The Notorious B.I.G.: Der tragische Tod von Christopher Wallace
Christopher Wallace alias The Notorious B.I.G. wurde am 9. März 1997 in Los Angeles erschossen. ROLLING STONE beleuchtet die Hintergründe der Tat und das Leben des Gangster-Rappers.
Der Mord an Christopher Wallace am 9. März 1997 ist eines der großen ungelösten Mysterien der Musikgeschichte. Als The Notorious B.I.G. wurde er zu einem der erfolgreichsten Rapper aller Zeiten und er hinterließ ein riesiges Vermächtnis – finanziell sowie künstlerisch. Nur wenige Monate zuvor wurde sein größter Konkurrent und ehemaliger Freund Tupac Shakur Opfer eines tödlichen Attentats in Las Vegas, in dem zahlreiche Fans eine Verbindung zur späteren Ermordung von Christopher Wallace sehen. Bis heute konnten die Tatumstände und die Mörder jedoch nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Definitiv ist, dass mit 2Pac und The Notorious B.I.G. eine Ära endete. Sie definierten den Maßstab, an dem sich nachfolgende Rapper immer noch zu messen haben. Wer aber war Christopher Wallace und wie kam es zu seiner Ermordung?
Die Jamaikanerin Voletta Wallace kam als Einwanderin in die USA, um dort eine besseres Zukunft zu finden. Wie Millionen andere Immigranten vor ihr, die dem amerikanischen Traum nachjagten, kam sie dafür nach New York City, genauer gesagt nach Brooklyn. Sie arbeitete als Lehrerin für Vorschulkinder, war glühende Anhängerin der Zeugen Jehovas und stets darum bemüht, ihr Leben nach den Maßgaben der Glaubensgemeinschaft zu führen. Die beinhaltete eine ausgeprägte Frömmigkeit und die Ansicht der Bibel als irrtums- und widerspruchsloses Wort Gottes. Auch das Verbot von außerehelichem Geschlechtsverkehr war eigentlich Teil ihrer Weltanschauung, obwohl sie es mit diesem Punkt nicht all zu genau nahm. Voletta Wallace und der Fabrikarbeiter George Latore wurden am 21. Mai 1972 Eltern von Christopher Wallace.
Eine enge Bindung
Latore verließ die Familie, als Christopher zwei Jahre alt war. Die Bindung zu seiner Mutter wurde dadurch noch verstärkt, die sich unentwegt für ihren Sohn aufopferte. Als Alleinerziehende übte sie neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin noch einen weiteren Job aus, um über die Runden zu kommen. Keine Seltenheit in dem Viertel, in dem Christopher Wallace aufwuchs. „Ich war nicht reich. Ich war nicht wohlhabend, aber ich war reich im Herzen,“ erinnerte sich seine Mutter später an jene Zeit. Sie kratzte jeden Cent zusammen, damit ihr Sohn eine katholische Schule besuchen konnte. Er sollte sich von der Straße und all ihren Problemen fern halten, koste es, was es wolle. Dass Christopher nicht dafür gemacht war, war für sie kein Zweifel:
„„Mein Sohn war kein Produkt irgendeiner Straße. Mein Sohn war ein sanfter Mensch. Die Straße ist nicht sanft. Die Straße ist nicht nett.““
In der Schule überzeugte Christopher durch überdurchschnittliche Leistungen. Mehrmals wurde er Stufenbester und gewann zahlreiche Preise, vor allem im Buchstabieren und Lesen. Seine Wortgewandtheit fiel auf. Schon vor der Pubertät bewegte er sich in der Sprache wie ein Fisch im Wasser, stets im Wissen über sein Talent. Trotz allem musste er viel von seinen Mitschülern und den Kindern aus der Nachbarschaft einstecken. Sein Übergewicht und die dicken Brillengläser zur Korrektur seines schielenden Auges waren eine willkommene Angriffsfläche für alle, die es auf den jungen Christopher abgesehen hatten. Wiederum mahnte ihn seine Mutter dazu, sich mit Worten und nicht mit Fäusten zu verteidigen.
