Teufel an der Wand
Der erfolgreiche Krimi-Autor Jakob Arjouni hat sich von einem literarischen Derwisch zu einen großen Erzähler gewandelt.
„Schreiben ist wie verknallt sein“, sagte er, und es klingt bei ihm wie eine höhere Form der Erkenntnis. „Denn weshalb sonst widmet man sich zwei oder drei Jahre seines Lebens einer Figur und einem Thema?“
Blickt man auf die inzwischen ziemlich imposante Liste seiner Veröffentlichungen seit dem Jahr 1985, in dem sein erster, später von Doris Dörrie erfolgreich verfilmter Kayankaya-Krimi „Happy Birthday, Türke“ im kleinen Hamburger Buntbuch Verlag erschien, so scheint für den wahlweise in Berlin und Südfrankreich lebenden Schriftsteller Jakob Arjouni Verknalltsein eine Art Dauerzustand zu sein – lediglich unterbrochen von regelmäßig eingelegten Kunstpausen, in denen der Mann mit dem gewinnenden Wesen Kraft für neue Stoffe tankt. „Denn wenn ich ein Buch beendet habe, fühle ich mich in der Regel körperlich ziemlich erschöpft. Doch zum Glück ist immer schon die Idee für etwas Neues da.“
Mit seinen Frankfurt-Krimis um den Privatdetektiv Kemal Kayankaya, einer Art deutsch-türkischem Doppelgänger von Phil Marlowe, wurde Arjouni Mitte der 80er Jahre als 22-Jähriger berühmt mit seinen späteren Romanen als Erzähler unentbehrlich. „Mit zwölf zum ersten Mal ,Rote Ernte‘ von Hammett gelesen — nicht alles verstanden, aber begeistert“, beschrieb Arjouni, der 1964 als Sohn des Dramatikers Hans Günter Michelsen in Frankfurt geboren wurde und für seine Buchveröffentlichungen den Nachnamen seiner damaligen Frau verwendete, seine Initiation. Und wo der literarische Derwisch dereinst ungebrochen der amerikanischen hard-boiled fiction huldigte, unerschrocken über korrupte Bullen, fremdenfeindliche Beamte auf Ausländerbehörden, sinistre Drahtzieher und windige Hintermännern fabulierte, die im Schatten Frankfurts glitzernder Banktürmen den Todestango tanzten, dort wuchert Arjouni heute mit Geschichten, die aus der Mitte des alltäglichen Lebens entspringen; Plots, die nur noch von fern an die genialisch verwinkelten Genrestücke früherer Tage erinnern, in denen ein unerschrockener Einzelkämpfer loszog, um sich in Frankfurts Unterwelt auf seiner Suche nach der verborgenen Wahrheit die Visage polieren zu lassen. Nein: Die Zeit, da seine Gedanken um Zuhälter, Mädchenhändler und Drogendealer kreisten, ist für Jakob Arjouni lange vorbei. Längst ist er erzählerisch dort zu Hause, wo sich die präzise Beschreibung heutigen Lebens mit bestechend genau betriebenem Menschenstudium paart.
Dass er seine in der Regel geradezu filmisch arbeitenden Geschichten aus dem deutschen Alltag neuerdings gerne mit einer kräftigen Prise Slapstick versetzt, das hebt seine Romane endgültig heraus aus der Masse derer, die hierzulande die sich rasant verändernde gesamtdeutsche Wirklichkeit mit Sätzen aufzuspießen versuchen. Arjounis Texte sind anders: schwereloser, süffiger und um jenen entscheidenden Tick besser, der das Original vom Klischee unterscheidet.
Und dass er es mit seiner Darstellung in gewisse persönliche Engpässe geratener Charaktere peinlich genau nimmt, das wissen wir spätestens seit seinen Romanen „Magic Hoffmann“ oder „Hausaufgaben“; Bücher, in denen Arjouni erzählerische Ambition gekonnt mit politischem Denken und einem untrüglichen Gespür für Dramaturgie verband. Dass er seine Texte dabei regelmässig mit autobiografischen Versatzstücken garniert, will er gar nicht verschweigen. „Sicher ist auch ein gewisser Prozentsatz von mir selbst immer enthalten“, bekennt er. „Sehnsüchte, wie ich gerne wäre oder die Welt hätte. Aber auch Ängste, die ich beschwöre, damit sie hoffentlich verschwinden. Ich male den Teufel an die Wand, damit er mir nicht begegnet.“
Und nun also der Roman „Der heilige Eddy“ (Diogenes, 18,90 Euro), Arjounis neues, nunmehr neuntes Buch. 246 schwebend leicht inszenierte Seiten Screwballprosa made in Germany, die sich lesen wie ein Film in Worten: temporeich, abgedreht und so lustig wie Woody Allen in seinen besten Zeiten. Doch worum geht es?
Arjouni entrollt die Geschichte des Berliner Kleinkriminellen Eddy Stein, der sich mit seinem begrenzten Repertoire kleinerer Trickbetrügereien mehr schlecht als recht über Wasser hält – und in seiner Freizeit gemeinsam mit seinem russischen Partner Arkadi musizierend durch Berlins Fußgängerzonen tingelt. Bis ihm das Schicksal den derzeit dicksten Fisch Berlins vor die Füße spült und Eddys Kleingaunerdasein innerhalb weniger Sekunden eine 360-Grad-Drehung erfährt.
Denn kein Geringerer als der in der Metropole meistgehasste Mann, der Imbissbuden-Millionär und Heuschreckenkapitalist Horst König, steht ihm eines Tages im Treppenhaus des Kreuzberger Hauses, in dem er wohnt, gegenüber. Doch dann gerät König aus Unachtsamkeit ins Stolpern, fällt die Treppe runter und kommt zu Tode.
Eddy hat plötzlich ein ziemliches Problem.
„Als Eddy Königs Kleider vor kaum fünf Minuten durchsucht, ihn anschließend in die Decke gerollt und mit Paketband umwickelt hatte, war er einen Moment lang kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen – den nächsten Flug nach Afrika zu nehmen, das Haus anzuzünden oder Königs Leiche aus dem Fenster in den Hausmeistergarten zu werfen, sich ins Bett zu legen und zu beten, dass man ihn einfach vergessen würde.“
Doch weil das Wünschen in derlei Situationen noch selten geholfen hat, und er nichts von alledem tut, verstrickt sich Arjounis mächtig in die Bredouille geratener Held vielmehr in ein Abenteuer von geradezu irrwitzigem Kaliber. Ehe er dann zuletzt hinter Gefängnismauern landet, verdreht er aber noch schnell der ebenso schönen wie exzentrischen Königstochter Romy den Kopf-und die federleichte Klamotte biegt leider viel zu früh auf die Zielgerade ein.
„Mit dem Schreiben eines Romans ist es, denke ich, ähnlich wie in der Liebe“, bekräftigt Jakob Arjouni abschließend noch einmal. „Alles reine Gefühlssache.“ So wird er weiter seinen Gefühlen gehorchen und über die Tücken des Alltags fabulieren und über das kleine und große Glück. Intelligent und unterhaltsam. Und gegen alle Trends und Moden. Da ist er sich sicher. Und er lacht.