The Rolling Stones: Bravo, Rolling Stones!
Die brave Jugendpostille "Bravo" schwang sich auf den Beat-Bandwagon und präsentierte "die härteste Band der Welt". Wolfgang Doebeling erlebte sie 1965 in Essen.
der westdeutschen Provinz Widerhall fand, sprang „Bravo“ auf den fahrenden Beat-Zug und hofierte fortan Johnpaulgeorgeringo und ihre Fans mit Titelgeschichten und Starschnitten, Klatsch und Tratsch. Die Stones erschienen, wenn überhaupt, als finsteres Gegenstück zu den Fab Four. Diesen „Beat-Rüpeln“ war nicht zu trauen. Beim direkten, mehrseitigen Vergleichstest der Antipoden unter der Fragestellung „Welche Beatgruppe ist die beste?“ verbuchte Reporter Thomas Beyl, der sich gern mit beiden Bands ablichten ließ, einen Kantersieg der Beatles. Im Verhältnis 4:1 seien sie den Stones überlegen. Weil letztere mit Mick Jagger „nur eine Persönlichkeit“ in ihren Reihen hätten, die Konkurrenz aus Liverpool dagegen derer gleich vier. Was haben wir ihn dafür verlacht.
Entsprechend hämisch wurden die Banner kommentiert, die den Weg zur Gruga-Halle in Essen säumten, am 12.September 1965. „Bravo ist auf Draht!“ stand da und darunter: „Die Rolling Stones – heißer geht’s nicht mehr!“. Nun, gegen letzteres Statement immerhin war nichts einzuwenden, auch wenn die unter den Fans herumgereichten Zeitungsausschnitte mit Berichten vom vorabendlichen Tour-Auftakt in Münster gerade diesen Umstand anprangerten. Von „Ekstase“ war da die Rede, von „krawallartigen Szenen“, einem „brodelnden Hexenkessel“, „ohrenbetäubendem Lärm“, „Ohnmachtsanfällen“ und „Horden langmähniger Beat-Jünger“, mit denen ein paar „Hundertschaften der Polizei“ zu tun bekamen, kurzum: es war ein „Inferno“, die Fans „außer Rand und Band“.
Mulmige Gefühle. Vor der Halle Wasserwerfer und berittene Polizei, doch die sollten erst Stunden später zum Einsatz kommen, vor und nach der Abendvorstellung. Nachmittags ging es gesittet zu. Anfangs. Auch drinnen. Noch standen die Stühle in Reih und Glied, noch suchte man sich ruhig seinen Platz, während sich auf der Bühne bereits eine Vorgruppe mühte und doch weitgehend unbeachtet blieb. Nervöse Anspannung lag in der Luft. Die sich explosiv entlud, als das Licht ausging und die Stones im Halbdunkel ihre Aufstellung nahmen.
Mit dem ersten Ton aus den „Mammut-Lautsprechern“, so eine Zeitung anderntags, gab es kein Halten mehr, ein durchdringendes Kreischen setzte ein, übertönt von Gitarrengewitter. Auf die Stühle, nach vorne! Die Ordner waren machtlos, Mick tanzte, Brian grinste. „The Last Time“ rollte durch die Halle, „Around And Around“ donnerte, „Not Fade Away“ blitzte, „Satisfaction“ trieb den Puls in buchstäblich schwindelnde Höhen. Rundum entrückte, verzückte Gesichter, 35 bis zur Neige ausgekostete Minuten, danach selige Erschöpfung auf kaputtem Gestühl. Den Gegenwert von drei Singles hatte das Ticket gekostet. Die Erinnerung ist unbezahlbar.
Mit den Stones auf Jungfernfahrt durch Europa Bill Wyman war perplex, als man ihm die umfangreiche Kollektion zeigte, die der dänische Fotograf Bent Rej zwischen Frühjahr 1965 und Sommer 1966 gemacht hatte. Rej, bei einer dänischen Tageszeitung beschäftigt, hatte sich mit den Stones angefreundet und sie auf der „Satisfaction“-Tour quer durch Europa begleitet. Nicht zuletzt die ersten Konzerte in Deutschland sind unter den mehr als 300 unveröffentlichten Schnappschüssen brillant dokumentiert. „Bis zu diesem Zeitpunkt“, so Wyman, „hatte kein Fotograf solch einen Zugang zu den Stones gehabt wie Bent. Er war zu einem Zeitpunkt da, als wir uns als Gruppe in einem Übergangsstadium befanden. Seine Fotos haben mir bei der Einsicht geholfen, wie es war, von einer Gruppe mit Potential aufzusteigen zu einer, die absolut weiß, dass sie es schaffen wird.“
Das sensationelle Fotodokument erscheint am 28. September in der Edition Olms zum Preis von 49,95.