Kein Entkommen
Sich verteidigen zu können, musste Christopher Wallace schnell lernen, und entgegen dem Wunsch seiner Mutter blieb dies nicht auf die Hänseleien von Gleichaltrigen beschränkt. In den 80er-Jahren überschwemmte Crack die ärmlichen Viertel amerikanischer Großstädte, das die sozialen Missstände und die Kriminalität auch in Brooklyn befeuerte. Voletta Wallace war darauf bedacht, ihren Sohn so gut wie möglich zu kontrollieren, damit er nicht in den Strudel aus Gewalt und dem Dealen von Drogen geriet. Sie verbat ihm sogar, sich weiter als einen Block von ihrem Wohnhaus weg zu bewegen, um ihm immer im Auge zu behalten, doch ihr Bemühungen waren vergebens. Mit dreizehn begann Christopher, mit den Gangs an den Straßenecken herumzulungern, die ihm dem Spitznamen „Big“ verliehen.
Nur kurze Zeit später verkaufte er selbst Crack und gestohlene Waffen. Er verdiente bis zu 2.000 Dollar pro Woche, was ihn zunehmend davon abbrachte, seine guten Leistungen in der Schule aufrecht zu halten. Christopher Wallace war begeistert und verblendet vom vermeintlichen Ruhm der Straße, doch letztlich war er einer von vielen, die planlos und gefährlich ihre Zeit im Viertel verbrachten. Zwischenzeitlich musste er sogar für einige Monate ins Gefängnis, nachdem er beim Drogenhandel verhaftet worden war. In einer Sache allerdings stach er hervor. Die üblichen Rap-Battles an den Straßenecken gewann er gegen jeden Herausforderer. So leicht wie er ging niemand mit Worten um, schon gar nicht im selben Taktgefühl. Christophers Karriere als Rapper kam ins Rollen.
Erste Demotapes
Mit siebzehn verließ Christopher Wallace die High School ohne Abschluss. Seine ehemals guten Noten hatte er derart vernachlässigt, dass nichts mehr vom einstigen Musterschüler übrig geblieben war. Statt weiter die Schulbank zu drücken, nahm er mit seinem Freund und DJ 50 Gran erste Demotapes auf, die er anschließend als Biggie Smalls auf den Straßen verteilte. Die Tapes waren durch die Rap-Battles kein Kaltstart und fanden regen Absatz, doch die Grenzen des Stadtteils verließen sie vorerst nicht. Erst als Mister Cee, DJ des etablierten New Yorker Rappers Big Daddy Kane, eines der Exemplare in die Hände bekam, änderte sich die Situation. Cee machte das einflussreiche Magazin „The Source“ auf Biggie Smalls aufmerksam, der daraufhin in der „Unsigned-Hype“-Sparte ausführlich vorgestellt wurde. Den Artikel wiederum las der noch junge aber bereits erfolgreiche Labelmanager Sean Combs, aka. Puff Daddy, bei Uptown Records.
„Ich habe mich verliebt, als ich das erste Mal seine Stimme hörte“, beteuerte Combs. Umgehend beorderte er Biggie Smalls und Mister Cee in sein Büro, wo der angehende Superstar für ihn rappen sollte. Er tat es und verließ den Raum mit einem unterschriebenen Plattenvertrag. Im Sommer 1992 kam der Deal sehr gelegen, denn bald sollte Wallace nicht mehr nur für sich selbst sorgen müssen. Im August 1993 kam seine Tochter Tyanna zur Welt, für die er sein angelegtes Gangster-Image ruhen ließ und seinen sanften Kern offen legte. Gegenüber Freunden und seiner Mutter zeigte er seine aufrichtige Freude über die Geburt.
Von der Straße ins Studio
Obwohl er den Plattenvertrag bei Uptown Records unterschrieben hatte, war Geld zunächst weiterhin Mangelware. Anders als viele andere Männer in seinem Umfeld war Christopher Wallace fest dazu entschlossen, für seine Tochter zu sorgen und sie nicht allein ihrer Mutter zu überlassen. Er dealte weiter mit Crack, hielt es jedoch vor Sean Combs geheim. Als Combs schließlich doch davon erfuhr, flehte er seinen Schützling an, mit allen illegalen Aktivitäten aufzuhören. Einerseits waren Combs und Wallace schnell Freunde geworden, doch andererseits ging es für den Labelmanager auch um ein getätigtes Investment, das sich selbst bedrohte. Combs Worte fanden Gehör und Christopher Wallace versprach ihm, seine Karriere als Dealer endgültig an den Nagel zu hängen.
