The Cure live in Hamburg: Vögel vor dem Sonnenuntergang
Zum Auftakt ihrer Deutschlandtournee beweisen The Cure wieder einmal, dass sie nicht nur Meister der traurigen Epen sind, sondern auch eine Greatest-Hits-Band.
„I really don’t know what I’m doing here“, singt Robert Smith, „I really think I should’ve gone to bed tonight, but … just one drink, and there’s some people to meet you“. Der Opener aus dem „Wish“-Album hat auch als Konzert-Opener die Jahrzehnte überlebt – das Lied ist fast ein Running Gag geworden, bedenkt man, welchen bedeutenden Status The Cure heute als Live-Band haben, und wie gerne ihr Sänger, 57, Stunden über Stunden auf der Bühne steht, wie zum Deutschland-Auftakt in der Hamburger Barclaycard-Arena.
Acht Jahre lang tourten The Cure, von zwei Festival-Auftritten abgesehen, nicht mehr durch diese Lande. Seit 2008 hat Smith sich den Ruf totaler Crazyness erarbeitet – und neidisch blickte man in die Ferne: Die Gruppe spielte 2011 in Australien ihre ersten drei Alben in Gänze live; die Auftritte überschritten mehrfach die 40-Song-Marke; seinen Geburtstag in Mexiko City 2013 feierte Smith mit der Darbietung von 50 Liedern, darunter, wegen eines Stromausfalls, zwei Stücke in der Akustikgitarren-Premiere; im vergangenen Jahr führten The Cure zu Weihnachten in London selten gehörtes Material ihrer Alben „The Top“ und „The Head On The Door“ auf.
Von 2008 an also, als Smith sich nach dem Album „4:13 Dream“ anscheinend weigerte, eine vierte schlechte Platte in Folge zu veröffentlichen, hat er sein Gewicht auf die Ausarbeitung der Konzerte verlegt. Auch wenn das aktuelle Cure-Logo, der Schriftzug ziert die Bassdrum von Jason Cooper, verdächtig nach dem von 2008 aussieht.
Da The Cure keine aktuelle Platte bewerben, fehlt ihren Gigs vielleicht ein wenig der erzählerische Rahmen, den ihre Konzertreisen einst prägten. Die Stimmung der jeweiligen Werke übertrug sich einst auf die Setlists, die ausgezeichnet waren von der Mehrheit beflügelter („Wild Mood Swings“-Tour) oder sich in Angst vor dem Alter windender Songs („Bloodflowers“-Tour). „Wish“ von 1992 jedenfalls ist Smiths Lieblingsalbum: Allein in Hamburg wird er daraus sechs Lieder spielen, die Hälfte der Platte.The Cure führen als Liveband des Jahres 2016 um die 30 bis 36 Songs auf (in Hamburg sind es 33), und es überwiegen die knapperen, die Singles. „Just Like Heaven“, klar, „Inbetween Days“, ein recht frühes „Boys Don’t Cry“. Zeitlos. Und bei „Primary“ mit seinem kontinuierlich schnellen Basslauf, bläst Simon Gallup, 56, in die Backen.
Anderes läuft nicht so rund. „Wrong Number“, „The Hungry Ghost“ und „The End Of The World“ schleppt Robert Smith nun schon seit Jahren oft von Auftritt zu Auftritt mit, von Fans gefordert wurden gerade diese drei Stücke nie. In „Push“ swoosht On-Off-Keyboarder Roger O’Donnell von links nach rechts über die Tastatur wie Elton John. Das einzige neue Lied des Abends, „It Can Never Be The Same“ fährt ein seit einigen Jahren absehbares Cure-Crescendo auf, dazu ein Text, der wie aus älteren Songs zusammengesetzt scheint: „We danced all night“, „don’t worry, I smile“, „words left unsaid“, „games I played“ …
Die Spinne tanzt
Und auch The Cure haben sich von dem „Mehrwert“ überzeugen lassen, den Videos auf Leinwänden bringen sollen. Mit komischem Ergebnis. „A Forest“ funktioniert, weil man den alten, billigen Wald-Clip sieht, mit rot etwas koloriert. Aber ob ein Lied wie „Lullaby“, das mit der Furcht vor dem Einschlafen im Dunkeln spielt, wirklich noch eine Spinne dazu zeigen muss?
