Testamenteröffnung, kein Zutritt
Nach verhaltenen US-Umsätzen haben deutsche Kritiker vergeblich auf Steven Spielbergs Kubrick-Vollendung A.l. -KUNSTLICHE INTELLIGENZ gewartet
Alice ist höflich und hat auch Humor. Geduldig gibt sie Auskunft („I answer a lot of silly questions“) und kennt sogar HAL, „the famous artificial intelligence from ,2001′“. Doch auf die Frage, welches Lied der Supercomputer denn in diesem Film singe, rät sie einem unbeirrt: „Ask Charlie Parker.“
Alice ist ein Chatbot, also eine programmierte Plaudertasche, die im Internet unter der Adresse http://aimovie.warnerbros.com ihre Dienste offeriert. Die Maschine gehört zum Marketingkonzept für Steven Spielbergs neuen Film „A.l. – Künstliche Intelligenz“. Allerdings ist ihr die Existenz dieser aufwändigen Website („Is that a fact?“) nicht bekannt. Alice weiß auch nichts über „A.I.“ – und fragt statt dessen zurück: „Are you talking about an aiiimal, vegetable or mineral?“ Und die Leute, die dazu vielleicht etwas sagen könnten, seien „not available right now“.
In etwa so fühlten sich auch deutsche Filmkritiker, die in den vergangenen Wochen immer wieder bei der hiesigen Dependence von Warner Brothers nach dem ersehnten Vorführtermin von „A.L“ fragten. Denn während in den Foyersbereits die Plakate aushängen (, .Demnächst in diesem Kino“), ist zumindest bis zum Redaktionsschluss der Monatspublikationen das Werk nicht gezeigt worden. Nun war Spielbergs Vollendung einer Idee von Stanley Kubrick ohnehin das bestgehütete Geheimnis der Saison. So ließ Spielberg – ganz wie sein verstorbener Freund Kubrick – keine Journalisten am Set zu – und die Schauspieler gar Schweigeverträge unterschreiben. Den fertigen Film aber hier vorab nicht vorstellen zu wollen, hat andere Gründe und ist auch kein Einzelfall.
Zuletzt konnten,Pearl Harbor“ und , Jurassic Park HI“ hier zu Lande wenige Tage vor dem Kinostart gerade noch von Kritikern der Tageszeitungen begutachtet werden. Deutschland ist für US-Produktionen nach der Heimat der wichtigste Kinomarkt. Da die Starttermine zudem immer enger zusammenrücken, sich der Erfolg eines geplanten Blockbusters also fast in einem einzigen Hauruck entscheidet, fürchten die Strategen aus der Buchhaltung nichts mehr, als dass durch abschätzige Urteile lange vorher eine negative Stimmung entstehen könnte. Die Publikumszeitschriften berichten, eingedeckt mit Fotos, Trailern, Fakten, Fakten, Fakten und schwärmerischen Interviews von den Filmverleihern, sowieso und auch wohlwollend. Man will ja nicht den Eindruck erwecken, gepennt zu haben.
„A.I.“ spielte am ersten Wochenende zwar 30,1 Millionen Dollar ein, aber schon in der Woche daraufbrach der Umsatz um die Hälfte ein. Nun wird das Sci-fi-Märchen nicht mal jene 100 Millionen Dollar schaffen, die Zahlenfetischisten als Messlatte für Top oder Flop gelten. Für Spielberg ist das natürlich schwach. Aber für Kubrick, dessen Visionen nie sonderlich erfolgreich waren, wäre es schon ein Triumph gewesen. Ihn habe Kubricks Geist geleitet, salbaderte Spielberg über die Dreharbeiten. Darin liegt das Problem. Zwar jubelte die „New York Times“, es sei das „aufwühlendste, komplexeste, intellektuell herausfbrdernste Abenteuer, das Spielberg je gemacht hat“ – doch ein Familienfilm, wie das Studio offenbar gehofft hat, ist „A.I.“ trotz Erinnerungen an „E.T.“ und Pinocchio-Parallelen wohl nicht. Der „Washington Post“ war er „zu artifizieU“, die „Village Vfoice“ sah eine „psychologische Bonanza“ – und RS-Kollege Peter Travers ein „faszinierendes Wrack“.
„A.I. handelt vom Roboter-Jungen David (Haleyjoel Osment), der als Prototyp darauf programmiert wurde, echte Liebe zu empfinden. Auf der Suche nach seiner Pflegemutter irrt er durch eine sinistre, kalte Welt. Kubrick hatte sich dazu von Brian Aldiss‘ 1969 veröffentlichter Short Story „Super Toys Last All Summer Long“ inspirieren lassen. Da er jedoch meinte, die erforderliche Tricktechnik sei noch nicht so weit, schob er das Projekt stets hinaus. Noch 1993 lud er die Effektspezialisten von , Jurassic Park“ nach England ein. Zeitweise diente er Spielberg die Regie an und wollte nur produzieren. Kubrick ließ jenen sogar im Schlafzimmer ein Fax zu installieren, um ständig Ideen austauschen zu können. Jetzt hat Spielberg seit „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ wieder ein Drehbuch verfasst. Und der Oscar winkt Ein Renner ist jedenfalls ein „A.I.“-Adventure-Game im Internet. Wer den Namen Dr.Jeanine Salla, einer Therapeutin für Empfindungsmaschinen, etwa bei Google eingibt, startet eine mysteriöse Mörderjagd, die über E-Mail-Adressen, Links und bis zu 40 Websites führt. Man kann aber auch noch etwas mit Alice plauschen, die manchmal wie im wahren Leben reagiert Bei der Fangfrage, ob sie denn Sex möge, erscheint der Satz: „Sure I do, but that doesn’t mean with you.“