The Pop Group: Mark Stewart verstirbt mit 62 Jahren

Der Sänger der britischen Avantgarde-Band The Pop Group beeinflusst mit Funk-Experimenten und Dub-Tricks eine ganze Musikgeneration. Selbst Nick Cave war hin und weg.

Wie so oft in der Popmusik aus Großbritannien startet auch die Karriere des „Bristol Boy“ Mark Stewart bereits in Teenager-Tagen. Eine Titelstory im damals noch extrem einflussreichen Wochenmagazin „New Musical Express“ (NME) präsentiert im Herbst 1978 eine Schülerband, die damals noch kein einziges Album veröffentlicht hatte. Ein klassischer Hype also. Einer mit weit reichenden Folgen.

The Pop Group, so Nick Cave in einem Interview, habe für ihn „ALLES verändert“. Für den australischen Fürsten der Finsternis, der seinerzeit noch mit seiner Krachband The Birthday Party unterwegs gewesen ist, ein bahnbrechendes Hör-Erlebnis: „Sie waren so ultra direkt, so musikalisch innovativ. So krass improvisiert“.

Deren Sänger Mark Stewart, ist nun, wie sein Management am Wochenende mitteilte, am Freitag, den 21. April 2023 verstorben. Stewart, für den Popmusik stets auch gesellschafts-politische eine gewisse Rolle zu spielen hatte, wurde 62 Jahre alt. Zum 40. Jubiläum des Erst-Release des Albums „Y“ hatte das Depeche-Mode-Stammlabel Mute eine Sonderedition herausgebracht. Eine Wiederentdeckung einer sehr einflussreichen Band, die zu stets „zu schräg“ gewesen ist, um kommerziell erfolgreich zu sein.

The Pop Group – (l-r) Gareth Sager, Mark Stewart und John Waddington 1980

Stewart hatte in den 1970ern kaum die Schule verlassen, als er mit seiner Band The Pop Group bereits den Diskurs über „Post-Punk“ einläutete, als der eigentliche PUNK noch im vollsten Saft stand. Von POP im klassischen Sinne konnte bei The Pop Group allerdings keine Rede sein: Schroffe Schepper-Gitarren und durchgeknallte Funk-Rhythmen. Wilde Experimente statt Stachelnieten-Lederjacken und „Oi! Oi! Oi!“-Gegröhle. Es roch nach Experiment. Dub, bis dato weitgehend eine Studio-Spielart aus Jamaika, hielt Einzug in die weiße Popmusik.

UK-Kritiker Alex Petridis dazu in der Tageszeitung „Guardian“: „Trotz des offensichtlichen Schmerzes in Stewarts Gesang schien ihre Musik von einem jugendlichen Enthusiasmus getrieben zu sein, der so wild war, dass er fast schon geistesgestört wirkte: Es klang so, als ob sie alles, was sie interessierte, auf einmal auf den Hörer losließen. Manche Leute fanden DAS zu überwältigend. Ein unangenehmes, chaotisches Getöse. Andere waren hingegen völlig hin- und hergerissen!“ In der deutschsprachigen Rezeption wurden die musikalischen Grenzgänge von The Pop Group vor allem von Fachmagazinen wie „Sounds“ und ab 1980 dann vom Indie-Blatt „SPEX“ registriert. In der Anfangsphase ein Spezialthema für Spezialisten.

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Stewart gründete seine Band bereits im wilden Punkjahr 1977, da besuchte er noch die Bristol Grammar School, zusammen mit Gitarrist John Waddington und Bassmann Simon Underwood. Zum volle Line-Up der Anfangsphase gehörten dann auch Gitarrist und Saxophonspieler Gareth Sager sowie Trommler Bruce Smith. Das besagte Debut „Y“ mit dem legendäre „Ethno-Cover“ erscheint in Großbritannien auf dem kleinen Label Radar. Im Studio stand der einflussreiche (Reggae-)Produzent Dennis Bovell an den Reglern. „Y“ wird in den Folgejahren und -Jahrzehnten vielfach ein Urbeispiel für Genre-sprengende Crossover-Entwürfe genannt.

1980 folgt das zweite Album „How Much Longer Do We Tolerate Mass Murder?“, auf dem sich es zu einer Zusammenarbeit mit den Spoken-Word- und Rap-Ahnherren Last Poets kommt. Bereits zum Jahreswechsel 1980/81 löst sich die „Band“ auf, die eher ein flirrendes Kollektiv gewesen ist . Gemeinsam mit Smith und Waddington wechselt Stewart zur ähnlich freestyligen Dub-Truppe New Age Steppers, die wiederum mit Ari Up und (der späteren Bestseller-Autorin) Viv Albertine von den Slits zu einer Urformation des so genannten „Gender-Bending“ zählen, das in diesem Fall auf traditionelle Geschlechter-Rollen im Musikbiz pfeift

Erst viele Jahre später kommen The Pop Group 2010 für ausgewählte Konzerte wieder zusammen. Die Compilation „We Are Time“ und weitere Spätwerke erscheinen.

Auf der Label-Website von Mute nimmt deren Boss und Branchenlegende Daniel Miller Abschied:

„Ich kenne Mark seit über 40 Jahren als Freund und Weggefährten, seit er der Leadsänger der Pop Group war. Ich habe so viele wunderbare Erinnerungen an ihn – einige skurril, einige unverschämt, aber immer inspirierend und von einer ganz bestimmten Haltung geprägt.“

Photo © David Corio Redferns
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