The Cure: Bitte nicht stören!
Robert Smith verweigert sich mit The Cure konsequent allen Veränderungen.
OLYMPIAHALLE, MÜNCHEN. Es ist einer dieser wenigen Abende, an denen Zeit absolut keine Rolle spielt. Es könnte 1988 sein, 1998, sogar 2008. Manche Menschen, die in die Halle drängen, sehen aus wie Teenager, die eines Tages aufwachten und plötzlich 45 waren. Sie tragen natürlich schwarz, gern auch Rüschenblusen oder zweifarbige Haarschöpfe. Manche sind tatsächlich noch jung, gehen aber schon gebückt von der ungeheuren Last des Lebens. Eine winzig kleine Peruanerin tanzt eine Stunde lang wie besessen und schwingt ihre Flagge, dann packt sie die Tasche und ist fünf Sekunden später verschwunden. Noch vor der dritten Zugabe. Oder war es die zweite? Es verschwimmt alles, bis auf die Songs. Willkommen in der Welt von The Cure. Es ist eine komische, zauberhafte Welt, die keine Veränderungen braucht, weil sie so aus der Zeit gefallen ist, dass normale menschliche Standards hier nicht gelten. Von einigen marginalen Falten und etwas offensichtlicheren Pölsterchen abgesehen sieht Robert Smith mit seinem Lippenstift und Vogelnest seit Jahrzehnten gleich aus, vor allem aber singt er immer noch mit derselben nagenden Schmerzensstimme. Oft sind es Lieder für die eine Frau, die er seit 34 Jahren liebt. Mancher mag diesen scheinbaren Stillstand belächeln, tatsächlich ist Smith nur konsequent. Wer sich nie jung fühlte, braucht auch nicht alt zu werden. Solange Haare da sind, kann er sie aufstellen, wie er will. Solange es so viele Menschen hören möchten, wird er Musik machen, die in kein New Wave-, Rock- oder Pop-Schema mehr passt, sondern nur noch als Robert-Smith-Musik gesehen wird. The Cure, wer war das noch mal? Die Bandkollegen vorzustellen, fällt Smith gar nicht ein.
Das Konzert heute dauert mehr als drei Stunden, die sich mal wie zwei, mal wie fünf anfühlen. Es geht eher schleppend los, mit „Plainsong“ und „Prayers For Rain“, dann kommt die Band langsam in die Gänge, Paul Thompson der als Einziger hin und wieder neben dem Sänger ins Scheinwerferlicht drängt— schreddert seine Gitarre, Smith haut einen Hit nach dem anderen raus – „Love Song“, „Pictures Of You“, „Lullaby“. Hört man all diese Stücke so geballt, fällt erst richtig auf, was sein Lebensthema zu sein scheint: I’d do anything for you, I couldn’t ever love you mort, I would do most anything… Es ist gleichzeitig der größte Widerspruch im Werk dieses Mannes: Unglaublich früh fand er seine Bestimmung, seine Liebe, seinen Lebensweg – und doch wird fast jeder Song bestimmt von Angst, Sehnsucht, Paranoia. Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Oder vielleicht ist Smith auch nur ein genialer Märchenonkel.
Der neue Song „Please Project“ mit den herrlichen Zeilen „I love what you do to my hair… my head… my heart“ fügt sich problemlos ein, später stellen sie noch „Freak Show“ und „A Boy I Never Knew“ vor – und doch bleibt es in weiten Teilen eine Greatest-Hits-Show, bei der sich allerdings keine langweilige Routine einschleicht. „Just Like Heaven“ schrammelt Smith mit der akustischen Gitarre fast trotzig noch ein bisschen weiter, als die Band eigentlich schon damit fertig ist, dann werden bei „Primary“ und „Never Enough“ die Riffs wieder härter, das Gedröhne lauter. Zu „One Hundred Years“ laufen im Hintergrund vernichtende Biider von Krieg und Zerstörung. The Cure kennen sich aus mit Zuckerbrot und Peitsche.
Der dreiteilige, einstündige Zugabenblock beginnt überschwenglich mit „The Love Cats“. Für „Let’s Go To Bed“ legt Smith endlich mal die Gitarre weg und schlurft über die Bühne. Von links nach rechts, wieder in die Mitte. Er sieht ein wenig unentschlossen aus. Und jetzt? Nicht leicht, so ein frontman zu sein. Aber m it solchen Songs kann man schon mal auf eine große Show verzichten: Bei „Friday I’m In Love“ gibt die Gitarre fast den Geist auf, in „Why Can’t I Be You?“ überschlägt sich Smiths Stimme bis zum Kieksen. Und ja, auch „Boys Don’t Cry“ und „Killing An Arab“ spielen sie noch, bis sie nach „Play For Today“ und „A Forest“ wirklich verschwinden.
Viel gesagt hat Robert Smith nicht zwischen all den Liedern, erst am Ende wird er etwas redseliger und bedauert, dass er immer noch kein Deutsch könne. Bezeichnenderweise fällt dem Mann, der sich seine eigene Welt geschaffen hat und uns freundlicherweise als kurzzeitige Gäste duldet, nur ein Satz ein: „Bitte nicht stören!“