotlight brachte dem Komponistengespann mehr Kontrolle, doch geriet jene Dialektik in Gefahr, die Becker-Fagen-Songs stets inhärent war: Man ging Risiken ein in Harmonik und Lyrik, baute versponnene kleine Wendungen ein, daraufsetzend, dass der Interpret kraft seiner Stimme und Persönlichkeit daraus etwas Gewinnendes, Gefälliges formen würde. Das Bacharach-Syndrom. Fagen war freilich kein U-Boot wie Dionne oder Dusty, sein nasaler New Yorker Ton eignete sich nicht fürs Gefühlige und den großen Gestus. Auf dieses subversive Moment aber hatten die Whiz-Kids von der East Coast meist hingearbeitet. Tunes mit Widerhaken plus entwaffnender Vortrag ergibt Hit. Okay, es hatte nie so recht hingehauen, aber das war die Geschäftsidee. Und „Do It Again“ hatte, wenngleich in ungeliebter Rockmanier, bewiesen, dass das Prinzip stimmig war.
Fagens Stimme kam mit fest installierter Ironie, klang bissig und stets ein bisschen überlegen. Die damals populärsten Strecken für Singer-Songwriter, die introspektive und die kontemplative, waren somit auch nicht befahrbar. Becker und Fagen bauten also ihr eigenes Gleis, auf dem Steely Dan in den folgenden Jahren überaus erfolgreich rangieren sollten, immer zwischen den Stationen Jazz und Pop, aber oft genug über Umwege oder abenteuerliche Abkürzungen. „Wir haben das eigentlich nie ausdiskutiert“, erinnert sich Walter Becker, „aber es gab ein stilles Einverständnis, unsere Songs so smart und sophisticated wie möglich zu machen, ohne die Bodenhaftung zu verlieren.“ Die Texte wurden sardonischer und literarischer, die Musik exakter und zugleich komplexer. Was Becker und Fagen die gesamten Siebziger am Brennen hielt, war ein Forschungsprojekt in sieben Versuchsanordnungen. Ziel des Projekts war, herauszufinden, wieviel Jazz-Harmonik und Bizarr-Lyrik in einen Popsong passt, ohne ihn zu überfrachten.
Das zweite Experiment nach „Can’t Buy A Thrill“ war 1973 „Countdown To Ecstasy“, ein bemerkenswert organisches Album, dessen Versatzstücke während einer ausgedehnten Tournee auf ihre Tragfähigkeit hin getestet und sukzessive verschweißt wurden. Ein Feelgood-Album. Weil der Band-Input hier deutlicher zu spüren ist als auf jeder anderen Dan-LP, es rumort in der Rhythm-Section, die Gitarren fransen hier und da aus. Was die musikalische Philosophie der mittlerweile auch international erfolgreichen Band anlangt, war „Countdown“ eher eine Skizze, eine ambivalente Affare. „Unser Bestreben war ja, die musikalischen Standards hoch anzusetzen“, sagt Becker, „und so präzise und tight wie irgend möglich zu spielen. Andererseits schätzten wir Bob Dylan und The Band sehr, die frei und spontan vorgingen und keine Zeit an Arrangements verschwendeten, sondern aus dem Bauch heraus spielten. Dieses rootsige, ungebundene Verständnis von Musik ist natürlich nicht weniger valide.“
Ab „The New Logic“ jedoch keine Option mehr für Steely Dan. Session-Musiker wurden zusätzlich engagiert, der Zug nach Jazzville war abgefahren, ein Rock-Waggon nach dem anderen wurde abgekoppelt. „Katy Lied“ klang schlanker, klarer, cleaner. Was erstaunlich war, bedenkt man, dass die Stücke kompositorisch verzwickter wurden, die Taktvorgaben irritierender. Drei Achtel! Sechs Achtel! Und bedenkt man ferner, dass die Original-Mastertapes aufgrund eines technischen Defekts unbrauchbar waren. Die Rekreation im Studio erwies sich als nervenaufreibend und letztlich unbefriedigend. „Wir haben gelernt, mit dem vorliegenden Mix zu leben“, sagt Fagen betrübt, „aber es tut schon weh, wenn wochenlange Arbeit obsolet wird und das veröffentlichte Resultat am Ende nicht den klangtechnischen Anforderungen genügt, die du schon eingelöst hast, die aber unwiederbringlich verloren sind.“
