The Cure live in Leipzig: Lang leben die Gothics!

Ihren Auftritt in Leipzig zelebrieren The Cure wie die Rückkehr in eine zweite Heimat

The Cure wissen wahrscheinlich, was sie an dieser Stadt haben: Im August 1990, knapp zwei Monate vor der Wiedervereinigung, spielte die Band auf der Festwiese ihr erstes Konzert in der damaligen (Noch-)DDR, es ist als eines ihrer bekanntesten und von Fans am euphorischsten empfangenen in die Geschichte eingegangen. Leipzig hat sich seitdem – auch ohne Mithilfe Robert Smiths – zu einer der europäischen Metropolen für Gothic-Musik entwickelt, wovon das alljährliche „Wave Gotik Treffen“ zeugt. Ihren letzten Gig in der Stadt absolvierten The Cure vor fast exakt 20 Jahren – keine Frage, dass diese Rückkehr sehnlichst erwartet wurde, das Konzert in der Arena war als eines der ersten der aktuellen Tournee ausverkauft.

The Cure Perform In Bologna

Mag sein, dass die Band nur deshalb so viele Songs ihres 1989er-Albums „Disintegration“ gerade hier aufführt – sie spielen acht, was damit mehr als ein Viertel des Sets ausmacht –, weil die Musiker während dieser Konzertreise die Auswahl ihrer Stücke eben rotieren lassen. Hamburg etwa stand nun schon im Zeichen von „Wish“ (1992), Berlin von „The Head On The Door“ (1985).

Vielleicht aber wurden die meisterlich düsteren Stücke von „Disintegration“ aber auch eigens für Leipzig in Szene gesetzt. Acht von zwölf Songs also aus dieser Ära – als hätten Anhänger nun die Gelegenheit gehabt, ein Konzert von 1989 ein zweites Mal zu besuchen.

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Kann man einen Auftritt, eine Platte besser beginnen als mit diesen ersten 16 Minuten? Wie auf dem „Disintegration“-Album fangen The Cure an mit „Plainsong“, dann kommt „Pictures Of You“ und schließlich „Closedown“ – Glockengeläut, ein Schwur ewiger Treue; ein Paar am Ende der Welt; Bilder einer großen Liebe, die alles sind, was bleiben; danach ein Abschied vom Leben, der Tod. Ein Drei-Song-Zyklus, der eigentlich die Show schon so rund gemacht hat, dass es gar nicht mehr hätte weiter gehen müssen.

Im Angesicht der Apokalypse

Aber natürlich geht es weiter! 27 weitere Stücke werden folgen, und man darf froh sein, dass Robert Smith die Setlist mit 30 Lieder wieder vollbekommen hat – seine Stimme lässt ihn, das erwähnte er beim Deutschland-Auftakt in Hamburg bereits, derzeit eigentlich im Stich. So wurden im Laufe der Tour aus 36 langsam 34, dann 31, auch mal „nur“ 27 Songs. Leipzig dokumentiert nun einen Aufwärtstrend.

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Smiths Lyrik, wie im alptraumhaften „Lullaby“, werden längst im Englisch-Unterricht behandelt; dass er viele Höhen im Gesang derzeit nicht mehr trifft, im Gegenteil, er auf der Bühne zunehmend erzählt oder gar flüstert, erweist sich manchmal gar als Vorteil. Nie klang „Primary“ als Zivilisationskritik konkreter, deutlicher als im Sprechgesang: „The further we go /And older we grow / The more we know … /The less we show …“

Reeves Gabrels
Reeves Gabrels

Dieses Konzert bietet einige Überraschungen: Jenes selten gespielte „Jupiter Crash“, das wie „Plainsong“ oder „From The Edge Of The Deep Green Sea“ ein gerne von Smith gewähltes Szenario entwirft – zwei sich zunächst selbst genügende, dann zweifelnde Liebende im Angesicht der Apokalpyse. Eher verhalten wird ein Stück aufgenommen, das der 57-Jährige spannend mit „We have played this one for … YEARS“ ankündigt, und das sich dann als „Before Three“ entpuppt. Das Lied wurde 2004 veröffentlicht, in ihrer aufgeblasen wirkenden L.A.-Rock-Phase des Albums „The Cure“.

