The Rolling Stones im Interview: „Wir machen das alles nicht bloß für vier Konzerte.“
Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood von den Rolling Stones sprachen mit unseren US-Kollegen über ihre anstehenden Konzerte, ihre Pläne, ihre Streitigkeiten, ihre Fitness und ihre Drogengewohnheiten.
Nach knapp einem halben Jahrhundert voller Hits, Sucht, Chaos und genug bösem Blut, um die Themse zu fluten, haben sich die Stones gerade noch rechtzeitig zusammengerauft, um ihr Jubiläumsjahr auch auf der Bühne zu zelebrieren. Dennoch sieht Mick Jagger keinen Grund rührselig zu werden. „Ich wollte die Tour ‚Fuck Off!‘ nennen“, sagt Jagger. „Aber damit stand ich recht alleine da.“
Keith Richards ergänzt: „Eine Band so lange zusammenzuhalten – vor allem eine Rock’n’Roll-Band – dürfte in der Musikgeschichte eine recht einmalige Sache sein.“ Was die Stones bisher angekündigt haben an Live-Konzerten kann man nicht wirklich eine Tour nennen. Sie spielen vier Shows in diesem Jahr – am 25. und 29. November in der O2 Arena in London und am 13. und 15. Dezember im Prudential Center in Newark, New Jersey. Aber Richards bezweifelt, dass das die einzigen Shows bleiben werden: „Meine Erfahrung mit den Stones hat mich gelehrt: Wenn der Laster erstmal rollt, dann kann man ihn nicht so schnell zum Stoppen bringen! Also, ohne jetzt definitiv ‚Ja‘ zu sagen – sage ich: Yeah, wir machen das alles nicht bloß für vier Konzerte!“
Die Stones erwarten, dass der ehemalige Gitarrist Mick Taylor (der 1974 ausgestiegen war) und Gründungsmitglied Bill Wyman (seit ’93 nicht mehr dabei) bei den vier Shows an Bord sein werden – aber lediglich als Gäste für ein paar Songs. Richards betont, dass der langjährige Tourbassist Darryl Jones in keiner Weise um seinen Job fürchten muss. „Darryl kriegt leider nie die Anerkennung, die er verdient hat“, sagt Richards. „Er und Bill werden sich absprechen, wer bei welchem Song spielen wird.“ Bei der Abschlussshow in Newark (die live per pay-per-view übertragen wird) werden vermutlich weitere Gäste vorbeischauen – Ron Wood nennt Eric Clapton und Jeff Beck als mögliche Kandidaten.
Das Murren über Preise von 800 Dollar und aufwärts für die besseren Tickets wird von der Band mit einen Achselzucken quittiert. „Wie Keith schon sagte: ‚Sounds about right!'“, sagt Wood. „Ich würde es zahlen! Wir haben bereits eine Million oder so für die Rehearsals ausgegeben und sind damit noch nicht mal zur Hälfte durch. Und die Bühne wird ebenfalls Millionen kosten.“
Die Stones haben außerdem eine karriere-umfassende Dokumentation in der Pipeline, „Crossfire Hurricane“ von Regisseur Brett Morgen, die am 15. November auf HBO gezeigt wird. In weniger als zwei Stunden rast der Film durch die Geschichte der Band – angefangen bei der ersten Show im Marquee Club über die Ankunft von Wood bis in die Jetztzeit – und wählt dabei einen eher unterhaltsamen Tonfall. „Ich wollte nie einen nostalgischen Film haben“, sagt Jagger. „Er sollte auch ein gewisses Maß an Respektlosigkeit mitbringen.“
Eine Grundvoraussetzung für die Reunion der Stones war eine Entschuldigung von Richards an Jagger für die zahlreichen Beleidigungen in „Life“, Richards Bestseller-Autobiografie aus dem Jahr 2011. „Er hat sich bei mir persönlich entschuldigt“, sagt Jaggers leise. „Man muss solche Dinge aus dem Weg schaffen. Water under the brige, really. Wir werden, hoffentlich, weiter miteinander arbeiten können.“
Richards ergänzt: „Es war etwas, dass man einfach aus dem Weg räumen musste, um die Band wieder on the road zu bekommen. You know, I’ll say sorry to God if you like. I don’t give a shit. Ich sagte ihm: ‚Schau nach vorne, Bruder! Nach vorne!‘ Wenn du 50 Jahre verheiratet bist, dann darf man sich auch schon mal anzicken. Und wir haben keine Probleme damit, das in der Öffentlichkeit zu tun. Wir können uns nicht scheiden lasen – we’re doing it for the kids!“
