The Band: Einmal Woodstock und wieder zurück
Werner Pilz reiste für die Januarausgabe 1999 des ROLLING STONE in die Nähe von Woodstock und traf die Mitglieder von The Band - inklusive Levon Helm. The Band hatten dort, wo sie einst Geschichte schrieben, eine neue Kreativ-Klause gefunden und nach dem Geist von "Big Pink" geforscht.
Levon Helm ist am Donnerstag, dem 19. April im Alter von 71 Jahren verstorben. Aus diesem traurigen Anlass haben wir diesen Artikel aus der Januarausgabe 1999 des ROLLING STONE aus unserem Archiv geholt.
AM 1045 zeigt das Display – und die Lautsprecher liefern lupenreine Bluegrass-Musik. Wir rollen mit vorgeschriebenen 65 Meilen auf dem Highway 87 zurück nach New York City. Von den nahen Catskill-Bergen wirft der Indian Summer seine letzten, verblassenden Rot- und Goldtöne.
Rick Danko hatte die Frequenz des Lokalsenders empfohlen. Als er uns einige Meilen zuvor in Woodstock verabschiedete, hatte er noch schnell sein schelmisches Mondgesicht samt verwaschener Wollmütze ins Wagen-Innere gesteckt und gutgelaunt gerufen: „AM 1045, Jungs! Das Zeug hab ich in meiner Jugend den ganzen Tag gehört.“ Dann war er, mit schlabbernder Jogginghose und wild rudernden Armen, zurück zum Haus gewatschelt und endgültig entschwunden. Dankos Jugend, konstatieren wir, muß etliche Jahrzehnte zurückliegen.
Die Geschichte begann 1958 ohne ihn – als nämlich Levon Helm, Jimmy Ray „Luke“ Paulman, Willard „Pop“ Jones sowie Bandleader Ronnie Hawkins in einem geliehenen ’55er Chevy ihr vertrautes Arkansas Richtung Kanada verließen. Nach einer verpatzten Audition für Sun-Records in Memphis zog’s Hawkins ins kalte Toronto, um die dortige Musik-Diaspora mit Rock’n‘-Roll Marke „Bo Diddley in overdrive“ (Helm) zu beglücken. Und siehe da: In ihren roten Anzügen mit den schwarzen Samtrevers kam die Südstaaten-Combo bei den Huren und Halbseidenen der lokalen Clubs bestens an. „Ich war gerade mal 17, 18 Jahre alt“, erinnert sich Levon Helm. „Wir alle waren grün hinter den Ohren. Es war eine lehrreiche, aber auch strapaziöse Zeit – life in the fast lane. Zeit zum Reflektieren hatten wir nicht.“
Für „Pop“ und „Luke“ indes war das Leben zu schnell: Die entwurzelten Südstaatler wurden von Hawkins durch kanadische Kandidaten ersetzt – und die erwiesen sich gleich als Glücksgriff: Da war vor allem das 15jährige Gitarren-Talent Robbie Robertson und der Frauenschwarm und (spätere) Bassist Rick Danko, da war aber auch der ebenso introvertierte wie charismatische Richard Manuel sowie der stoische Keyboard-Guru Garth Hudson.
Die Chemie der zusammengewürfelten Charaktere jedenfalls stimmte und erwies sich schnell als so potent, daß sogar im fernen New York ein Seelenverwandter auf sie aufmerksam wurde: Dylan, gerade auf dem Sprung vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock’n‘-Roll, engagierte Robertson & Co. (die sich wegen finanzieller Unstimmigkeiten von Hawkins getrennt hatten) für eine Tournee, die sich als musikhistorische Wasserscheide erweisen sollte. Daß das erzkonservative Folk-Publikum, das in Dylan den neuen Pete Seeger oder Woody Guthrie sah, den harten, elektrischen Sound mit Buh-Rufen quittierte, „tat zwar weh“, so Danko, „aber wir waren schon froh, daß sie uns nicht mit faulen Eiern bewarfen. Das verstanden wir als hoffnungsvolles Zeichen.“
Ein Jahr später zog sich Dylan nach einem schweren Motorradunfall für 18 Monate nach Woodstock zurück, und zwar in ein Haus im Wald, das wegen seines rosafarbenen Anstrichs Big Pink genannt wurde. „Bob“, erinnert sich Helm, „suchte einen Ort, an dem er in Ruhe Songs schreiben und experimentieren konnte. Und um nahe am Geschehen zu bleiben, zogen wir halt mit.“
„Es gab nur uns, sonst niemanden, tagein, tagaus“, beschreibt Hudson die Intensität dieser Tage, und Helm führt fort: „Wir haben geprobt, gejammt und rumgesponnen. Nichts war für die Ewigkeit. Wir hatten alle Zeit dieser Welt, um über Musik nachzudenken. Und über Mädchen. Aber wir haben auch viel von Bob gelernt in diesen Tagen: wie man einen guten Song schreibt, und wie man ihn mit verschiedenen Versatzstücken zusammensetzen kann. Wir hatten bis dahin ja nur den nackten Rhythmus beigesteuert. Hier haben wir gelernt, sich für ein paar Stunden hinzusetzen, um an einem Song oder Gesangsharmonien zu basteln. Am Ende des Weges waren wir in der Lage, auch ohne Bob unser Publikum zu finden.“
