The Strokes: ‚Is This It‘
Elf gleichwertig-großartige Dreiminütler voller starker Melodien, die sich heute in allen gängigen Ranglisten der besten Alben aller Zeiten wiederfinden lassen. Und der Soundtrack einer Jugend. Von Martin Wiens.
The Strokes – Is This It
Wenn gutaussehende Söhne von reichen und berühmten Promi-Papas und Model-Mamas, fünf rich kids aus der großen Stadt, die sich auf diversen Privatschulen und Eliteinternaten kennengelernt haben, ein Album aufnehmen, erwartet man nicht zwingend ein wegweisendes Stück Zukunftsmusik. Vor allem keines, das so sehr nach Garage klingt, wie „Is This It“. Dennoch: Genau so etwas haben The Strokes aus New York City mit ihrem Debüt geschaffen.
Im Jahr 2001 erklärt die Musikfachpresse Julian Casablancas, Albert Hammond Jr., Nick Valensi, Nikolai Fraiture und Fabrizio Moretti (man beachte die durchweg wohlklingenden, Rockstar-tauglichen, exotisch klingenden Namen) also zur Zukunft des Rock’n’Roll. Gleichzeitig feiert man die inszenierte Nachlässigkeit, die Coolness, die Röhrenjeans und die alten Basketballtreter. Kein einfacher Kleidungsstil für Dicke. Für alle anderen ging cool sein seitdem aber wieder ohne sich anzustrengen, ohne Haare waschen und Fingernägel schneiden. Ich war gerade zehn geworden und interessierte mich sowieso nicht für Coolness und Mädchen, schon gar nicht aber für Rock’n’Roll.
Nachdem ich die Feier also vollkommen verschlafen hatte, hörte ich im Jahr 2005 erstmalig etwas von den Strokes: „First Impressions Of Earth“, Strokes-Platte Nummer drei, wurde mein persönliches Debütalbum. Danach ging es in der Zeit zurück, die Fortsetzung folgte wenig später mit „Room On Fire“, Platte Nummer zwei, ehe ich dann, fast sechs Jahre zu spät, die Wiedergeburt der Rockmusik erleben durfte. War super, definitiv. Aber für mich war die Rockmusik ja gar nicht tot gewesen. Ich war ja viel zu jung. Ich war ja nie so verzweifelt gewesen, wie diese Alten, die schon in den 90ern Musik gehört hatten.
Trotz verpasster Vorgeschichte und eines Erstkonsums, der für mich ohne Hype auskam, zählt „Is This It“ noch heute zu meinen Lieblingsalben. Lieblingssong ist auch zwölf Jahre später noch „ Hard to Explain“. Manchmal auch „New York City Cops“. Heute definitiv „Trying Your Luck“, das einen so herrlich einsam in der Ecke sitzend zurücklässt. Beim Wiederhören ist ein erster Höhepunkt der Basslauf in der Strophe des Openers. Und nach wie vor die Worte.
Can’t you see I’m trying? I don’t even like it. I just lied to
Get to your apartment, now I’m staying here just for a while,
I can’t think ‚cause I’m just way too tired.
Is this it?
Sänger und Komponist Casablancas Stimme polarisiert, weil er durch einen kleinen Peavey-Verstärker teilweise unverständlich, größtenteils gelangweilt-nuschelig singt. Hinzu kommen zwei versierte Gitarristen mit dünnlich angezerrtem Fender-Schrammel-Sound und einem Mut zur Einfachheit, der bei Gitarristen meistens vergeblich gesucht wird; ein Bassist mit Prinz-Eisenherz-Frisur und ein tuckerndes, mechanisch-modern klingendes Schlagzeug. Das Ergebnis sind elf gleichwertig-großartige Dreiminütler voller starker Melodien, die sich heute in allen gängigen Ranglisten der besten Alben aller Zeiten wiederfinden lassen.
Live wird alles gefühlt viel zu langsam gespielt. Seit einigen Jahren beginnen viele Konzerte zudem mit dem Titelsong des Erstlings: „Is This It“. Eine charmante Tradition, die von den Arctic Monkeys zeitweise kopiert wurde, vom Grad der Tanzbarkeit her jedoch recht unbequem ist. Sperriges Unterfangen also für alle, die versuchen wollen sich zu bewegen. Auf der Bühne versucht man das gar nicht erst. Die Strokes stehen da oben gutaussehend rum und warten, bis das Ganze vorbei ist. Eine musikalische Untermalung für arrogantes Rumgepose. Oder doch die passende Choreographie für gelangweiltes Rumgedüdel? Wie auch immer: Man ist dabei stets nicht unauthentisch. Und durchaus sehr großartig.
Seit des neuen Jahrzehnts geht es mit jedem neuem Album der Strokes scheinbar steil bergab. Die Rezensionen einer jeden Neuveröffentlichung beschäftigen sich oftmals mehr mit dem Debüt als mit der aktuellen Platte, welche am Ende dann irgendwo zwischen belanglos und genial eingependelt wird. 4 von 5 Sternen, aber irgendwie doch ziemlich egal.
Und alles nur wegen dieses verflixten ersten Albums. Bands sollten zuerst ihr zweites Album veröffentlichen. Glücklicherweise ist „Is This It“ für mich das dritte. Deswegen kann ich die Strokes auch heute noch mögen. Auch nach „Angles“ und „Comedown Machine“. Umso mehr.