Nachdem er den Geschäften auf der Straße von heute auf morgen abgeschworen hatte, begann Wallace im Frühjahr 1994 mit den Aufnahmen zu seinem Debüt-Album „Ready To Die“. So drastisch der Einschnitt für sein Leben auch war, begleiteten ihn die Erlebnisse im Viertel dennoch. Die Lyrics für „Ready To Die“ ergaben sich vor allem aus Wallace Tagen als „Hustler“ zwischen Fulton Street und St. James Plaza.
„„Wenn du todespleite bist, dir deine eigene Mutter und die Mutter deines Babys im Nacken hängen, deine Tochter weint, dann bist du am Ende. Manchmal wünschte ich, ich wäre tot, damit ich die Probleme nicht ertragen musste.““
Wallace, der sich als Rapper mittlerweile in The Notorious B.I.G. umbenannt hatte, nutzte das Schreiben seiner Texte als Ventil, so klischeehaft es auch sein mag. Es war einer der Gründe, weshalb seine Songs auf Begeisterung stießen. Selbst diejenigen Fans, die nicht als sozial benachteiligte Afroamerikaner in einer Großstadt aufwuchsen, spürten, dass The Notorious B.I.G. ihnen nichts vormachte. „Es ist nicht einfach, als junger Schwarzer im Viertel zu leben. Das ist es, was er ausdrückte. Die Frustration und die Emotionen“, sagte Sean Combs rückblickend.
Eine komplizierte Freundschaft
Währenddessen begann Christopher Wallace damit, immer mehr Zeit mit dem bereits bekannteren Tupac Shakur zu verbringen. Shakur war für die Dreharbeiten seines Schauspiel-Debüts von der Westküste der USA in seine Geburtstag New York City gekommen, als die beiden Rapper sich zum ersten Mal trafen. Es klickte sofort zwischen den Ausnahmetalenten, die viele Aspekte ihres Lebens teilten. Das Aufwachsen in schwierigen sozialen Verhältnissen, die Intelligenz und den Drang, sich über die Kunst ihren Mitmenschen mitzuteilen. In den frühen Tagen ihrer Freundschaft agierte Tupac sogar als eine Art Mentor für den aufstrebenden Wallace, der bisher noch wenig Erfahrung im Musikbusiness gesammelt hatte.
Noch bevor „Ready To Die“ veröffentlicht wurde, zerstritt sich Sean Combs mit Uptown Records und gründete sein eigenes Label unter dem Namen Bad Boy Records. Natürlich folgte ihm Wallace, denn auch zwischen ihnen hatte sich das Vertrauen und die Freundschaft weiter gefestigt. Noch eine weitere Person trat im Sommer 1994 in Wallace Leben, die in Zukunft eine wichtige Rolle spielte. Bei einem Fotoshooting für Bad Boy Records lernte er die R&B-Sängerin Faith Evans kennen, die er gerade einmal zwei Wochen nach ihrem ersten Treffen heiratete. Gemeinsam zog das Paar in eine Apartment in Brooklyn, allerdings sollte die Beziehung bald in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Veröffentlichung von „Ready To Die“ stand kurz bevor und mit dem steigenden Ruhm hielten auch Neid und Eifersucht Einzug.
„Ready To Die“
„Juicy“ erhielt als erste Single aus „Ready To Die“ sofort Goldstatus und katapultierte The Notorious B.I.G. mit gerade einmal zweiundzwanzig endgültig in die Sphäre der Superstars. Die Mischung aus Wallace Texten und den poppigen Produktionen funktionierte im Mainstream gleichermaßen wie bei hartgesonnen Rap-Fans. Dabei war der Weg dorthin von zahlreichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Wallace und Sean Combs, alias Puff Daddy, geprägt. Combs kannte die Mechanismen der Musikindustrie und wollte um jeden Preis Singles auf dem Album, die er bestmöglich vermarkten konnte. Zu Tracks wie „Juicy“ musste er The Notorious B.I.G. regelrecht überreden, der fürchtete, durch den Popansatz an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Er irrte sich. Gleichzeitig brachte Wallace keineswegs das übliche Paket eines glatten Popstars mit. Er setzte sein Übergewicht und das schielende Auge bewusst ein, um sein Wirken auf seine Fans, insbesondere auf Frauen, doppelt deutlich hervorzuheben.
