The Hives im Interview: über neue Musik und die „World Wide Web Tour“
Pelle Almqvist von The Hives berichtet uns, dass ihr neues Album idealerweise noch dieses Jahr aufgenommen werden soll. Wahrscheinlich werden es sogar zwei. Am 21. Januar geben die Hives im Rahmen ihrer „World Wide Web Tour“ einen Auftritt für Berlin.
In ihren Songs singen sie von tickenden Bomben, der rennenden Zeit und der Konfrontation mit Widerständen, doch bei The Hives selbst regte sich neun Jahre zumindest im Studio eher wenig – doch der Schein trügt, wie uns Hives-Sänger Howlin‘ Pelle Almqvist erzählt. So brodelte es nicht nur in der Musikschmiede, sondern auch zwischen den Bandmitglieder gewaltig. Dabei verrät Almqvist, dass trotz einiger Streitigkeiten über die letzten Jahre so viel Material zusammengekommen ist, dass womöglich mit sogar zwei Alben gerechnet werden kann. Idealerweise möchte Pelle das kommende Album bereits in diesem Jahr in den USA aufnehmen – und das zweite direkt hinterher schießen. Nun aber gehen sie zunächst auf „World Wide Web Tour“, geben also per Stream übertragene Konzerte. Am 21. Januar findet der Auftritt für Berlin statt, als Auftakt der Tournee.
Neben den Zukunftsplänen der Hives plauderten wir außerdem über Rachefantasien, AC/DC und wie es sich anfühlt, nach so langer Zeit wieder mit neuer Musik in die Öffentlichkeit zu treten. Pelle: „Es fühlt sich an, als wären wir wieder ein ganz neue Band.“
The Hives wurden vom Oasis-Manager Allan McGee entdeckt
Nachdem die schwedischen Garage-Rocker im Jahr 2000 mit dem Album „Veni Vidi Vicious“ einen ersten Erfolg erzielte, war es erst Oasis-Manager Allan McGee, welcher der Band mit der nachfolgenden Best-of-Compilation „Your New Favourite Band“ und dem 2004 veröffentlichten Album „Tyrannosaurus Hives“ zum internationalen Durchbruch verhalf. Seit dem 2012er Album „Lex Hives“ warten Fans jedoch auf eine neue Platte. Nachdem sich The Hives schließlich nach 4 Jahren Funkstille 2019 mit den Singles „I’m Alive“ und „Good Samaritan“ zurückmeldeten, folgte im Oktober 2020 ihr erstes Live-Album „Live At Third Man Records“. Neues Material sucht man jedoch auch dort vergeblich. Stattdessen setzt die Band auf ihre Live-Shows und kündigte für dieses Jahr ihre interaktive und weltweit einzigartige „World Wide Web Tour“ an.
Pelle Almqvist im Interview
Ihr habt zuletzt euer „Third Man Records“-Live-Album herausgebracht. Wie gut fängt es eure Bühnenshows ein?
Weißt du, um ehrlich zu sein – ich habe es mir noch nie angehört. Diese „Third Man“-Serie ist so unfassbar live, dass die Show auf der Platte eingraviert wurde, während wir spielten. Danach weiß ich damit nichts mehr anzufangen. Und den Leuten scheint es echt zu gefallen. Ich meine, ich habe bisher nur Positives gehört. Aber: Ich mache eine Show, und dann ist die Show vorbei, und dann gibt es nichts, was ich daran ändern kann. Aber ja, ich meine, es ist schon wichtig für uns als Live-Band – und es ist irgendwie seltsam, dass wir noch nie ein Live-Album gemacht haben und das erste dann ausgerechnet eines für die „Third Man“-Reihe darstellt, die so spezifisch ist. Also denke ich, wir sollten auch bald unser eigenes Live-Album aufnehmen. Außerdem war bei „Third Man“ auch nicht der echte Hives-Schlagzeuger drauf. Sondern Joe Castillo von Queens Of The Stone Age, weil Chris operiert wurde und nicht dabei sein konnte. Also sollten wir auch ein Live-Album mit dem echten Schlagzeuger machen. Aber bis dahin solltet ihr dieses kaufen! (lacht)
Überraschend – da momentan keine Liveshows stattfinden, hätte ich vermutet, dass man gerade dann nochmal in Liveplatten reinhören würde …
Nein, die Live-Shows sind in meinem Kopf immer besser. Wenn ich sie mir anhöre, werde ich viel zu kritisch. Es ist schwer für mich, nicht darüber nachzudenken was schief gelaufen ist und was gut war, also einfach unsere eigene Musik zu genießen. Ich meine, ich genieße sie und ich mache sie ja so, dass sie mir gefällt, also liebe ich sie – aber es ist schwer, sie oft zu hören. Es ist ein bisschen so, als hätte man ein Gemälde nach seinem besten Können gemalt, und es dann im Nachhinein anzuschauen ist einfach komisch. Es ist schwer, dann nicht selbstkritisch zu sein.
