The Jesus and Mary Chain: Die Fucked-Up-Fans der Eagles
Sie sind wieder da und wollen nicht mehr gehen: The Jesus and Mary Chain mit „Glasgow Eyes“
Ihr Debütalbum trug den brachialen Titel „Psychocandy“, sie spielten mit dem Rücken zum Publikum, Gitarrenfeedback ersetzte Melodien, nach 20 Minuten hatten sie die Bühne zerlegt, und heute, 40 Jahre später, sagt Jim Reid nur: „Wir taten das, auch die noch schlimmeren Sachen, weil wir … schüchtern waren. Drogen zu nehmen war die Ausrede dafür, sich fucked up aufzuführen.“ Aber: „Im Studio waren wir nüchtern! Zumindest die ersten zehn Jahre.“
Klug gesteuerter Krach, unterlegt mit Sixties-Beats der Ronettes, so prägten The Jesus and Mary Chain ab 1984 den „Indie“ genannten Rock-Underground. Die schottischen Schwarzröhrenjeansträger mit den toupierten Gothicfrisuren galten wirklich als die Mega Fuck Ups. Man glaubte nicht, dass sie es bis in die 1990er-Jahre schaffen würden. Nun feiern Jim und sein Bruder William Reid ihr 40. Bandjubiläum, und veröffentlichen mit „Glasgow Eyes“ ihr achtes Album und später im Jahr ihre Memoiren. Ihre getrübten Erinnerungen diktierten sie einem Journalisten in den Block.
Aus dem Scheißdrauf-Duo ist also ein Legacy Act geworden. Jim lacht, aber er bestreitet nicht, stolzer Vermächtnisträger zu sein. In zwei neuen Songs referenziert er die eigene Intellectual Property: „Jamcod“, also „Jamc Overdose“, „Überdosis Jesus and Mary Chain“, eine Erinnerung an den Bruderzwist, der 1999 zum vorläufigen Split führte. In „Second of June“ singt er den Bandnamen sogar aus. Was bei Guns N‘ Roses Ausdruck von Protzerei wäre, ist bei JAMC `ne coole Nummer. Außerdem lernen wir durch Jims Aussprache in dem Lied endlich, dass die Betonung nicht auf „The“, „Jesus“ oder „Chain“ liegt, sondern „Mary“. „Betonung ist mir egal”, sagt er. „Wir sind aber nicht: The Jesus and THE Mary Chain! Wer mir so kommt, und das passiert häufig, kriegt Ärger – und ist auch kein echter Fan!”
Songs von The Jesus and Mary Chain klingen oft gleich, das Privileg einer Band, die einen Markenzeichen-Sound erschaffen hat. Das teilen sie mit AC/DC und den Ramones. Andererseits protokollieren die Reid-Brüder ihre Liebe zu Vorbildern transparent, nennen Stücke „Hey Lou Reid!“ (sic!) und „The Eagles and The Beatles“. Daraus spricht Großherzigkeit. „Viele Bands versuchen ihre Einflüsse zu verschleiern“, sagt Jim. „Sie haben Angst sich zu entmystifizieren. Es stört mich nicht, falls jemand behauptet, wir seien ein Velvet-Underground-Pastiche“. Was aber THE Eagles wohl zu ihren zwei Superfans sagen würden?
Die Aufnahmen von „Glasgow Eyes“ waren herausfordernder als die zu ihrem Comeback-Album „Damage and Joy“ von 2017, dem ersten Werk seit 19 Jahren. Die Hälfte davon bestand – was ihr Label nicht kommunizierte – aus bereits auf Soloalben veröffentlichten Songs. Die neuen zwölf Lieder dagegen sind allesamt gemeinsam im Studio entstanden.
Am gelungensten sind die zynischen Stücke über die USA, ihrem Lieblingsthema seit „Munki“ von 1998. „Das Velvet-Underground-Amerika ist tot“, sagt Jim. „Vom Urschrei des Rock and Roll 1954 bis in die 1990er-Jahre waren die Staaten für uns ein kultureller Leuchtturm. Nun gibt es dort Trump, vorher Bush. Und die Menschen? Typen mit Shorts und Baseballcaps, und alle singen die falschen Lieder.” Stark simplifiziertes Urteil, aber es sind ja auch einfache Gedanken, die dem Punk Kraft verleihen. In „American Born“ singt William „I live like Americans, I talk like Americans“, und allein seine Intonation verleiht diesen harmlosen Wörtern Abscheu. Die Enttäuschung über die USA datiert auf 1994, als JAMC das Blues-Folk-Album „Stoned and Dethroned“ herausbrachten und Cowboyhüte aufsetzten. Ihr bestes Album – und ein Flop. „Wir wurden marginalisiert. Passten nicht mehr in die Zeit. Britpop wurde groß. Niemand erwartete damals von Briten introspektive Platten. Blur sangen über `a big house in the country‘ – und wir lediglich über Country.”
Aus den jungen Wilden sind aber keine alten Grantler geworden. Jim Reid ist 62, und das Verhältnis zu seinem drei Jahre älteren Bruder sei inzwischen voll belastbar. Eine Trennung mit langjähriger Stille werde es nicht mehr geben. Beide sind auch seit vielen Jahren clean. „Wenn mir jemand vor 40 Jahren gesagt hätte, ich mache jetzt noch Musik, wäre ich lachend vom Stuhl gefallen“, sagt Jim. Er hat für sich zwei Ü-60-Regeln aufgestellt. „Erstens: kein Live-Comeback, wenn man keine neue Platte aufgenommen hat. Zweitens, noch wichtiger: Songs are not allowed to be a piece of shit.“