Bereits „Music From Big Pink“, das Debütalbum von 1968, stieß auf offene Ohren, da The Band bewußt gegen den Strom schwamm. Der „progressiven“ Rockmusik setzten sie harmonische Folk-Traditionen entgegen, solistische Egotrips ersetzten sie durch die Kraft des Kollektivs. In den Zeiten gesellschaftlicher Verweigerung und familiärer Rebellion sangen sie vom Respekt gegenüber den Eltern. Vor allem Robertson erwies sich als Erzähler, der die Mythen Nordamerikas zu wundervollen Metaphern verwob. Helm, Danko und Manuel setzten die Texte teils mit prägnantem Sologesang, teils mit mehrstimmigen Harmonien kongenial um. Und Keyboard-Zauberer Hudson knüpfte dazu einen schweren Klangteppich. Sie waren perfekte Individualisten in einem perfekten Team.
Mit dem zweiten Album „The Band“ und Song-Klassikern wie „The Night They Drove Old Dixie Down“ und „Up On Cripple Creek“ gelang ihnen ein Meisterwerk, doch schon mit „Stage Fright“ von 1970 war die Platten-Produktion beendet. Sagt jedenfalls Levon Helm. „Ja. Es gab danach nur noch ein paar ‚Live‘- und ‚Best of-Sachen. Nichts Neues mehr.“
Im Schein einer kleinen Stehlampe sitzt er uns unter der großen hölzernen Empore seines Studios gegenüber. Mit einem Berg von Eiswürfeln kühlt er die kranke Kehle, die ihm in letzter Zeit Sorgen macht. Groll klingt aus seinen heiseren Worten, die allerdings nicht den Fakten entsprechen. Denn „Cahoots“, „Northern Lights, Southern Cross“ und „Islands“, das letzte gemeinsame Werk, waren sehr wohl Platten mit neuem Material. Doch nie konnte Helm seinem einstigen Freund Robertson verzeihen, daß dieser im Frühjahr ’75 das Ende der gemeinsamen Aktivitäten betrieb. Danko, bereits in eigene Solo-Projekte involviert, nahm’s gelassen, aber Helm war außer sich. Doch machtlos. Robertson hielt längst die Fäden in der Hand.
Am Thanksgiving Day des Jahres 1976 standen sie im „Winterland Ballroom“ in San Francisco zum letzten Mal auf der Bühne – zusammen mit alten Weggefährten wie Bob Dylan, Neil Young, Muddy Waters, Dr. John, Joni Mitchell und Van Morrison. Martin Scorsese, mit „Taxi Driver“ zum Kultregisseur avanciert, machte aus dem vierstündigen Spektakel einen abendfüllenden Film.
So phänomenal „The Last Waltz“ bei Kritik und Publikum ankam, so deutlich machte seine Dramaturgie den Riß, der zwischen Helm und Robertson verlief. Helm: „‚The Last Waltz‘ ist eine einzige große Scheiße. Robbie hat mit seinem Freund Scorsese einen Film über Robbie Robertson gemacht. Du siehst keine Einstellung von Richard Manuel, du siehst keine Einstellung von irgendjemandem außer Robbie. Er vergaß alles neben sich. Er hörte auf, Freund zu sein. Der motherfucker behauptet, alle Songs der Band allein geschrieben zu haben. Ich würde ihn gern mal einen der Songs spielen, vor allem singen hören. (Robertson agierte bei den Filmaufnahmen vor abgeschaltetem Mikro – Red.) Und heute macht er auf Indianer. Was für ein Bullshit! Weißt Du was? Er ist kein verdammter Indianer, er ist ein Arschloch.“
1983 begann The Band wieder zu touren. Die Reunion fand ohne Robertson statt, der durch Jim Weider ersetzt wurde. Nach dem Tode von Richard Manuel, der sich nach einem Gig im Motel erhängte, kamen noch Randy Ciarlante am Schlagzeug und später Pianist Richard Bell hinzu. „Jericho“ hieß 1993 das beachtliche Comeback mit Songs von Dylan und Springsteen. Neuzugang Ciarlante: „Ich habe nie versucht, mich als Mitglied der Original-Band zu fühlen. Mein Verständnis war es, mit einer Gruppe von Musikern an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung anzufangen. Natürlich haben wir versucht, an den bestehenden Mustern und Musikfarben anzuknüpfen, aber jedes neue Mitglied bringt unweigerlich Veränderungen. Wir leben auch nicht mehr in einem großen, rosafarbenen Haus.“
Nach „Big Pink“ und „Shangri La“ (ihrem Studio auf einer Farm bei L.A. in den frühen 70er Jahren) hat The Band mittlerweile wieder eine gemeinsame Kreativ-Klause gefunden. Das große Holzhaus am wunderschönen See in den Wäldern bei Woodstock ist Proberaum und Studio, zugleich Levon Helms Refugium. So manche hochkarätig besetzte Session hat die unspektakuläre Scheune inzwischen erlebt. Unvergessen der Tag, an dem Keith Richards plötzlich in seiner Limousine vorfuhr und mit den alten Presley-Knappen DJ Fontana und Scotty Moore jammte.