Im Zuge des Erfolgs gründete The Notorious B.I.G. die Crew Junior M.A.F.I.A. Sie bestand ausschließlich aus alten Weggefährten und Freunden aus dem Viertel, darunter auch eine noch unbekannte Rapperin namens Lil‘ Kim. Christopher Wallace umgab sich bewusst mit vertrauten Menschen. Ihm war klar, welche Dynamiken der enorme Erfolg mit sich bringen konnte und welche Gefahren dabei auf ihn lauerten. Wie schnell diese Gefahren Wirklichkeit werden sollten, ahnte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch niemand.
Aus Freunden werden Feinde
Am 30. November 1994, kein halbes Jahr nach der Veröffentlichung von „Ready To Die“, befanden sich The Notorious B.I.G., Sean Combs und die gesamte Junior M.A.F.I.A. in den Quad Studios in New York City, unweit vom Time Square. Auch Tupac Shakur fuhr am selben Abend zu dem Studio-Komplex, um bei einer anderen Produktion mitzuwirken. Dass die beiden Superstars sich gleichzeitig in selben Gebäude befanden, war purer Zufall. Als die Crew um Christopher Wallace von Tupacs Besuch hörte, wollten sie ihn ebenfalls zu einer Recording-Session einladen.
Wallace Cousin und Junior-M.A.F.I.A.-Mitglied Lil Cease ging in die Lobby, um Tupac zu begrüßen, während der Rest der Gruppe wartete. Etwa fünf Minuten später kam Cease zurück ins Studio gerannt. Vollkommen außer Atem berichtete er, dass Tupac in der Lobby von zwei Männern überfallen worden war. Sie raubten dem Rapper Schmuck im Wert von 40.000 Dollar und schossen fünf Kugeln auf ihn ab. Schwer verletzt und beinahe tot blieb Tupac Shakur auf dem Boden der Lobby liegen.
Im nächsten Moment stürzten Wallace und seine Crew aus dem Aufzug in den Eingangsbereich des Gebäudes. Die Polizei war bereits eingetroffen und versuchte, die chaotische Situation unter Kontrolle zu bringen. Für das Opfer des Überfalls waren die Umstände in darauffolgenden Tagen klar. Wallace und Combs seien die Strippenzieher hinter dem Anschlag gewesen, um ihn aus dem Weg zu räumen. Die Beschuldigten beteuerten dagegen ihre Unschuld und verwiesen darauf, keinerlei Grund gehabt zu haben, den Mord an Tupac zu befehlen. Ganz im Gegenteil, sie waren fest davon überzeugt, in Tupac Shakur einen Freund zu haben. Wallace Ehefrau Faith Evans bekräftigte, wie sehr es ihren Mann getroffen habe, eines solchen Verbrechens beschuldigt zu werden, zumal das Opfer ein enger Freund war.
„East Coast vs. West Coast“
Nachdem Tupac von seinen Wunden genesen war, äußerte sich Tupac im April 1995 im Magazin „Vibe“ ausführlich zu den Ereignissen des 30. November 1994. Er bekräftigte abermals seine Überzeugung, von The Notorious B.I.G. und seiner Entourage in einen Hinterhalt gelockt worden zu sein. Es war der Anfang der berüchtigten Auseinandersetzung, die als „East Coast vs. West Coast“ in die Musikgeschichte eingegangen ist. An ihrer Spitze befanden sich The Notorious B.I.G. mit Bad Boy Records auf der einen Seite und 2Pac mit Death Row Records auf der anderen. Christopher Wallace erhielt im Anschluss an den Angriff auf Tupac regelmäßig anonyme Todesdrohungen, die ihm ernsthaft zusetzten.
„„Ich denke jeden Tag darüber nach. Wirklich, jeden Tag. So ernst ist das. Ich denke, dass jemand versuchen will, mich umzubringen. Ich wache paranoid auf, komplett verängstigt. Todesangst.““
Mit diesen offenen Worten sprach Wallace zu „VH1“. Als Tupac im Oktober 1995 bei Death Row Records unterschrieb, die ihn durch die Kautionszahlung von 1,4 Millionen Dollar aus dem Gefängnis geholt hatten, erhärteten sich die Fronten nochmals. Shakur hatte wegen sexueller Nötigung eingesessen und kam wütend aus der Haft. Doch nicht nur schwelte der Konflikt auf der Ebene der Rapper. Auch die Manager waren bis aufs Blut verfeindet.