Für die Aufnahmen zu „The Royal Scam „gingen die mittlerweile zum Duo geschrumpften Steely Dan zurück nach New York. Ein so robustes wie raffiniertes Album, das in Sachen Subversion abermals neue Standards setzte. Vor allem in „Haitian Divorce“, einem Track mit Jazz-Akkorden zu Reggae-Rhythmik, und einem Text über Liebe und Voodoo, den Randy Newman nicht wortgewandter und geistreicher hätte schreiben können: „Babs and Clean Willy were in love diey said/ So in love die preacher’s face turned red/ Soon everybody knew the thing was dead/ He shouts, she bites, they wrangle through the night.“
„Tja“ folgte, wieder im Abstand von nur einem Jahr. Ein elegisches Werk mit langen Spannungsbögen, das vom
Interplay alter Jazzer mit jüngeren, Rock-sozialisierten Musikern lebt. Und, trotz seiner dramaturgischen Gespreiztheit, Steely Dans kommerziell erfolgreichstes Album. Doppel-Platin! „Recht ausgereift“, urteilt Walter Becker nicht ohne Genugtuung. Drei Jahre später dann „Gaucho“, glatt und glitzernd. „Unsere Ambition war eine Art Jazz-Disco-Verschnitt mit klaren Linien und kühlem Klang“, offeriert Becker, „aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das mit etwas mehr Mühe nicht besser hinbekommen hätten.“ Fagen ergänzt: „Im Nachhinein würde ich sagen, wir hatten zu diesem Zeitpunkt die Schnauze bereits ziemlich voll von Steely Dan.“
Zwanzig Jahre später, nach zahlreichen Nackenschlägen des Schicksals und beruflichen Zickzacks zwischen Solo-Platten, Auftragsproduktionen und Tourneen als Steely Dan, verspürten die beiden wieder den Drang, gemeinsam Songs zu schreiben und sie im Studio in Szene zu setzen. „Nature “ knüpft da an, wo „Gaucho“ aufhörte.
„Alles andere würde nicht viel Sinn machen“, meint Fagen, „wir sehen schon eine Entwicklung, aber an einer Neuerfindung liegt uns nicht.“ Allerdings habe sich sehr viel verändert, seit Steely Dan seinerzeit abtraten. „Und nicht viel davon zum Besseren“, wie Becker spöttisch bemerkt „Das Verhältnis von Musik und ihrer Vermarktung hat sich umgekehrt. Zuerst wird eruiert, wie der Markt auf Reize reagiert, dann wird er entsprechend bedient. Wir mussten uns zum Glück nicht krümmen, bevor wir ins Studio gingen, aber jetzt bombardiert man uns mit Marketing-Kokolores, demografischen Untersuchungen und Zielgruppen-Analysen. Wir sitzen nur da und hören weg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man unser potenzielles Publikum nach Alter, Bildung und Einkommen klassifizieren kann. Das Kaufverhalten der Leute mag sich ja geändert haben, alles ist heute fragmentierter und rigider, aber ich bin überzeugt davon, dass es da draußen eine Menge Individualisten gibt, die durch die groben Raster der Analysten fallen.“ Fagen legt nach: „Klar, wir hoffen schon, dass wir noch ein großes Publikum ansprechen. Aber wenn nicht, darf uns das nicht wundern. After all, we’re not as pretty as we used to be.“