Wenn man sich eure Live-Shows anschaut, bekommt man den Eindruck, dass sie nicht nur für das Publikum, sondern auch für euch selbst eine Art ekstatisch-reinigenden Zweck erfüllen. Da muss sich doch mit der Zeit einiges aufgestaut haben …
Ja, das stimmt. Es ist echt schrecklich. Diese Live-Shows sind so etwas wie mein Ritual und das, was mich im Leben auf dem rechten Weg hält. Es ist wirklich seltsam, das nicht mehr zu haben. Wenn mich dieses Jahr eines gelehrt hat, dann wie sehr ich das alles eigentlich brauche. Ich denke, ich kenne nun die Antwort auf viele Leute, die uns nach älteren Bands fragen und sich wundern, warum sie nicht aufhören, wenn sie genug Geld haben und so. Der Grund ist, dass das alles wirklich Spaß macht und es sich echt gut anfühlt. Und das ist der Hauptgrund, aus dem auch ich das mache.
War das der Anlass eurer kommenden „World Wide Web Tour“?
Wir wollten einfach irgendwas machen. Aber wir haben bereits eine Live-Stream-Show für Mexiko gemacht und es ist einfach komisch ohne Publikum. Wir können eine tolle Show abliefern, aber es fühlt sich besser an, wenn Zuschauer dabei sind.
Kann es bei der „World Wide Web Tour“ deswegen mehr Interaktionen mit dem Publikum geben?
Ja, es wird so viel wie möglich sein, denn das ist es, was uns gefehlt hat. Bei einigen dieser Live-Streams, die ich mir hauptsächlich zu Recherchezwecken angeschaut habe, ist es für mich nicht offensichtlich, dass das auf der Bühne tatsächlich live ist. Ich kaufe der Hälfte dieser Bands nicht ab, dass sie live auftreten. Ich denke auch, dass viele Gigs vorab aufgezeichnet wurden, denn es gibt keine Möglichkeit das zu überprüfen, wenn es keine Interaktion mit dem Publikum gibt. Dann kann man sich das ja jederzeit anschauen. Wir wollen die Interaktion mit dem Publikum beweisen. Es wird so sein, dass Leute auch anrufen können, denn die Ekstase des Publikums ist das, was uns während der Show antreibt. Wenn die Leute anrufen, hilft uns das also auch.
„Einige meiner Lieblings-Punk-Songs sind Rachefantasien“
Mit eurer 2019er-Single „I’m Alive“ habt ihr euer erstes neues Material seit vier Jahren herausgebracht. In einem Statement sagtest du, dass du mit dem Song alle Widerstände auslöschen wolltest, denen man begegnet, wenn man „unter einem Felsen hervorkriecht“. Wie hat das geklappt?
Ziemlich gut. Ich glaube mit dem Song haben wir erreicht, was wir vorhatten. Ich meine, wir sind irgendwie durch die globale Pandemie gehandicapt, aber ich mag den Song wirklich. Er ist einer meiner liebsten Hives-Songs überhaupt. Es fühlte sich also gut an, ihn nach einer so langen Pause zu veröffentlichen.
Wie verhält sich dieser Song zu deinem Verständnis von Punk/Punkrock?
