The Rolling Stones: This could be the last time

Auf Nimmerwiedersehen? Die Rolling Stones haben das Finale ihrer "Bigger Bang"-Tournee eingeläutet. In Frankfurt machte die Wanderbaustelle erste Station.

Am Ende wird nur noch Keith Richards auf der Videoleinwand zu sehen sein. Er wird dem Publikum zuprosten, sich eine Zigarette anstecken und mit der Kippe im Mundwinkel davonschlendern. Und zumindest an diesem Abend wird es nichts mehr geben, das ihn, Mick Jagger, Charlie Watts und Ron Woods dazu bewegen kann, noch einmal auf die Bühne zu kommen. Was bleibt, sind tausende Fans, die auf dem Weg nach Hause wehmütig vor sich hin summen.

Nein, „The Last Time“ haben die Rolling Stones an diesem Abend nicht im Angebot gehabt. Auch „It’s All Over Now“, das sie im belgischen Werchter beim Auftakt der dritten und letzten Konzertstaffel ihrer „Bigger Bang“-Tour zwischen „It’s Only Rock’n’Roll“ und „Satisfaction“ gequetscht hatten, haben sie diesmal weggelassen. Lieber hat die dienstälteste Rockband der Welt die „Let It Bleed“-Nummer „Midnight Rambler“ hervorgekramt und den Fans in der Frankfurter Commerzbank-Arena eine knorrige Endlosversion vor die Füße geknallt, die sich-von hysterisch blitzenden Scheinwerfern aufgescheucht – erst in ein sich aufbäumendes Riffmonster verwandelte, dann zusammenbrach und schließlich an ihren Anfangspunkt zurückkehrte. Diese vor Unerbittlichkeit, Unersättlichkeit und Unberechenbarkeit strotzende Nummer passt schließlich viel besser zum Selbstbild der Rolling Stones im Jahr 2007, eignet sich ausgezeichnet als Soundtrack für die Durchhalteparolen, mit denen die Band auf die sich verdichtenden Gerüchte reagiert, dass nach der 2005 begonnenen „Bigger Bang‘-Konzertreise wirklich Schluss sein könnte mit dem Touren.

Zwar wünsche er sich nicht unbedingt, irgendwann einmal auf der Bühne zu sterben, hat Keith Richards verkündet, doch „tatsächlich würde den Stones-Tross nur der Tod von einem von uns aufhalten. Bis dahin werden wir bestimmt noch eine Tour spielen“. Auch Mick Jagger behauptet, er denke bereits über die nächste Tour nach. Und Ron Wood, der als Stones-Youngster gerade 60 Jahre alt geworden ist, gibt sich ebenfalls unternehmungslustig: „Sixty is the new fourty!“

Trotzdem glauben inzwischen selbst eingeschworene Stones-Fans nicht mehr wirklich daran. „Das ist definitiv die letzte Tour“, sagt Bruno aus Mainz, als er auf dem Weg zum Konzert in Frankfurt ist. Über seinem Bauch spannt sich das T-Shirt zur „Voodoo Lounge‘-Tournee der Jahre 1994 bis 1995. „Seither war ich bei jeder Tour immer auf mindestens einem Konzert – und dieses Mal wird das letzte Mal sein.“ Mit dieser Meinung ist Bruno nicht allein. Glaubt man den Fan-Foren im Internet, dann wird es künftig vielleicht noch vereinzelte Stones-Konzerte geben, nach dem „Bigger Bang“-Finale in London aber keine größere Tour mehr.

Charlie Watts hatte die Sache ins Rollen gebracht. Vor drei Jahren war bei ihm Kehlkopfkrebs diagnostiziert worden, und vor der Tour hatte er angekündigt, dass diese seine letzte sein werde. Inzwischen gilt der Drummer zwar als geheilt und dementiert seine Rückzugsankündigung („Ich sag das vor jeder Tour“). Doch auch darüber, wie es wirklich um seinen Gesundheitszustand steht, wird im Netz eifrig spekuliert. Zudem fand sich bei einer Umfrage im Forum der Internetseite „Stonesfans & Friends“ tatsächlich eine Hand voll Leute, die der Meinung sind, ihre Lieblingsband solle das Touren künftig sowieso besser sein lassen.

