The Californian: Lektionen in Surf
The Californian stammen aus L.A., hatten mal eine Warpaint-Dame an den Drums, spielen auch mal bei Phantom Planet und versuchen das oft verkannte Genre der Surf-Musik wieder in die Jetztzeit zu holen, was ihnen auf ihrem Debüt auch durchaus gelungen ist.
Es gibt sie tatsächlich noch, die richtigen Independent-Bands ohne Label. Echter Indie, quasi. The Californian, unser heutiger Artist to Watch, kommt aus dem sonnigen Los Angeles. Das Quintett hat sich das Geld für ihr Debüt über die Spendenplattform Kickstarter zusammen gespart und damit ihr selbstbetiteltes Debüt produziert. Dabei würde man ihre Musik wirklich nicht als Indie bezeichnen. Sie haben es sich zur Mission gemacht, dem – wie sie es nennen – unglaublich missverstandenen Genre des Surf wieder auf die Beine zu helfen und es in die heutige Zeit zu transportieren.
Dieser ehrenvollen Aufgabe widmen sich die fünf Herren um Sänger John Garney nun seit 2007. In dieser Zeit hat die Formation einige Wechsel im Line-up durchmachen müssen – unter anderem saß bereits Stella Mozgawa von Warpaint bei ihnen am Schlagzeug. Doch mittlerweile haben sie sich gefunden – die Gitarristen Jonathan Price und Darren Robinson (auch bekannt von Phantom Planet) sorgen für die intensiven Saitenmelodien und Bassist Jake Gideon bildet mit seinem rhythmischen Zupfen die Brücke zum Schlagzeuger Michael Hopkins.
Mit Hilfe von Produzent Jeff Halbert, der unter anderem schon mit Nick Cave, Rickie Lee Jones und St. Vincent zusammengearbeitet hat, und Tonmischer JJ Golden (Sonic Youth, Puro Instincto, Superchunk) schufen sie zwölf Songs, die einen direkt an die Pazifikstrände Kaliforniens beamen. Jeder Song lebt von seinen eigenen kleinen Details – seien es die wunderbar vibrierenden Gitarren aus „Sleepdancing“, das Italo-Western-artige „The Man With The Goodnight Gun“ mit Ennio-Morricone-Chören, oder das von Pentatoniken getriebene „Billion Grains of Sand“ (das man übrigens hier umsonst runterladen kann). Die Klänge, die The Californian auf ihrem Erstlingswerk produzieren, lassen die Gedanken in den weiten Westen an die kalifornische Küste entschwinden. Und sie lassen auch den ahnungslosen Hörer ein bisschen über Surf lernen. So hinterlässt einen „The Californian“ ein bisschen klüger – und um einiges glücklicher.
Hier kann man schon das ganze Album hören – und wem’s gefällt, der kann das Schmuckstück auch gegen kleine Spende digital erwerben. Im Verlauf des Interviews mit John Garney gibt es noch weitere Songs der Band von der „Sea of Love EP“ zu hören.
Ihr habt euer Debüt selbst produziert. Warum habt ihr es nicht mit einem Label versucht?
Ehrlich gesagt sind wir nicht besonders erpicht darauf, uns von einem Label unter Vertrag nehmen zu lassen. Ich habe nie jemanden von einem Label kennengelernt, der wusste, wie man einem Publikum bei einer Live-Show etwas bieten kann. Oder eine gute Platte produzieren kann. Oder, wenn wir schon dabei sind, eine gute Platte zu verkaufen. Heutzutage setzten die meisten Labels die Bands eher unter Druck und schränken sie ein, ohne ihnen wirklich etwas bieten zu können. Das ist natürlich eine gigantische Verallgemeinerung. Trotzdem ist es schwer, da eine Ausnahme zu finden. Mein Vater hat vierzig Jahre lang sein eigenes kleines Unternehmen erfolgreich betrieben und ich plane, dasselbe zu tun. Wenn uns ein angemessener, passender Vertrag angeboten werden sollte, würden wir das Angebot nicht ausschlagen. Aber wir haben keine falschen Vorstellungen von diesen großen, ausweichenden Plattenverträgen.
Welcher Aspekt der Produktion von „The Californian“ hat dir am meisten bedeutet?
Es anzuhören, als es dann endlich fertig war! Wir haben wirklich hart an diesem Album gearbeitet – auch unser Produzent Jeff Halbert. Tatsächlich haben wir jahrelang daran gewerkelt. Es war uns wichtig, etwas zu schaffen, das wirklich das aussagte, was wir machen. Es ist schwer, jemanden The Californian zu erklären und dann zu erwarten, dass die Person das ernst nimmt. Nun müssen wir es nicht mehr erklären – man muss sich einfach nur die Platte anhören und kann so verstehen, was wir machen. Das bedeutet mir definitiv am meisten.