Nun, Punkrock und Rock’n’Roll überschneiden sich zwar, aber sie sind nicht immer dasselbe. Ich habe das Gefühl, dass einige meiner Lieblings-Punk-Songs Rachefantasien sind. Weißt du, es geht doch immer darum: „Die Lehrer und die Politiker und Mama und Papa haben mich unterdrückt und jetzt explodiere ich“… So wie in „Sonic Seducer“ von den Dead Boys. Er singt davon, dass er drei Meter groß ist und so weiter. Es ist so eine Art jugendliche Rachefantasie. Und ich nehme an, „I’m Alive“ ist das auch in gewisser Weise. Es geht um eine Art diffusen Widerstand, den es zu überwinden gilt. Mehr Punk geht nicht, wenn du mich fragst. Also ja, es passt wirklich gut zusammen. Das dachte ich nicht, als ich anfing, die Frage zu beantworten, aber als ich weiter nachdachte, passte das tatsächlich perfekt. (lacht)
Welche Widerstände spürtet ihr innerhalb der Band?
Was hindert uns daran, ein neues Album zu machen? Ich denke, wir sind die einzigen, die uns davon abhalten, ein neues Album zu machen. Wir haben eine Menge Songs. Wir haben eine Menge guter Songs. Es fällt uns schwer, uns darauf zu einigen, wie wir sie aufnehmen, was wir mit ihnen machen sollen und welche überhaupt die guten sind. Ich denke, da wir keinen Widerstand oder Konkurrenz von außen empfinden, weil wir nicht wirklich das Gefühl haben, dass irgendjemand genau das macht, was wir machen – so gut oder so schlecht oder etwas schlechter als wir –, mussten wir wohl unseren eigenen Widerstand hervorrufen. Denn man braucht immer etwas gegen das man sich wehren kann. Und ich glaube, wir haben angefangen, uns gegenseitig Widerstand zu leisten, und ich denke, das ist irgendwie außer Kontrolle geraten (lacht).
Und wie ist die Stimmung momentan?
Ein bisschen besser, glaube ich. Ich glaube, wir sind etwas runtergekommen und jetzt haben wir tatsächlich eine Art Plan, wie wir neue Musik aufnehmen und wie wir es machen wollen. Aber es war ein langer Weg.
Habt ihr denn momentan etwas in Arbeit?
Nur eine Menge guter Songs. Wir wollten in die Staaten gehen und ein paar davon aufnehmen, aber diese globale Pandemie-Sache kam uns in die Quere und hat uns auch das irgendwie ruiniert. Es hat also nicht nur die Live-Shows ruiniert, sondern auch die Aufnahmen und Proben. Es war eine Qual. Es war wie ein erzwungener Ruhestand.
Warum wollt ihr unbedingt in den Staaten aufnehmen? Könntet ihr das nicht auch wieder in Schweden tun?
Ja, sicher. Aber es gibt Leute, mit denen wir in den Staaten aufnehmen wollen. Ich denke, die Leute sind das Wichtigste. Das Studio kommt erst an zweiter oder vierter Stelle oder so. Und deshalb konnten wir noch nicht aufnehmen. Also stehen wir wieder am Reißbrett. Ich bin sicher, dass uns etwas einfallen wird. Aber man kann in Schweden definitiv gute Platten machen. Ich meine, nicht zuletzt haben wir dort ein paar wirklich gute Alben produziert.
Da ihr also wieder zurück am Reißbrett seid: Wie wirkt euer Freund und Songwriter Randy Fitzsimmons momentan mit? Hat er sich schon zurückgezogen oder ist er immer noch Teil eures Songwriting-Prozesses?
Nein, er ist immer noch involviert. Er ist noch nicht ganz im Ruhestand. Ich denke, er sollte mehr involviert sein. Ich denke, er sollte einfach reinkommen und entscheiden, was wir machen, da wir einige Probleme innerhalb der Band hatten, uns auf Dinge zu einigen. Vielleicht müssen wir Randy einfach mehr einbeziehen … ja, das ist echt eine gute Idee. Er hat schon eine Menge kreativer Differenzen gelöst.
Ohne Leitfigur verwandeln sich die vielen unterschiedlichen Ideen schnell zum Einheitsbrei, nehme ich an.
Ja, alles wird auf eine Art normalisiert. Also sollten wir versuchen, das zu vermeiden.
Wie und wer definiert also dann euren Sound momentan?
