The Rolling Stones: Fehlender Ernst
The Rolling Stones in ihrem Sturm und Drang: Bent Rejs Fotos bannten die Band an der Schwelle zu Ruhm und Satisfaktion.
Die bayrischen Behörden erhoben Vergnügungssteuer. Es handele sich, so wurde amtlich verfügt, bei dieser Veranstaltung nicht um ein Konzert, weil ja keine Musik zur Aufführung komme, sondern nur Lärm erzeugt werde. Ein Präzedenzfall. Und nicht der einzige, denn man war in bundesdeutschen Landen nicht vorbereitet auf das „Phänomen Rolling Stones„, wie ein Richter Britanniens neueste, erschreckend verwegene Kulturbotschafter nannte. Als die „Beat-Aufrührer“ nach einigen ereignisreichen Tagen der Republik wieder den Rücken gekehrt hatten, hinterließen sie „eine Schneise der Verwüstung“. Kein Berichterstatter, der nicht zu martialischem Vokabular gegriffen hätte beim Ausmalen der Invasion. Ein Heer von Langhaarigen gegen Hundertscharfen berittener Polizei! Steine und Stühle gegen Wasserwerfer und Schlagstöcke! Die Rolling Stones, so wollten es nicht zuletzt die Medien, standen für Randale. Es war eine wilde und doch unschuldige Zeit zwischen März ’65 und Mai ’66, Die Ereignisse schienen sich zu überschlagen, popmusikalisch sowieso, aber auch in Sachen gesellschaftlicher Wahrnehmung einer Kultur, die zuvorderst fremd war und schon deshalb als Bedrohung empfunden wurde. Die Musik der Stones lauter, hartgesottener Rhythm & Blues-war für die große Mehrheit der hiesigen Bevölkerung ein Affront, ihr Auftreten eine Provokation. Die Reaktion war ausgesprochen gehässig. Und ist heute, mehr als 40 Jahre später, nur schwer nachzuvollziehen. Erst recht, wenn man die Bilder konsultiert, die der dänische Fotograf Bent Rej in jenen Monaten für die Nachwelt bannte: fünf Jungs mit Mähne und strategisch schlechten Manieren, fünf eigentlich freundliche Jungs, die es liebten, Unordnung zu stiften und darob von Ordnungshütern zum Feindbild erkoren zu werden. Noch ist ihnen das alles eher unheimlich, das Staunen in ihren Gesichtern fast ungläubig, ihr gegenüber der Journaille gepflegter Ton mal spöttisch, mal schnippisch. Arrogant noch nicht, dafür fehlte ihnen der Ernst. Und eine Perspektive über das Jahr hinaus. Es wäre toll, erzählte Keith einem Reporter im Herbst 65, wenn er mit den Stones noch zwei, drei Jahre Musik machen könnte. Danach würde er seine Brötchen gern als Songwriter verdienen. Hits schreiben und so. Rejs Fotos, vor allem die intimeren, ungestellten, gewähren Einblicke in ein Bandgefüge im Umbruch. Nach außen Attitüde und frivole Subversion, intern Beatgruppen-Dynamik nach den Regeln der Evolution. Der Stärkere setzt sich durch. Brian und Mick beim Armdrücken, beim Rangeln um das Rampenlicht. Ein Jahr davor nur, 1964, waren die Stones noch Brians Band gewesen, Blues-verwurzelt, amerikanisch geprägt. Nun. nach fünf Nr.1-Hits in Folge und Medien-Furor in globalem Maßstab, entglitten sie ihm. Es waren Mick und Keith, die „The Last Time“ und „Satisfaction“ in die Umlaufbahn geschossen hatten und nun die Fäden zogen. Reis trockener, aus der Distanz geschriebener Kommentar informiert über gewisse Veränderungen im Verhalten des Band-Gründers. Während das restliche Stones-Personal noch auf Coke mit Schuss war, besorgte sich Jones bereits Substanzen, die seine kreativen Beiträge zur Stones-Musik auf immer kürzere, unberechenbarere Zeiträume verengten. Rej stand Jones näher als den anderen Bandmitgliedern, konnte diese Entwicklung aber nur registrieren und dokumentieren. Die Jones-Fotos sind es daher nicht zuletzt, die diesen ohnehin fantastischen Fotoband so unverzichtbar machen. Rej war dabei, wenn sich der Narziss stundenlang vor dem Spiegel drehte oder ebenso lange mit Bob Dylan telefonierte.
Die Stones privat, backstage in Unterhosen, in Aktion auf der Bühne, ganz bei sich selbst. „Der Untergang des Abendlandes?“, fragte rhetorisch eine Schlagzeile, „Härter geht’s nicht mehr“, wusste eine andere. Wir werden Augenzeugen der „Bravo“-Tournee im Herbst 1965, die Stones ekstatisch, das Publikum in Krawalllaune. Es kämen in Deutschland hauptsächlich männliche Fans, maulte Jagger, ihm seien die delirischen Mädchenschwärme, die er aus England und Amerika gewohnt sei, lieber. Inzwischen hatten die Stones ihr Set um zwei Songs erweitert, spielten sensationell ausufernde 35 Minuten. Man stoße damit wohl schon an die Grenze der Aufmerksamkeitsspanne einer Menschenmasse, mutmaßte Manager Andrew Loog Odham, es bestünde natürlich die Gefahr, dass es dann schnell langweilig würde. Genau.
Bill Wyman, selbst Archivar und Stones-Chronist, entbietet ein Vorwort und hält Rejs spätes Enthüllungswerk für die beste Bildersammlung einer Stones-Periode. Kein geringes Lob angesichts dutzender Prachtbände über die meistfotografierte Band aller Zeiten. Eine Frage des Timing, so Rej bescheiden. Richtige Zeit, richtiger Ort, richtige Band.