„Doom And Gloom“, die neu aufgenommene Single der letzten Greatest Hits „GRRR!“, klingt mehr oder weniger nach einem klassischen Stones-Song, wenn auch mit moderner Produktion. Aber das heißt nicht, dass Jagger und Richards ihre Songwriting-Partnerschaft wiederbelebt haben. Der Song begann als ein Demo, das Jagger alleine aufgenommen hatte, und selbst das Gitarrenriff am Anfang wurde von Jagger gespielt, und nicht von Richards. „Ist mir scheißegal“, sagt Richards. „Er hätte nie gelernt, wie man Gitarre spielt, wenn ich es ihm nicht beigebracht hätte.“
Ein weiterer Grund dafür, dass die Band seit dem Finale der „Bigger Bang“-Tour 2007 auf Eis lag, war Woods Kampf gegen seine Alkoholsucht. Er ist nun seit drei Jahren trocken – und hat vor es auch zu bleiben, obwohl die vorherigen Touren immer eine Herausforderung waren. „Wenn ich zurückschaue“, sagt Wood, „dann war da immer der heimliche Wodka. Einer noch, bevor ich auf die Bühne musste. Und, nun ja, es war nie wirklich nur einer.“
Auch Richards trinkt dieser Tage bedeutend weniger. „Ich will mich nicht lächerlich machen“, sagt er. „Ich trink beim Essen natürlich weiterhin mein Glas Wein. Aber ich habe damit aufgehört, den ersten Drink gleich nach dem Aufstehen zu nehmen. Ich bin vom Heroin losgekommen – ich kann jede Sucht loswerden. Das ist keine große Sache für mich. Ich mach das, um die Leute zu beeindrucken. Aber wenn jemand mit einer großartigen neuen Droge ankommt, bin ich einer der ersten, der sie ausprobieren wird!“
Richards ist der Meinung, sein Drogenkonsum, oder der fehlende Drogenkonsum, habe keine Auswirkungen auf sein Gitarrenspiel. Aber Wood widerspricht in diesem Punkt: „Es ist heutzutage das reinste Vergnügen mit ihm zu spielen. Am Ende der letzten Tour war es schlimm. Er hatte angefangen heimlich zu saufen, und es dann abgestritten. Aber inzwischen hat er eingesehen, dass er auf sich aufpassen muss.“ Da Richards nicht komplett trocken ist, hat Wood sich vorgenommen, ihn im Auge zu behalten. „Ich werde ihn nicht belehren“, sagt Wood. „Aber, wenn Gefahr in Sicht ist, werde ich eingreifen.“
Die Stones sind immer noch euphorisiert von ihren Rehearsal Sessions in Paris, bei denen sie auch selten gespielte Songs wie das von Lennon und McCartney geschriebene „I Wanna Be Your Man“ oder die „Aftermath“-Ballade „Lady Jane“ ausprobierten. „Man geht da rein und denkt: ‚Oh, Gott, ich bin ein alter Tattergreis'“, sagt Richards. „Aber das stimmte nicht! Es war unglaublich, wie viel Energie sich die letzten fünf Jahre angestaut hatte.“
Für Jagger bedeuten die Auftritte mit den Stones, dass er dem Ruf gerecht werden muss, ein nicht alterndes Kraftwunder zu sein. Was, wie Jagger klarstellt, hoffnungslos übertrieben ist. „Ich bin auch nur ein Mensch“, sagt er. „Man kann nicht erwarten, dass man auf ewig jung bleibt. Andererseits versucht man natürlich, sich in Form zu halten. Natürlich kann ich auf der Bühne nicht mehr so abgehen wie mit 19, aber dann muss ich mir halt was anderes einfallen lasen. Wunder gibt es eben nicht.“ Aber er weiß, dass die Fans irgendwie doch noch glauben, er wäre die eine Ausnahme. „Es ist schon eine Last manchmal. Wirklich. I better be OK, at least.“
Die körperlichen Anstrengungen dürften dem 71-jährigen Charlie Watts, für den nach jedem Rehearsal eine Rückenmasseuse bereit steht, ebenso zusetzen – wenn nicht noch mehr. „Es ist wahnsinnig anstrengend, die Drums so zu spielen, dass es ganz locker aussieht, sie dabei aber knallen wie explodierende Feuerwerkskörper. Das geht alles auf seinen Rücken. Er leidet schrecklich.“
Die Stones wissen, dass die Frage „Ist es das letzte Mal?“ wieder und wieder aufkommen wird. Aber selbst, wenn es das wäre, würden sie es nie sagen. „Das ist eine Karte, die man meiner Meinung nach nie ausspielen sollte“, sagt Jagger, der zugibt, dass er gerne ein neues Stones-Album aufnehmen wollen würde. „Ich kenne eine Menge Leute, die diese Karte gezückt haben, und sie haben es später immer bereut.“
Die Stones sind sich ebenso bewusst, dass sie nicht die einzigen alten Helden sind, die in diesem Winter touren werden. Bob Dylan, The Who, Paul McCartney – um nur ein paar zu nennen – werden ebenfalls tausende Fans glücklich machen. „Was soll man sagen,“ mein Richards, „it’s a hell of a generation.“