https://www.youtube.com/watch?v=xLScD2vw5zE
Die „Visuals“ erinnern an Natur-Reportagen, wenn sie, wie bei der seit dieser Tour erstmals aufgeführten B-Seite „This Twilight Garden“, Vögel in Zeitlupe vor untergehenden Sonnen zeigen. „This Twilight Garden“ – der Titel allein weckt schon ausufernde Fantasien, seit fast 25 Jahren, das Video lässt nun leider ein schiefes Bild entstehen. Immerhin, Robert Smith ist Pedant genug, seine Lied-Ansage – mit erhobenem Professoren-Finger – zu korrigieren: „THIS Twillight Garden“, statt „The“.
Früher waren die Cure-Musiker alle schwarz und verhuscht, die Version von 2016 hat einen höheren Schauwert. Die Fünf stehen näher beieinander, die Bühne ist fast zu groß, Coopers Schlagzeug wurde weit nach vorne geschoben. Paar des Abends sind Simon Gallup, der trotz Iron-Maiden-Shirt, aber wegen rotem Halstuch und Tolle an den Punk Joe Strummer erinnert, und Live-Gitarrist Reeves Gabrels, ergrautes, schütteres Haar, fülliger, er sieht ein bisschen aus wie David Gilmour. Diese Zwei: wie Vater und Sohn. Und Gallup sprintet, das tat er früher nie, zu einem Gitarristen hin. Gallup ist ein echter Cure-Showman geworden: Stellt sich auf die Box wie Courtney Love; richtet den Zeigefinger auf einen Fan; stellt sich Rücken an Rücken zu Smith, wie es Page und Plant einst taten.
Mehr Groove
Vom väterlich wirkenden Gabrels aber sollte man sich nicht täuschen lassen. Er ist der lauteste Gitarrist, den Smith sich bislang leistete. Vielleicht hat die gemeinsame Liebe zu David Bowie die beiden zusammengebracht. Auf jeden Fall genießt Gabrels seit seinen Tin-Machine-Jahren einen gewissen Ruf, auch Bowies „Hours“-Album von 1999 wusste er mit Gitarren-Gekreisch auszustatten.
„Never Enough“ geht dadurch verloren, auch wenn The Cure den Song nie wirklich mit Groove aufführen konnten. „A Night Like This“ wird ein wenig verschenkt, weil Smith das Solo von Gabrels intonieren lässt. Während der Sänger einst einfache Eleganz demonstrierte, indem er die Saxonfon-Melodie mit der Gitarre nachspielte, darf Gabrels in die Saiten schlagen. Es ergänzt sich mit dem Sound von Gallups Bass, der seit „Bloodflowers“ von 2000 mehr nach Grunge klingt.
Simon Gallup und Peter Hook von New Order waren es, die in den Achtzigerjahren einige der prägnantesten Bass-Linien aufnahmen („auch wenn Simon besser ist als Peter Hook“, wie Robert Smith anmerkte), und gegen Ende des dreistündigen Abends wird einem wieder mal klar, wie viele Hits, wie viele Klassiker diese Band hat. Eine Ungerechtigkeit besteht darin, dass The Cure nicht, wie Abba oder „Sting & The Police“ scheinbar jedes Weihnachten eine Best-Of veröffentlichen könnten, die durch die Decke geht.
Ebenso wundersam wie toll ist es, dass eine Band, die aus fünf Musikern besteht, Hymnen schreiben kann, aber auf der Bühne nur ein einziges Gesangsmikro aufgebaut wird. Fast wünscht man sich, dass die Männer sich am Ende ihres gewaltigen Sets umarmen und sich vor dem Publikum verbeugen. Aber das belässt man dann U2.
28 Songs sind aufgeführt, die Abschlüsse ihrer Konzerte waren früher immer den schweren, langen Stücken von „Seventeen Seconds“ und „Faith“ vorbehalten. Aber stattdessen kommen nochmal Hits. Ein überwältigendes Ende im Zeichen des Pop. Es beginnt mit „The Lovecats“, dann gibt’s „Hot Hot Hot!!!“, danach „Friday I’m In Love“, und, man könnte beim Lesen ja schon mitsingen, es kommt „Close To Me“. Und ein finales „Why Can’t I Be You?“.