Texas Troubadours
Als Student schrieb er über seine Heroen, als Songwriter trat er in ihre Fußstapfen, als arrivierter Künstler zollte ihnen Lovett mit dem Album „"Step Inside This House" Tribut: ein Round-up von Inspirationen.
Er habe nie das Zeug zum Musikkritiker gehabt, sagt Lyle Lovett, weil er nie an Musik herumdeuteln könne, die ihm etwas bedeute. Und jede andere Musik empfinde er als Zeitverschwendung. Nicht dass er es nicht versucht hätte. Im Archiv seiner Alma mater in Houston können Artikel eingesehen werden, die der Journalismus-Student 1978 und 1979 für das Campus-Blatt „The Battalion“ verfasst hatte. Es sind frühe Zeugnisse der Dankbarkeit, adressiert an jenen Kreis durchreisender Troubadoure, deren Songs den jungen Lyle inspirierten und darin bestärkten, sich selbst der Songkunst zu verschreiben.
Und es sind nicht von ungefähr dieselben Künstler, denen Lovett 20 Jahre später huldigte, mit dem Album „Step Inside This House“: Guy Clark, Townes Van Zandt, Steve Fromholz, Eric Taylor, Willis Alan Ramsey, Michael Murphey und Walter Hyatt. Es sei ihm dabei nicht um einen repräsentativen Querschnitt texanischer Songpoesie gegangen, sondern darum, ^,^ m jene Songs neu zu interpretieren und einem größeren Publikum zu Gehör zu bringen, die ihn selbst motiviert hätten. „Viele dieser Songs habe ich bereits gesungen, bevor ich eigene Songs schrieb“, so Lovett, „und ich habe sie nie aus meinem Repertoire gestrichen.“
Townes Van Zandts „Flyin‘ Shoes“ und Guy Clarks Titelsong finden sich auch elf weitere Jahre später auf Lovetts Setlist, und es war nicht zuletzt das Werk dieser beiden, das den halbflüggen Songwriter seinerzeit das Wagnis des Fluges eingehen ließ. „Wenn ich an Townes denke, und das tue ich oft“, sagt Lyle, „dann immer auch an Guy, nicht nur weil sie Freunde waren und sich gegenseitig beeinflussten, sondern weil sie beide auch gleichermaßen vorbildhaft waren für mich. Meine erste Townes-LP war ‚The Late, Great Townes Van Zandt‘, die ich haben musste, nachdem ich ,Pancho And Lefty‘ im Radio hörte. Ich habe mir alle Songs darauf einverleibt beim Mitsingen und Mitspielen. Ähnlich verhielt es sich mit Guys „Old No.l“. Ich wünschte, ich hätte diese wunderbaren Songs geschrieben, und entwickelte einen Ehrgeiz, den ich davor nicht kannte.“ „Step Inside This House“, Clarks ersten Song überhaupt, hatte Lovett von Eric Taylor gelernt. Nichts außergewöhnliches in der damals ungeheuer lebendigen Songwriter-Community von Texas, wo Konkurrenz klein und Kamaraderie groß geschrieben wurde. Taylor gehörte neben Murphey und Ramsey zu den Sängern, die Lovett einst für den „Battalion“ interviewt hatte und an dem er die Einstellung löblich fand, sich aus dem „hectic market-yourself-and-make-it-big music business“ herauszuhalten, „into which so many hopefuls find themselves trapped.“
Eine Haltung, die Willis Alan Ramsey ins Absurde steigerte, indem er seiner von der Kritik in den Himmel gehobenen, bald legendären ersten LP von 1972 einfach nie eine zweite folgen ließ. Er schrieb zwar weiter Songs, die er auch live performierte, kehrte indes der Plattenindustrie, die es an lukrativen Angeboten nicht fehlen ließ, konsequent den Rücken. „Ramsey commands feeling and subtile emphasis in his music“, urteilte Lyle 1979 über den Maverick, maßt sich heute aber kein Urteil an über dessen Rückzug in die Obskurität. Er stehe in Kontakt mit ihm, erzählt er. Ramsey lebe in Colorado, recht zurückgezogen, schreibe aber immer noch Songs.
Steven Fromholz ist noch so ein urtexanischer Quertreiber, der wohl auf eine ganze Reihe vorzüglicher Platten verweisen kann, darunter sein selbstironisch „A Rumor In My Own Time“ betiteltes Erstlingswerk als Solist, jedoch ohne Fortune blieb. „Fromholz has managed to elude recognition by the masses“, schrieb der „Battalion“-Redakteur seinerzeit trocken im Vorspann von Lovetts Bericht, während Lyle resümierte, Fromholz sei „the most luckless musician alive“. Bekannter als ihr Komponist ist „The Texas Trilogy“, ein Zyklus über das Leben in der Kleinstadt und den Überlebenskampf auf dem Land. Lovett liebt diese Geschichten und coverte die Trilogie, weil sie ihn daran erinnere, woher er komme, und ihm vor Augen führe, was sich alles geändert habe „in rural places that have been overtaken by the big city“.
Den studentischen Fan schmerzte freilich der gewaltige Abstand zwischen seiner Bewunderung für diese Songkünstler und deren Mangel an Erfolg. „Steve Fromholz will play Sunday to a sold-out audience of 200 at Grins Beer Garden & Chili Parlor, 4410 College Main in Bryan“, begann Lyle seine Laudatio für „one of Texas‘ premier nobodies“. Nicht ohne Sarkasmus, aber immerhin ohne Illusionen.