Bisher war es eher ein großes Chaos. Es gibt immer zwei Leute mit sehr eindeutigen, gegensätzlichen Meinungen. Und nach einer Weile fühlte es sich so an, als ob wir das absichtlich machen würden. Wenn einer sagt „Ich habe eine Idee“, dann sagt der andere „Ich mag sie nicht“, und dann sagt die gleiche Person „Ich habe eine Idee“ ,und dann sagt die Person, die die ursprüngliche Idee hatte: „Dann mag ich deine Idee nicht“. Das kann zu einer Art kaltem Krieg führen, in dem es heißt: Wenn du ein paar Nukes abwirfst, dann werfe ich auch ein paar Nukes ab, und am Ende ist nichts mehr übrig. Wir versuchen also, davon wegzukommen und mehr miteinander als gegeneinander zu arbeiten. Es ist wichtig, ein bisschen gegeneinander zu arbeiten, aber man darf nichts aus dem Ruder laufen lassen. Wenn aber die Gefahr besteht, dass man sich zu sehr einig ist, dann ist das auch nicht gut. Ich glaube, viele Bands machen den Fehler, dass sie sich zu sehr einig sind und die ganze Zeit denken, dass alles toll klingt. Und dann veröffentlicht man ein Album und es stellt sich heraus, dass es gar nicht so toll war.
Scheint, als legt ihr die Messlatte ziemlich hoch, wenn man bedenkt dass ihr nur etwa vier Jahre ein Album herausbringt. Das letzte liegt nun schon neun Jahre zurück. Also ist diese starke Selbstkritik …
Ja, es ist verrückt, es ist zu viel, da stimme ich zu! Wir hätten eine Platte rausbringen sollen. Aber ich denke, wir halten irgendwie immer das gleiche Tempo. Also gibt es jetzt bald wahrscheinlich zwei gute Alben, anstatt nur eines. Es ist nur so, dass wir vor zwei Jahren keins herausgebracht haben. Also haben wir uns das gespart. So können wir hoffentlich in einer perfekten Welt das Tempo nach diesem Album anziehen und vielleicht gleich zwei Alben rausbringen. Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit.
Ist das der Plan für 2021?
Ich meine, das wäre großartig. Es ist schwer für mich zu sagen, ob wir dazu in der Lage sein werden, da wir schon eine Weile nicht mehr viel machen konnten. Aber ich denke, dass das der ideale Plan wäre. Sozusagen ein Traumszenario. Aber allzu oft habe ich in Interviews genau gesagt, was passieren wird, und dann ist es nicht so gekommen, und dann fühle ich mich hinterher dumm. Also halte ich mich hier etwas zurück. Aber es gibt Hoffnung.
„Wir sind große AC/DC-Fans. Wir mögen es, wenn man sich auf Bands verlassen kann“
Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit, also die Dinge ruhen zu lassen …
Ja möglich. Es fühlt sich aber ziemlich cool an. Es fühlt sich irgendwie an wie vor der Veröffentlichung unseres ersten und zweiten Albums, wo wir so viel gutes Zeug hatten, das noch niemand gehört hat. Es ist ein ziemlich cooles Gefühl. Es fühlt sich an wie „warte nur, bis du hörst, was wir in petto haben“, und hoffentlich können wir es fertigstellen. Aber da wir so lange weg waren und so lange keine Platte veröffentlicht haben, fühlt es sich an, als wären wir wieder ein ganz neue Band.
Wie weit gedenkt ihr zu experimentieren und dabei gleichzeitig eurer Identität als Band treu zu bleiben?
Ich denke, die Identität wird immer da sein. Und wir müssen sie nicht bei jedem Song so sehr schützen. Ich denke, die Hives haben eine so klare Identität, dass wir es uns leisten können, ein bisschen damit herumzuspielen. Andererseits sind wir große AC/DC-Fans und so. Wir mögen es, wenn man sich auf Bands verlassen kann. Denn jede Band, die ihr eigenes Ding hat, benutzt dieses natürlich, weil es diese Besonderheit ist, die sie schlussendlich ausmacht. Und ich denke, das ist definitiv auch bei uns der Fall. Aber ich meine, bei jeder Platte nehmen wir uns vor, mehr andere Sachen zu probieren oder mehr verschiedene Sachen zu machen. Wenn die Platte dann jedoch fertig ist, klingen die besten Sachen irgendwie immer wie die Hives, und das ist es schließlich, was am Ende herauskommt. Wir sollten das ein bisschen mehr erforschen.
Also, ein neues Album: „It’s too late, it’s too soon, or is it? Tick, tick, tick, boom!“
Ehm…(lacht)… es ist „tick, tick, tick, boom“… ja, das nehme ich.