„Jubilation“entstand natürlich ebenfalls hier. Das neue, akustisch orientierte Album markiert nicht nur ihr 30jähriges Platten-Jubiläum, sondern ist das beste Band-Album seit dem frühen Sturm & Drang. Helm glaubt zu wissen, warum dem so ist: „‚Jubilation‘ reflektiert die Arbeit an einem Platz wie diesem, wo wir uns täglich treffen und problemlos austauschen können. Insofern hat das Album viel vom Geist unserer Zeit mit Bob.“
Danko und Hudson wohnen nur ein paar Autominuten entfernt. Garths bescheidener Bungalow ist vollgestopft mit Instrumenten und Equipment. In der Mitte des Raumes prangt ein ausladender Keyboard-Turm, das Bariton-Sax glänzt majestätisch neben dem uralten Kanapee, ein perlmuttübersätes Akkordeon liegt vorm Kamin, die Goldene („Rock Of Ages“) hängt überm Klavier zwischen zwei großkalibrigen Donnerbüchsen. Die kleine Küche mit einem Lötkolben auf dem Tisch sieht aus wie eine Radiowerkstatt. Mit der Manie des Genies hat sich Hudson in seine musikalische Jugendliebe vertieft, in Partituren und Konzepte rumänischer Polkamusik. Akribisch notiert er Sendezeiten und Repertoire einer Radiostation, die fast rund um die Uhr im 2/4-Takt sendet „Alles fing damit an, daß ein paar Leute aus der Nachbarschaft – Italiener, Griechen – ihren Keller aufräumten“, so Garth. „Da sind ’ne Menge exotische Platten zum Vorschein gekommen.“ Ein gefundenes Fressen für ihn, der sich früher so manches Mal – zum Ärgernis der Kollegen – vor einem Gig absetzte, um beim Trödler stundenlang nach Nippes zu stöbern.
Zum Ausklang des Tages lädt uns Danko zum Essen ein. Seine Ballade vom letzten Kampf des Kriegers („If I Should Fail“) zeigt ihn auf „Jubilation“ in Höchstform, seine äußere Hülle indes hat an Appretur verloren. Statt des schlanken Beaus kommt uns ein derangiertes Schwergewicht entgegen. Kein Wunder, daß er uns David, den Küchenchef des „Little Bear“ in Bearsville, ab seinen wichtigsten Berater vorstellt. „Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt er gutgelaunt, ab David Coconut-Shrimps und andere Delikatessen auftischt. Als zum Dessert noch Dankos Spezialität – im Teig frittierte Erdbeeren – serviert werden, kennt die Verzückung keine Grenzen.
Sie sind älter geworden – der eine dicker, der andere kränker, der dritte verschrobener. Garth sinniert über die Umsetzung seiner Polka-Materialien in ein Soloprojekt. Levon, nach einem coolen Filmdebüt in Steven Seagals „Fire Down Below“, hat in New Orleans ein Lokal mit Live-Musik eröffnet. Rick plant zwei Solo-Alben, eines mit Bruce Hornsby und John Hiatt. Sie gehen eigene Wege und finden doch immer in ihrer Musik-Familie, die von Garths Frau und Helms Tochter erweitert wurde, immer wieder zusammen. „Wir sind länger zusammen als viele Ehepaare“, so Danko. „Was nicht heißt, daß wir aufeinanderkleben. Aber die Musik fuhrt uns immer wieder zusammen.“
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