Mit „Piggy In The Mirror“ feiert dafür einer der schönsten Cure-Songs seine Tourpremiere. Smith, ein seltener Anblick, steht ohne Gitarre vor dem Mikro, das balearisch-orientalische, vielleicht schönste Solo im Backkatalog intoniert Reeves Gabrels nun auf der Akustikgitarre. Er versaut es nicht. Bei anderen, härteren Songs gelingt das Gabrels durchaus. „A Night Like This“, im Original spielt Smith selbst die edle Saxofon-Melodie mit seiner Gitarre nach, wird zur Kniedel-Orgie. Genau wie „Fascination Street“, bei dem der ehemalige Tin-Machine-Saitenmann Gabrels gar das zweifelhafte Kunststück vollbringt, vor dem Einsatz der ersten Gesangszeile Smiths bereits ein Solo zu intonieren – ein Metal-Solo gar. Oh je.

Das volle Brett – leider

Im Hardrock-Abschnitt des Abends, dem ersten Zugabenblock, geht dadurch „Never Enough“ verloren; ebenso das seit jeher verzichtbare, von den meisten Fans wie immer mit wenig jubelnden Bewegungen goutierte  „Wrong Number“, in dem Gabrels auf seinem Brett in alle Richtungen quietscht wie zuletzt nur auf Bowies „The Pretty Things Are Going To Hell“ von 1999. Smiths gefällt das alles, er schiebt viele seiner eigenen Parts an den Neuen ab, er beobachtet – und der Frontmann guckt beim Spielen nur selten den Mitmusikern zu – gar ganz genau, was Gabrels bei „Want“ da macht, und lächelt vor sich hin. The Cure haben sich in den vergangenen zwölf Jahren zu einer Rockband entwickelt, die ihre älteren Pop-Songs, ihre großen Songs, eben wie eine Rockband spielt.

Simon Gallup
Simon Gallup

Aber es ist der Pop-Teil, in dem die Gruppe sich wieder fängt. „A Forest“ ist einer dieser unsterblichen, schneidigen New-Wave-Songs, in dem Bass und Schlagzeug allein für Herzrasen sorgen. Das auf den Leinwänden eingespielte Video von 1980 mit seinen winterlichen, weißen, nackten, geraden und eben Penis-artigen Birken erinnert daran, dass es in dem Stück auch um ein Gewaltverbrechen gehen könnte.

Der dritte und letzte Zugabenblock hat sich während der 2016er-Tournee bereits als eine Art „Hit-Riege“ etabliert, und The Cure bringen, was schon fast einer Party-Playlist gleichkommt, „The Walk“ (das erstmals und endlich dahin gewandert ist, wo es immer schon hingehört hat: ans Ende), „Friday I’m In Love“, „Hot Hot Hot!!!“, „Close To Me“, „Boys Don’t Cry“ (das Smith, die Akustikgitarre umgeschnallt, leicht verstörend und out of character mit rauchiger Cowboy-Stimme ansagt), sowie, ganz zum Schluss, „Why Can’t I Be You?“. Smith, nun recht deutlich außer Atem, versucht hier gar ein Call-and-Response mit dem Publikum: „You’re So Gorgeous!“, ruft er, die Menge antwortet “ … I’ll Do Anything!“.

Bassist Simon Gallup küsst seinen Finger und reckt ihn in die Höhe, Richtung Bühnendecke – und wohl am liebsten darüber hinaus. Als Smith dann im Refrain noch einmal die Zeile „Why Can’t I Be You?“ intoniert, ist die Richtung wirklich klar. Diese Band will Musik machen für den großen Mann, der da oben im Himmel sitzt und zusieht.

Roberto Serra - Iguana Press Redferns
Francesco Prandoni Redferns
Francesco Prandoni Redferns
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