Was hat dich dazu inspiriert, moderne Surf-Musik zu machen, wenn es doch so viele verschiedene Genres gibt?
Ich liebe es. Surf war schon immer eines meiner Laster gewesen. Surf und all seine Variationen und all diese coole Musik, die davon schlussendlich beeinflusst worden sind. Meine Familie lebt seit über 150 Jahren in Kalifornien – in den Staaten ist das eine lange Zeit, ha! Das ist mir persönlich sehr wichtig. Als ich ein 18-jähriger E-Gitarren-Junkie war, wollte ich die Klänge finden, die vom selben Ort stammten wie ich. Mir kam es immer so vor, als sei Surf die verwahrloste Bastard-Witzfigur der Rock’n’Roll-Welt – und das ist echt bescheuert. Ich wollte niemals eine Retro-Surf-Formation gründen und das imitieren, was in den 60er-Jahren passiert ist. Ich wollte eine Surf-Band gründen, die im aktuellen Kontext der Popkultur Sinn macht. Das will ich immer noch. Unsere Musik ist dem, was Surf einmal war, nicht mehr sehr ähnlich, und das ist eine gute Sache.
NaNaNa – Sea Of Love EP by The Californian
Einige der Songs – „The Man With The Goodnight Gun“ zum Beispiel – erinnern stark an Sergio Leones Spaghetti Western, während andere eher wie die Beach Boys oder Radiohead klingen. Wovon lässt du dich am meisten inspirieren – Songs, Bands oder Künstler, Filme oder schlichtweg der Bundesstaat Kalifornien?
Ha! Das ist wahrscheinlich die beste Beschreibung unserer Musik, die ich je gelesen habe. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte ich gesagt, dass ich mich bei all diesen Dingen aus deiner Aufzählung gleichermaßen bedient habe. Die Songs sollen als eine Art Soundtrack oder Playlist fungieren, die den Hörer an einen bestimmten Ort transportieren, wo sie quasi mit uns für eine Weile abhängen. Bisher habe ich mich also von all diesen Sachen – Musik, Filmen, Orte – bedient um eine Art akustische Umgebung zu kreieren. Aber nun ist diese Welt schon errichtet. Jetzt muss ich mich nur in Gedanken an diesen Ort versetzen, um mich von dem was ich sehe inspirieren zu lassen.
Auf eurem MySpace-Profil behauptet ihr, dass Surf-Musik heute unglaublich missverstanden ist. Wie soll man das verstehen?
Auf Milliarden verschiedenen Art und Weisen. Was ich damit meine ist, dass jeder heutzutage ein sehr klares Bild von Surf hat. Wenn du die Musik erwähnst, dann hat jeder sofort einen sehr deutlichen Sound im Kopf. Nicht jeder denkt unweigerlich an denselben Klang – aber jeder denkt, dass er oder sie genau weiß, was Surf-Musik ist. Und meistens liegen sie da leider falsch. Die Leute haben ein sehr einseitiges und eingeschränktes Bild von dem, was diese Musik eigentlich ist. Ehrlich gesagt, ich verstehe das nicht. Ich kann es nicht verstehen, dass die Menschen ein Genre betrachten, in dem die Beach Boys ein Dick Dale-Konzert eröffnet haben, sie aber trotzdem nicht die massive Vielfältigkeit der Musikrichtung erkennen können. Allein diese Künstler haben das Gesicht der Popkultur und der Popmusik für immer verändert und trotzdem behandeln die Menschen Surf-Musik als sei es eine Art Karikatur oder Rückschlag. Musiker merken gar nicht, dass sie Surf-Musik ständig als Referenz benutzen – sie wissen einfach nicht, was Surf ist. Die Menschen sehen es einfach nicht, dass Surf die Vorspann- und Titelsongs des Fernsehen und Kinos langsam erobert und so auch im Endeffekt die Agentenfiktion mitbegründet hat. Oder, dass die Musik nach Italien exportiert und so in den Händen von Ennio Morricone in den Spaghetti Western verwandelt wurde. In den 80er Jahren wurde Surf auch in den Popsongs komplett wiederbelebt und einfach umgetauft. The Jesus And Mary Chain ist eigentlich eine ausgewachsene – aber faule – Surf-Band. Die Leute denken gar nicht darüber nach, dass es quasi unmöglich ist, einen Powerpop-Song zu schreiben, ohne sich auf Brian Wilson zu beziehen. Daft Punk erwähnen ihn und seine Arbeit mit den Beach Boys als Inspirationsquelle Nummer Eins. Surf ist niemals verschwunden – es wurde nur von allen anderen Genres verschluckt und schlummert seitdem in ihnen. Trotzdem war es die ganze Zeit immer hier. Wenn man über Surf redet und sich dabei nur auf die Blütezeit in den 60er Jahren bezieht, dann verpasst man den ganzen Rest der Geschichte – und zwar etwa 50 Jahre.
