The Roots – Hamburg, Große Freiheit
Das Ensemble The Roots aus Philadelphia funktioniert fast wie eine Jazzband und gestaltet aus diversen schwarzen Musikformen ein großes Ganzes
Man hat ja mitunter Vorurteile gegenüber HipHop-Konzerten, vor allem wenn man über 30 ist und auf Halbmast hängende Baggy Pants ebenso bescheuert findet wie im perfekten Winkel sitzende Basecaps. Doch wandelnde Klischees sind in der Minderzahl an diesem frühen Freitagabend. Vermutlich schon deshalb, weil die Roots für einen 16-jährigen The Game-Fan gar kein „echter“ HipHop sind. Auf der Bühne der Großen Freiheit ist jedenfalls kein Plattenspieler zu sehen. Dafür ist alles vollgestellt mit Instrumenten. Ein einziger, verloren in der Mitte stehender Mikro-Ständer macht klar, wo heute Abend der Schwerpunkt liegt.
Schon gleich zu Beginn feuert die Band aus allen Rohren: „In The Music“ und „Don’t Feel Right“ – vom diesjährigen Meisterwerk „Game Theory“ verschmelzen zu einer polyrhythmischen Beat-Orgie. Schlagzeuger Amir Thompson und Percussionist Frank Walker wollen schon früh ganz weit nach draußen. Der Begriff „Great Black Music“ fällt einem ein, mit dem das legendäre Art Ensemble of Chicago seinen freien und gleichzeitig doch so tief in der afrikanischen Tradition wurzelnden Jazz beschrieb. Auch The Roots haben viel von einer frei improvisierenden Jazzband an diesem Abend. Immer wieder wird das rhythmische Geflecht zurückgenommen, ausgebaut und in scheinbar nicht zusammengehörige Fragmente zerteilt. Erst wenn das Thema wieder einsetzt, wird klar: Wir hören immer noch „The Seed“. Den auf „Phrenology“ vom Komponisten Cody Chesnutt gesungen signature song interpretiert Gitarrist Kirk Douglas in Hamburg ebenso ordentlich wie den zweiten großen Hit, das auf „Things Fall Apart“ von Erykah Badu veredelte „You Got Me“.
Rapper Black Thought gibt trotzdem überzeugend den energischen Frontmann, der selbst dann nicht den Überblick verliert, wenn sich seine Band mal wieder in minutenlangen Improvisationen ergeht. Jeder (!) Musiker bekommt im Lauf des Abends sein Solo. Was leicht ins peinliche Muckertum abrutschen könnte, wird vor allem beim Bassisten Leonard Hubbard zu einer atemberaubenden Demonstration der Möglichkeiten: ein gewaltiger Bursche, mit Zigarillo im Mundwinkel, der im Alleingang knallhart den Groove hält und dabei seinem Instrument die wahnsinnigsten Zwischen-, Über und Untertöne entlockt.
Das Publikum ist in solchen Momenten – und es gibt sehr viele davon – völlig außer Rand und Band. Die Zugabe ist ein Triumph, wie ihn in der Großen Freiheit schon länger keine Band mehr erlebt hat. Als Black Thought der Menge den „Soul-Clap“ beigebracht hat – eine Art Stakkato-Klatschen im Gegenrhythmus, wie man es auch vom Flamenco kennt -, spielen The Roots ein HipHop-Medley, das mehr als einmal im begeisterten Kreischen der Fans untergeht: Von LL Cool Js „I Need Love“ über diverse Anrufungen des Gangster-Rap bis zu Justin Timberlakes Song des Jahres: „Sexy Back“.
Hier zeigt sich dann auch noch mal explizit die Wendigkeit und Vielseitigkeit von Black Thought, der dieses rasante Rollenspiel ganz offensichtlich genießt und als sein Solo zelebriert. Als nach der Zugabe das Saallicht angeht und wieder Musik vom Band läuft, kommen die Musiker auf die Bühne zurück, um ihre Instrumente abzubauen. Ganz selbstverständlich, ohne Attitüde (oder zumindest mit einer sehr angenehmen). Darin Hegt die Kraft dieser unglaublich mitreißenden Band: „It’s all in the music, turn it up let it knock. Let it bang on the block, till the neighbours call the cops.“
Das war mehr als nur HipHop – das war in der Tat „Great Black Music“.