The Rolling Stones: Wie ein sinkender Stein
Vor 37 Jahren starb Rolling Stones-Gitarrist Brian Jones im Pool - zur andauernden Diskussion um seinen Tod gibt es jetzt einen Film, der gar nicht mal so schlecht ist
Prinzipiell kann es jeder gewesen sein im König-Ludwigs-Todesfall der Rockgeschichte: Mick, Keith, der Geheimdienst Ihrer Majestät, die Bauarbeiter, das Mädchen, selbstverständlich der Gärtner. Wenn nun diesen Juni ein Film in die deutschen Kinos kommt, der die letzten Lebensmonate und den Tod des Rolling Stones-Gitarristen Brian Jones behandelt und der schon deshalb kein gewöhnliches Bio-Pic sein kann, weil er sich für eine ganz bestimmte Version dieser Todesnacht entscheidet, die der seriöse Biograf ja als ungeklärtes Rätsel darstellen müsste – dann darf man, wie immer bei Krimis, den Schluss eigentlich nicht verraten. Wir verraten ihn, später. Wer „Stoned“ sehen und knisternd gespannt sein will, soll also bitte nicht weiterlesen.
Und wer jetzt schon weiß, dass er vor Wut kochen wird, wenn Regisseur Stephen Woolley einen Haufen Vermutungen, Interpretationen und Aussagen von extrem befangenen Zeugen als schlichte, straight gedrehte Film-Wahrheiten präsentiert, der kann sich höchstens auf eine Szene am Ende treuen, die als Traum des damaligen Stones-Roadmanagers Tom Keylock inszeniert ist und daher keinerlei Anspruch auf Faktentreue erhebt: Eben haben wir noch gesehen, wie Brian Jones in Jesus-Pose in seinem diamantblau erleuchteten Pool förmlich versickert ist. Und plötzlich ist er wieder da, mit Spitzenkragen und Pelzmantel, erstanden aus dem Wasser. Seine Musen aus dem Jenseits gruppieren sich ums Becken, Jones setzt sich neben den erstarrten Keylock, der gerade auf der Wiese die Kleider des Toten verbrannt hat, und sagt: „Danke, dass du aus mir einen Märtyrer gemacht hast!“ Das irdische Glück sei ihm eh zu langweilig gewesen.
Wen er sich aus dem Grab zurück auf die Erde wünschen würde, wurde Keith Richards im letzten Interview mit der Zeitschrift „Q“ gefragt. Muddy Waters, sagte er, und als der Reporter zurückfragte, ob Brian Jones nicht der bessere Kandidat wäre, schnäuzte Richards sich mal: „Oh nein, ihn würde ich nicht nehmen! Er war ein Arsch.“ „Stoned“-Hauptdarsteller Leo Gregory wiederum (dessen physische Ähnlichkeit mit Jones eher flüchtig ist) soll sich nach Lektüre des Skripts beim Agenten erkundigt haben, ob dieser Mann denn echt gelebt habe – er hatte noch nie von Brian Jones gehört.
Jones tatsächlichen Beitrag zum britischen Rhythm’n’Blues schätzen heute wohl nur Stones-Kenner hoch genug ein, als hedonistische Swinging-Sixties-Symbolfigur ist er noch bekannter, aber sein Tod steht – gleichauf mit Kurt Cobain und Tupac Shakur – nach 37 Jahren weiter ganz oben in der Prioritätenliste von Hobby-Fahndern, Verschwörungstheologen und Sensationsgeilen. Allein in den Neunzigern sind drei große Enthüllungsbücher erschienen, eine Ex-Freundin von Jones kämpft noch immer darum, dass der präparierte Leichnam ein zweites Mal in die Gerichtsmedizin kommt. Wenn man heute zu Jones‘ früherem Anwesen Cotchford Farm fährt, trifft man im Buschwerk sicher Kommandos von Freizeitpolizisten, die nach Fingerabdrücken und Zigarettenkippen suchen – auch Regisseur Woolley war einer von ihnen, recherchierte selbst zehn Jahre lang und setzte sogar einen Detektiv auf die Frau an, die am 2. Juli 1969 angeblich den unglücklich ertrunkenen Jones im Pool gefunden hatte.
Seine Ergebnissen stützen die längst landläufige Alternativ-Version: Der Bauunternehmer Frank Thorogood, der damals mit seiner Truppe an der Cotchford Farm herumbaute und so zu den ständigen Gästen zählte, soll Jones ertränkt und die Tat anschließend genial vertuscht haben. Die Motive: Jones habe ihn auf zermürbende Art erniedrigt und ihm den Lohn verweigert. Andere Forscher gehen wesentlich weiter, enttarnen Thorogood als Aggressor, der den weibisch hilflosen, ohnehin durch Drogen und psychische Probleme geschwächten Jones mit seinen halbstarken Bauarbeitern terrorisiert habe – insofern geht der Regisseur ein ganz mutiges Risiko ein, wenn er Thorogood (alle Schauspieler in „Stoned“ sind so unbekannt, dass man sie nicht in Klammern hinter den Figuren zu erwähnen braucht) zur eigentlichen Zentralfigur des Films macht und dem Publikum die Reise ins Reich des kranken Genies streng aus der Sicht des spießigen Handwerkers zeigt.
Klar macht ein solcher Film nur Ärger, ist unnötig, legt mehr Wert auf Detail-Fetisch als auf gute Dialoge, reizt teilweise die Sixties-Klischees der Fernsehwerbung aus, dass einem beim Zusehen Räucherstäbchen wachsen – zur großen, solarisierten LSD-Szene zwischen Jones und Freundin Anita Pallenberg in Paris läuft allen Ernstes „White Rabbit“ von Jefferson Airplane, und der Chorbube, der völlig overdressed Keith Richards spielen muss und Anita verführt, hätte der Dame in echt nicht mal die Schleppe halten dürfen (schön allerdings: der Auftritt des fröhlichen Volker-Schlöndorff-Darstellers im Pepita-Sakko). Dass keine Original-Stones-Songs zu hören sind, dürfte nicht am Konzept liegen, das der Regisseur umständlich erklärt, sondern schlicht daran, dass für die Rechteverwalter bei diesem Mid-Budget-Film weder Ruhm noch Geld zu holen war.
Doch trotz aller Einwände schafft der „Stoned“-Film etwas, das dem maßlos überschätzten Johnny-Cash-Epos „Walk The Line“ nicht ansatzweise gelungen ist: Er erzählt eine Geschichte, die auch dann interessant ist, wenn einem die leiernde Frage nach dem wahren Tod des Brian Jones rechtschaffen egal ist. Die Geschichte, wie im Jahr 1969 für den piefigen Arbeiterklasse-Typen Frank die Sixties eigentlich erst beginnen, die bisher komplett an ihm vorübergegangen sind. Und wie sie in unmittelbarer Tuchfühlung für den Visionär und Allesgenießer Brian mit Grauen zu Ende gehen. Es gibt ja viele Bewerber darum, welches Ereignis den Traum der 60er Jahre symbolisch zum Platzen brachte – wenn „Stoned“ hier seinen Punkt machen will, ist das ziemlich gelungen. Auch wenn alles ganz anders war.