Wenn ich das richtig verstanden habe, dann spielen einige eurer Bandmitglieder auch in anderen Bands. Wie funktioniert das?
Es macht die Planung recht schwierig. Allerdings war es auch die Szene in Los Angeles, die diese Band zusammengeführt hat. Es ist hier einfach üblich, ich spiele zum Beispiel auch Bass in Jonathans Band. Also denke ich nicht drüber nach, wie das klappen soll, es funktioniert einfach. Aber die Bands, die das nicht auch noch koordinieren müssen, haben es definitiv einfacher.
Was wäre deine persönliche Benchmark? Der Punkt, den du erreicht haben willst, bevor du aufhörst?
Ich sehe das nicht wirklich so, ich glaube auch, da sind wir uns in der Band einig. Wenn ich jemals aufgehört hätte, dann schon vor langer, langer Zeit. Jedenfalls hätte ich vor langer, langer Zeit aufhören sollen. Jeder in der Band hat schwerwiegende Opfer bringen müssen, nur um das zu tun was wir tun. Und wir alle haben diese Opfer nicht gebracht, um irgendwann mal in der Carnegie Hall zu spielen, die Vorband von den Stones zu sein oder ein schickes Auto zu fahren. Wir machen es, weil wir wirklich süchtig danach sind, Musik zu machen. Irgendwann hat uns eben jemand mal erzählt, dass wir für unsere Sucht auch bezahlt werden könnten. Wir sind immer noch dumm genug, ihnen zu glauben.
Sea Of Love – Sea Of Love EP by The Californian
Wo siehst du dich und die Band in, sagen wir… zwei, drei Jahren?
Deutschland. Ernsthaft! Ich möchte The Californian wirklich von den Staaten in den Rest der Welt bringen und sehen, was die dann von uns halten. Ich bin mit vielen anderen Bands bereits durch Deutschland getourt und ich liebe es dort. Ich glaube, dass euch da drüben das gefällt, was wir so machen. Außerdem – Los Angeles hat zwar jetzt zwei Currywurst-Buden, aber es lässt sich wirklich nicht mit dem Original vergleichen. Also. Wenn ich mal wieder eine richtige Currywurst essen will, dann müssen wir dafür nach Deutschland kommen. Ich glaube, die Band ist dann in etwa zwei Jahren so weit, durch Europa zu touren.
Mit welchem Künstler würdest du auf Tour gehen, wenn du es dir aussuchen könnest?
St. Vincent. So könnte ich jeden Abend auf ein St.-Vincent-Konzert gehen. Ich bin unglaublich beeindruckt von der Arbeit die sie gerade leistet, fast schon ehrfürchtig. Wenn ich eine gesamte Tour lang all das aufsaugen und es dann in mir köcheln lassen könnte, dann wäre ich am Ende ein komplett anderer Künstler. Und mir gefällt diese Idee.
Was ist dein Lieblingsgeräusch?
Die menschliche Stimme. Sie ist so vielseitig, geschmeidig und formbar, während sie aber gleichzeitig sehr statisch und einzigartig ist. Eine Stimme kann ein haarsträubendes Geräusch machen und wonach du dich fragst: „Was zum Teufel habe ich da gerade gehört?“ Zwei Sekunden später kann sie dann aber auch etwas auf den Punkt genau kommunizieren. Alles, was sie tut ist derselbe Klang, aber auf viele verschiedene Arten manipuliert. Kurz darauf folgt auf Platz zwei dann das Brutzeln einer Bratpfanne. Ich esse jeden Tag sehr bewusst. Es ist meine bevorzugte Art und Weise, am Leben zu bleiben. Das Brutzeln einer Pfanne bedeutet, dass ich dieser Gewohnheit frönen darf.
Gibt es andere unbekannte Künstler, die wir im Auge behalten sollten?
Ja, die gibt’s. Diese Band heißt Touché und kommt auch aus Los Angeles. Es ist ein weiteres Beispiel davon, wie einige Kids zwischen vielen anderen wirklich guten Bands in L.A. quasi pendeln. Diese neue Band ist das Ergebnis ihres Zusammenschlusses. Sie machen extrem gute Musik zusammen. Noch gibt es kein Album der Band – aber online im Stream kann man wirklich coole Sachen finden.