Suge Knight vs. Puff Daddy
Death Row Records wurde von Suge Knight geführt, einem ehemaligen Footballspieler und Sympathisant der Bloods-Gang aus Los Angeles. Er verfolgte seine eigene Agenda im Feldzug gegen Sean Combs, der Knight zunehmend den Rang als führender Manager im Rap-Business streitig machte. Noch zwei Jahre zuvor stand Knight unangefochten im Rampenlicht und wurde mit dem Prädikat des Genies bedacht. Mit dem Durchbruch von The Notorious B.I.G. hatte er mit Sean Combs nun ernsthafte Konkurrenz bekommen. In aller Öffentlichkeit machte Knight sich bei den „Source Awards“ 1995 in New York City auf der Bühne über Combs lustig. Es folgten weitere Ansagen aus den jeweiligen Lagern an Ort und Stelle, die das Fass endgültig zum Überlaufen brachten.
Unmittelbar nach den Vorfällen bei der Preisverleihung forderte der Streit das erste Todesopfer. Bei einer Party in Atlanta wurde Suge Knights Bodyguard von Anhängern von Bad Boy Records erschossen, was Knight wiederum zum Anlass nahm, Sean Combs als Drahtzieher an den Pranger zu stellen. Erneut wehrte sich Combs gegen die Anschuldigungen, obwohl hier und da Stimmen laut wurden, die hinter dem Beef einen reinen PR-Schachzug vermuteten. Es wäre eine Strategie mit dem Preis von Menschenleben gewesen. Im Gegenzug wollten sich Knight und der Death-Row-Clan rächen, indem sie einen von Combs Mitarbeitern in einem Club dazu drängten, ihnen die Privatadressen des Bad-Boy-Gründers und seiner Mutter zu verraten. Als er sich weigerte, zwang man ihn dazu, ein Glas Urin zu trinken, bevor man ihn krankenhausreif zusammenschlug.
Eine Sache der Medien
Der Fall wurde in einem außergerichtlichen Vergleich von 600.000 Dollar zu den Akten gelegt, doch der Streit zwischen den Lagern von der West- und Ostküste war längt zu einem Dauerbrenner in den Medien geworden. Für Russell Simmons, den legendären Gründer von Def Jam Records, waren sie es, die die Auseinandersetzung zu einem Krieg stilisierten. Im selben Moment veränderte sich die Lage für Christopher Wallace auch privat zum Schlechten. Seine Ehe mit Faith Evans begann durch ihre jeweiligen Karrieren in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Immer häufiger waren die für Wochen getrennt, wodurch sich mehrere Personen zwischen sie drängen konnten. Insbesondere fällt dabei Wallace Affäre mit seiner Kollegin Lil Kim ins Gewicht, die auch medial große Aufmerksamkeit erfuhr. Nachdem eine weitere Affäre mit der Rapperin Charli Baltimore hinzugekommen war, wollte Evans die Scheidung einreichen. Die Ehe war zu diesem Zeitpunkt erst etwas mehr als ein Jahr alt.
Im Oktober 1995 ging The Notorious B.I.G. auf Tour durch die USA, während Faith Evans in Los Angeles arbeitete. Sie versuchte, den Kopf frei zu bekommen und sich abzulenken. In einem Club in Hollywood traf sie schließlich auf Tupac Shakur, der offensiv ihre Nähe suchte. Auch die anwesenden Fotografen witterten ihre Chance und hielten die unübliche Begegnung fest. Bei den darauffolgenden Ereignissen steht bis heute Aussage gegen Aussage. Laut Evans wollte sie lediglich als Friedensstifterin zwischen ihrem Noch-Ehemann und seinem größten Feind dienen. Naiv, aber nur mit den besten Absichten. Sie nahm deshalb auch die Einladung Tupacs an, auf einem seiner Songs zu singen. Tupac hingegen erzählte im Nachgang eine andere Geschichte. Nach der Session sei es zu Intimitäten gekommen, so der Rapper. Für Evans war dies ein klares Zeichen, dass Tupac sie nur als Mittel zum Zweck im Beef gegen The Notorious B.I.G. benutzen wollte.
„Hit em Up“
Zu allem Überfluss veröffentlichte Tupac kurz darauf den Song „Hit em Up“, in dem er The Notorious B.I.G. und Sean Combs noch deutlicher als je zuvor beleidigte. Auch die angebliche Affäre mit Faith Evans thematisierte er, doch Christopher Wallace ließ sich nicht dazu hinreißen, eine ähnliche musikalische Antwort zu verfassen, obwohl er von vielen seiner Crew-Mitglieder dazu gedrängt wurde. Bei den „Soul Train Music Awards“ im März 1996 trafen die Kontrahenten sodann das erste Mal wieder persönlich aufeinander, seitdem der Streit durch den Angriff auf Tupac in New York entbrannt war. Backstage fragte Wallace seinen ehemaligen Freund, was er sich von dem andauernden Hin und Her erhoffe, worauf er von Tupac die Antwort bekam, dass er lediglich versuche, so viele Platten wie möglich zu verkaufen und möglichst viel Geld zu verdienen.
In einem anschließenden Radiointerview berichtete Christopher Wallace von dem Gespräch. Es habe ihn geschmerzt, obwohl es zum Geschäft gehöre. Er könne es Tupac nicht übel nehmen, wobei er selbst nicht dazu in der Lage wäre, da es nicht seinem Stil entspräche. Die Chance auf eine wirkliche Aussprache sollte The Notorious B.I.G. und Tupac Shakur nicht mehr bleiben, denn die Zeit wurde knapp. Am 7. September 1997 wurde Shakur erneut Opfer eines Angriffes. In Las Vegas wurde er bei einem Drive-By-Shooting so schwer verletzt, dass er sechs Tage später starb.
Ein Verlust
Trotz des Streits und der Feindseligkeiten traf der Tod von Tupac Shakur Christopher Wallace hart. Auf die Frage, ob er nach den Ereignissen in Las Vegas den selben Schmerz wie Tupacs Umfeld und Fans verspüre, antwortete er:
„„Ohne Zweifel. Noch mehr als jeder andere. Ich meine, es war auf jeden Fall ein Verlust. Ein großer Verlust. Ich fühle mit seiner Familie.““
Gleichzeitig vermehrten sich in jener Zeit die positiven Aspekte in Wallace Leben. Er arbeitete hart an dem Nachfolger für „Ready To Die“ und zusätzlich wurde er zum zweiten Mal Vater. Während einer zwischenzeitlichen Annäherung mit Faith Evans wurden sie Eltern von Christopher Junior. Obwohl sich Wallace und Evans dazu entschieden, getrennt zu leben, verbesserte sich ihre Beziehung zueinander.
Die Aufnahmen zum neuen Alben endeten im Frühjahr 1997. Es erhielt den Namen „Life After Death“ und wurde damit zum Symbol für das, was schon bald bevor stand. Im Februar 1997 reiste The Notorious B.I.G. nach Los Angeles, um das Album zu promoten, was durch die Vorgeschichte und den Beef mit Death Row Records als ein Trip in Feindesland gedeutet wurde. Er verfolgte allerdings die Absicht, die entstandenen Wogen zu glätten und neue Fans in Kalifornien zu gewinnen.
„„Ein Mann gegen einen Mann führte dazu, dass eine ganze Westküste eine ganze Ostküste hasst, und umgekehrt. Das hat mich wirklich genervt. Was ich jetzt tun muss, ist derjenige zu sein, der es wieder umdreht.““
Eine Warnung
Christopher Wallace Mutter Voletta war dagegen wenig begeistert von dem Plan ihres Sohnes. Sie fürchtete sich um seine Sicherheit, sobald er sich ins Hoheitsgebiet von Suge Knight begab. Christopher beschwichtigte seine Mutter und versprach ihr, dass alles gut werden wird. Es waren seine letzten Worten an sie: „Everything is going to be ok.“
In Los Angeles angekommen besuchten The Notorious B.I.G. und Sean Combs eine Aftershow-Party des „Vibe“-Magazins, eben jenes Medium, das Tupac im April 1995 Raum für seine Theorie über den Anschlag auf sein Leben in New York City gegeben hatte. Zuvor waren sie Gäste der „Soul Train Music Awards“ gewesen. Sie hatten Spaß und genossen den Abend, obwohl Wallace bei der Preisverleihung ausgebuht worden war. Combs berichtete von einer losgelösten Stimmung, da in diesen Tagen viel Last von den Schultern seines Schützlings abfiel. Die Location spielte seine neue Single „Hypnotize“ mehrfach, bevor die Feuerwehr das Gebäude aufgrund von Überfüllung schließen musste.
The Notorious B.I.G. ist tot
Die Crew um The Notorious B.I.G. verließ die Party und stieg in mehrere gemietete Luxusautos. Sean Combs befand sich im ersten Wagen, Christopher Wallace und seine Freunde Damion „D Roc“ Butler und Lil‘ Cease im zweiten. Wallace saß bester Laune auf dem Vordersitz und drehte die Stereoanlage des Autos lauter, aus der sein Song „Going Back To Cali“ tönte. Nur wenige Meter nach der Abfahrt hielten sie an einer Ampel, während ein schwarzer Chevrolet Impala neben ihnen zum Stehen kam. Der Fahrer des Chevrolets, ein schick angezogener Afroamerikaner, rollte die Fensterscheibe herunter und richtete eine Pistole auf The Notorious B.I.G.. Vier Schüsse trafen den Rapper in der Brust, der sofort leblos vornüber sackte. Der Attentäter raste davon und die übrigen Wagen des Konvois eilten zur Hilfe. Sean Combs erinnerte sich später an den Moment:
„„Ich öffnete die Tür und er war vorne über gebeugt. Ich versuchte, mit ihm zu sprechen und ihn zu bewegen, als ich den Notdienst rief.““
Es wurde klar, dass keine Zeit zu verlieren war, sodass Combs einen der Fahrer anschrie, er solle sie ins nächstgelegene Krankenhaus fahren. Sie gelangten zum Cedars-Sinai Medical Center, wo unmittelbar eine Notoperation eingeleitet wurde. Die Ärzte kämpften um das Lebens des verletzten Superstars, doch es war vergebens. Christopher Wallace, alias The Notorious B.I.G., wurde am 9. März 1997 um 01:15 für tot erklärt. Er wurde 24 Jahre alt. Sein Mörder konnte nie zweifelsfrei ermittelt werden.
Die Nachricht
Noch vor Tagesanbruch rief Wallace Freund und Weggefährte Damion Butler die Mutter des ermordeten Musikers an, um ihr die schreckliche Nachricht zu überbringen. Jahre später erzählte sie „VH1“:
„„Ich hörte Damion weinen. Ein erwachsener Mann, der schrie und weinte. Ich wusste, dass etwas falsch war. Ich wusste es einfach. Warum sollte dich ein erwachsener Mann weinend anrufen? Als er weinte, schrie ich: ‚Sag mir, was mit meinem Sohn los ist!’““
Voletta Wallace nahm den ersten Flug nach Los Angeles. Noch immer hatte sie nicht ganz begriffen, dass ihr Sohn tot war. Erst als sie im leeren Hotelzimmer ankam, realisierte sie, dass es die Realität war.
„„Ich ging hinein und wartete immer noch darauf, diese Stimme zu hören. Nichts. Stattdessen hörte ich das leise Surren der Klimaanlage und die Regentropfen auf dem Dach.““
Ein letztes Mal durch Brooklyn
Am 12. März 1997, drei Tage nach seiner Ermordung, wurde Christopher Wallace in Brooklyn mit einem Trauerzug geehrt. Zu Tausenden strömten die Menschen auf die Straßen, um Abschied von ihrem Helden zu nehmen. Er war ihre Stimme und erfüllte die Menschen aus dem Viertel mit Stolz, dass einer von ihnen es bis nach ganz oben geschafft hatte. Natürlich war die Stimmung von Trauer geprägt, denn der Tod von The Notorious B.I.G. hinterließ eine riesige Leere, doch auf einmal passierte etwas Besonderes. An einer der Straßenecken, an denen Christopher Wallace vor seiner Rap-Karriere seine Tage verbracht hatte, stellte jemand Lautsprecher auf und spielte die jüngste Single „Hypnotize“. Die Menge flippte aus und verwandelte den Trauerzug kurzerhand in eine riesige Party.