The Million Dollar Hotel
von Wim Wenders
Der Jordan mündet ins Tote Meer. Der Jordan fließt durch Downtown Los Angeles, wo man den Engein die Hügel amputiert hat, die Häuser hoch sind und hässlich, und wo du das richtige Wort kennen musst, um übersetzen zu dürfen auf die andere Seite. Ein Gesetz so alt wie das Alte Testament, aufgeschrieben im Buch „Richter“ in früher Zeit: Wer „Schibboledi“ sagen kann, wer die richtige Sprache spricht, darf über den Jordan. Wer die Losung nicht kennt… In Downtown Los Angeles, am Million Dollar Hotel, ist der Jordan nur drei Meter breit Ein einfacher Sprung. Keine Kontrollen. Eine stumme Grenzüberschreitung von Dach zu Dach, und es ist kein Zufall, das ein Mann, der sich „Rand“ nennt, „Ufer“, „Edge“, begriffen hat: „Wenn du glaubst, dass du es schaffen kannst, dann schaffit du es auch.“ Und dann fangt der Film an. Mit diesem Satz, der schon beim ersten Mal Hören Filmgeschichte ist: „Nachdem ich gesprungen bin, wurde mir klar™“ Das Leben ist perfekt. Weißt du das denn nicht? Hier kannst du es lernen. Im Million Dollar Hotel, in Downtown Los Angeles, wo die Teppiche nach Pisse riechen und nach Joints, wo die Verlierer abgeliefert werden und die Freaks. Du springst, und wenn du fällst, fällst du an all den Fenstern vorbei und schaust den Gefallenen ins Leben. Hier haben sich U2 mal von Anton Corbijn fotografieren lassen, und hier hat Gitarrist Edge jenen Satz gesagt Die Geschichte der Geschichte fangt an, wo diese Geschichte spielt.
Der Film, „The Million Dollar Hotel“, in sieben Wochen im vergangenen März von Wim Wenders gedreht, hat ein Jahrzehnt gebraucht, um zu entstehen. Die Idee von Bono; ein Drehbuch für einen Science-fiction-Film mit dem Titel „The Billion Dollar Hotel“ von Bono und Autor Nicholas Klein; Leinwand NEU IM KINO
Mel Gibson, der die Rechte gekauft hat; Wim Wenders und Bono und Nicholas Klein und vielleicht Sean Penn oder Johnny Depp in der Hauptrolle, und sie kriegen das Budget nicht zusammen für den Film. ’96 scheint alles vorbei. Dann ein weiteres Script, neue Darsteller, Mel Gibson (der war schon mal in der Geschichte), Milla Jovovich und Jeremy Davies, nach dem Wenders ewig sucht, Low Budget, ein europäischer Film in L.A. und der beste, den Wenders je gemacht hat Der Film ist ein Kammerspiel, die Schauspieler sind das perfekte Ensemble. In der Hauptrolle: Tom Tom (Jeremy Davies), ein Idiot, der alles fühlen kann, aber nicht seine Gefühle sortieren. Sie sprengen ihn manchmal, dann sucht seine ganze Sympathie, die er für die Welt empfindet, einen Weg raus aus seinem Körper. Dann zuckt er und gestikuliert und kriecht, umarmt und kratzt sich. Tom Tom, der Übersprung. Er liebt die Welt und Eloise, denn natürlich ist „The Million Dollar Hotel“ ein Film über die Liebe. Und Eloise (Milla Jovovich)? Ein Traum, der träumt. Sie vergisst sich, aber sie kann nichts vergessen. Dir Gedächtnis funktioniert fotografisch, sie liest sich aus der Welt deshalb, die auf sie einstürzt. Ich bin fiktiv, meint sie, aber das stimmt ja nicht Sie ist, wo sie ist, weil das kein Ort ist, das Million Dollar Hotel. Wer hier ist, ist niemand, und wo niemand ist, ist nichts. Bis jemand nachfragt Der Agent Skinner (Mel Gibson) kommt, um diesem Niemanden das Fell abzuziehen. Dem schrägen Indianer (Jimmy Smits) zum Beispiel, der Bilder aus Teer malt, alles in schwarz. Und Dixie (Peter Stormare), der diese tollen Songs geschrieben hat, während die anderen Beatles in Indien beim Guru hockten, und den man einfach vergessen hat auf dem Cover von „SergeantPepper“. Skinner kommt, weil einer vom Dach gesprungen ist: Izzy, „Is he?“, im Englischen eine Frage nach Sein oder Nichtsein, ein Junkie bloß, aber der Sohn eines Medienmoguls, und das soll keiner wissen. Dafür steht Skinner gerade. Dabei kann er das gar nicht Ein Korsett stützt seinen zerstörten Rücken, macht ihn zum Roboter, schränkt sein Blickfeld ein, zwingt ihn, gnadenlos nach vorn zu schauen. Gerade zu stehen – nichts davon ist wahr. Skinner ist ein Freak unter Freaks. Ein amputierter Engel, denn aus seinem Rücken wuchs mal ein dritter Arm, ein Stumpf, ein Flügel natürlich, den er hat abschneiden lassen, um die Grenze passieren zu dürfen. Skinner, der Ordnung machen soll im Million Dollar Hotel, ist in Wahrheit ein Rückkehrer, der nicht angefasst werden wilL weil seine Fassade so schnell bröckelt Aber natürlich fasst Tom Tom ihn an, aus lauter Liebe.
In Berlin wird „The Million Dollar Hotel“ die 50. Internationalen Filmfestspiele eröffnen. Als neuer Wenders eben, außer Konkurrenz, weil das der Film auch ist, die Regiearbeit eines Denkmals. Brillante Arbeit, wie immer. Großartige Schauspielerführung, alle übertreffen sich selbst, begeisternde Kamerafahrten, alle wohl überlegt, und jede Einstellung ein Einfall. Die Wenders-Fans werden begeistert sein. Sowieso. Gemacht aber ist dieser Film über die anderen für die anderen. Wim Wenders, der so oft die Melancholie war, die in Bildern zu sich selber redete, erzählt in dem „Million Dollar Hotel“ seine bislang beste Geschichte. Vielleicht hat er sie daher nicht aufhören lassen. Ihr Anfang ist ihr Ende, ihr Ende ist ihr Anfang. Ein alter U2-Song erklingt, „For The First Time“. Die Sequenz ist ein Clip. Langsam macht sich Tom Tom bereit für den Sprung. Schlechte Tattoos, keine Frisur, zwei Shirts übereinander, der Anlauf ist so lang wie das Dach. „Wenn du glaubst, dass du es schaffen kannst, dann schaffst du es auch.“ Crescendo. Tom Tom läuft schon. Seine Sneakers sind hinüber, er winkt – wem? – und wird schneller, schneller. Dann fängt der Film an. Mit dem Satz, der schon beim ersten Hören Filmgeschichte ist: „Nachdem ich gesprungen bin, wurde mir klar…“