Zu den Neuerungen, die erst nach „Gaucho“ den Musikbetrieb umkrempelten, gehören so fabelhafte Errungenschaften wie Videoclips und Digitalismus. „Genau“, schnaubt Donald Fagen sarkastisch, „der technologische Fortschritt ist nicht aufzuhalten.“ Das Thema Video ist schnell abgehakt. „Machen wir nicht“, erklärt Fagen, der diesbezügliche Erfahrungen schon sammeln durfte, anlässlich seiner ersten Solo-LP „TheNightfly“. „Die ersten Jahre war das Medium noch ganz interessant, fand ich, aber es hat sich längst verselbstständigt und ist zu einer Hypothek geworden.“ Becker verzieht verächtlich das Gesicht. „Wenn es je eine Schnittstelle zwischen Rock’n’Roll und dem Fernsehen geben sollte, die nicht zu Lasten der Musik geht, wäre ich sehr überrascht It’s always style over content Es ist degradierend. Könnte aber duchaus sein, daß man uns bei einem Konzert filmt und das Material dann zu einem Clip verarbeitet Uns ist das ehrlich gesagt egal.“
Steely Dan starten „Storytellers“ zur allgemeinen Verwunderung mit einem Song, den man auf regulären Dan-LPs vergeblich sucht: „FM“ wurde 1978 als Single veröffentlicht und war Teil eines Soundtracks. Die Band klingt wie aus einem Guss, die Bläser – zwei Saxofone, Trompete und Posaune – drücken und entzücken, fast so sehr wie die drei Schönheiten, die für die Backing Vocals zuständig sind und von denen noch keine auf der Welt war, als „Gaucho“ aus den Charts rutschte. „Eine Attraktion mehr kann nicht schaden“, lacht Becker, „erst recht wenn auf der Bühne sonst nur grummelige alte Männer zu sehen sind.“ Die neuen Songs werden vom Publikum gefeiert wie alte Bekannte. Zwischendurch Fragen der Fans. Nach der Bedeutung bestimmter Songs, nach biografischen Details und der Definition von High Fidelity. Becker und Fagen lieben den Klang von Platten aus den späten 50er und frühen 60er Jahren, sagen sie. Dynamik, Dichte, Wärme. Am Liebsten in Mono. Danach, so die Audioästheten, sei es bergab gegangen. Kein Widerspruch. Wie auch. „TwoAgainstNature“ haben Steely Dan parallel analog und digital aufgenommen und abgemischt. Um für beide Konfigurationen, Vinyl und CD, das spezifische Optimum herauszuholen. Welche Phase ihres Schaffens, welche Platte, welcher Song ihnen am meisten Spaß gemacht habe, begehrt ein Fan in Erfahrung zu bringen. „Da müssen wir passen“, antwortet Becker. Und Fagen erklärt, weshalb. „Fun“, doziert er, „is terribly overrated.“
Beim Interview in ihrer Hotel-Suite geben sich Becker und Fagen generös und aufgeräumt In T-Shirt, Jeans und goodsneakers. Ihre Reputation als einsilbige Grander, konzedieren sie schmunzelnd, käme indes nicht von ungefähr. Umgekehrt hätten die betroffenen Fragesteller etwaige Feindseligkeiten auch redlich verdient „Unsere Toleranzschwelle für Dummheit ist halt ziemlich niedrig“, meint Becker, von dem Rickie Lee Jones einmal behauptete, er sei „simply too intelligent for the rest of mankind.“ Perlen vor die Säue also? Keineswegs. Hatten Steely Dan nicht unsere Ohren für Jazz sensibilisiert? Für die Musik von Monk, Mingus, Coltrane? „Glaube ich nicht“, wehrt Becker ab, „das anzunehmen wäre vermessen.“ Fagen widerspricht „Überhaupt nicht ich höre das oft. Wir scheinen da beiläufig etwas in Gang gesetzt zu haben, das uns überdauern wird.“ Becker strahlt.