Dieser Stimmungswandel macht auch vor Frankfurt nicht Halt. Obwohl die „Frankfurter Rundschau“ den Konzertag zum „Mittwoch der Superlative“ erklärt hat, weil neben den Rolling Stones-Anhängern auch die fast 70 000 Teilnehmer des „PJ-Morgan-Laufes“ die Stadt unsicher machen. Doch die Stadionkulisse will an diesem Tag so gar nichts rekordverdächtig aussehen. Drängelten sich beispielsweise vor zehn Monaten beim Tourstop im Stuttgarter Daimlerstadion noch 48 000 Fans, tummeln sich in der Commerzbank-Arena gerade einmal 25 000. Damit es nicht allzu peinlich wird, haben die Veranstalter im Vorfeld die Bühne von der Stirnseite auf die Längsseite verlegt, um das verfügbare Kartenkontingent so um ein Drittel zu reduzieren. Viele Fans (auch das lässt sich in den Internet-Foren nachlesen) haben das Frankfurter Konzert aber auch deshalb boykottiert, weil der komplette Innenraum bestuhlt ist. Die, die gekommen sind, lassen sich von Sitzmöbeln aber nicht den Abend verderben. Kaum hat das Konzert mit dem „Start Me Up“-Riff begonnen, stehen alle auch schon vor ihren Stühlen. In den folgenden knappen zwei Stunden wird von den Songs des letzten Albums nur

noch eine ziemlich überhastete Version der Nummer „Rough Justice“ übrig bleiben, und die Stones werden die Stuhlverweigerer mit einer Setlist verwöhnen, die neben einigen eher selten gehörten Songs wie „Monkey Man“ vor allem Klassiker zu bieten hat.

Etwa „Sweet Virginia“, das wunderbar zögerlich beginnt und sich als das langsamste Stück des Abends entpuppt: „Das deutsche Publikum mag harte Sets; „auf Balladen steht es nicht so besonders“, hatte Jagger vor dem Auftakt der aktuellen Konzertserie in Belgien prognostiziert. Dort hatten die Stones in einer Videoproduktionshalle in der Nähe des Flughafens vier Wochen geprobt.

Nicht bei allen hat das Üben geholfen. Wie immer ist in Frankfurt zwar auf Micks Showtalent und auf Charlies Sturheit Verlass. Keith Richards muss aber bei demAuftritt immerwieder von Ron Wood gerettet werden. Und nicht immer passt Richards‘ Anspielen gegen den Groove so gut wie bei der rot flackernden Inszenierung von „Sympathy For The Devil“. Bei „Paint It Black“ humpelt sein Gitarrenlick Jaggers Gesang hinterher. Der „Jumping Jack Flash“-Riff kommt verstümmelt aus den Lautsprechern.

Und so ist an diesem Abend wieder einmal nicht Watts das eigentliche Sorgenkind der Fangemeinde, sondern Richards, der offensichtlich nicht zwischen lässig und nachlässig unterscheiden kann. Nette Fans unterstellen ihm Kauzigkeit, weniger nette trauen sich schon mal an das Wort Altersstarrsinn heran. Und beim Weg nach Hause muss Simone aus Gießen immer noch über Richards‘ verpatzte Gesangseinlage bei „I Wanna Hold You“ lachen: „Der hat ja überhaupt keinen Ton getroffen.“ Kaum sind die Fans daheim angekommen, geht die Diskussion im Internet weiter: „Keith war ein paar Mal musikalisch überfordert“, stellt Michael aus Bochum fest. Und Pebbels aus Frankfurt schreibt: „Um Keith habe ich mir manchmal richtig Sorgen gemacht.“

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates