Tel Aviv: Zwei Häuser voller Kunst – die ROLLING STONE-Reportage
Für drei Monate zieht das Tel Aviv Museum of Art nach Berlin. Zeit für einen Trip – erst in die eine Stadt, dann in die andere
Kein auserwähltes Volk werden wir mehr sein, auserwählt, um zu leiden und um Wunden zu empfangen. Kommt zurück! Und wir werden endlich Europäer sein!“ So ruft es der junge Redner im Video „And Europe Will Be Stunned“ von Yael Bartana in ein leeres Stadion. Später werden sie wirklich kommen: saubere jüdische Jugendliche in Uniform und mit bunten Halstüchern, die mitten in Warschau eine Art Kibbuz aufbauen – komplett mit Stacheldraht drumherum.
Mit ihrer Trilogie über eine fiktive Bewegung einer jüdischen Renaissance in Osteuropa brachte die israelische Künstlerin 2007 die historischen und zeitgenössischen Klischees kräftig durcheinander. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin – wie immer mehr andere junge Israelis. Ihre Filme treten im April den Weg von Israel nach Deutschland an: als Teil der Sammlung des Tel Aviv Museum of Art, das sich anlässlich des 50. Jahrestags der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland im Berliner
Martin-Gropius-Bau vorstellt. Wie ein hellgraues Raumschiff liegt das Tel Aviv Museum of Art auf einem weitläufigen Platz im Zentrum der Küstenstadt. Der neue Anbau des amerikanischen Architekten Scott Cohen, im Oktober 2011 eröffnet, ist eine raffinierte Konstruktion mit rasanten Diagonalen, in der zentralen Halle fällt das Licht über 27 Meter durch alle Etagen. 13 Galerien nur für Wechselausstellungen hat das Museum hier und in dem modernistischen Betonbau von 1971, an den der neue Trakt anschließt, über 30 Ausstellungen jährlich finden statt.
Es war ein weiter Weg bis zu dem international beachteten Bau. Eröffnet hatte der erste Bürgermeister von Tel Aviv, Meir Dizengoff, das Museum 1932 in seinem eigenen Haus – Nummer eins im Bestandskatalog wurde eine Gouache von Marc Chagall.
Die europäische Moderne bildet den Grundstock der Sammlung, und es ist die Geschichte von Vertreibung und Emigration, die das Museum von Anfang an mit Berlin verbindet. Karl Schwarz, erster Direktor des Museums, hatte zuvor das kurz vor Hitlers Machtergreifung gegründete Jüdische Museum von Berlin geleitet, sein Wechsel auf den Direktorenposten in Tel Aviv 1933 war auch eine Flucht aus Nazi-
Deutschland. Auf seine Initiative hin gab der Berliner Kunstsammler Erich Goeritz 500 Werke nach Tel Aviv, darunter Gemälde von Edgar Degas, Max Liebermann, Oskar Kokoschka, Lovis Corinth und vielen anderen wichtigen Künstlern der europäischen Moderne, von denen viele unter den Nazis als entartet galten. „Das Fundament des Museums wurde von jüdischen Sammlern gelegt, die ihre Werke rechtzeitig vor den Nazis in Sicherheit bringen konnten“, erklärt Suzanne Landau, Direktorin des Tel Aviv Museum of Art. Auch später spiegelte die Sammlung die internationale Unterstützung jüdischer Kunstmäzene wider, Peggy Guggenheim und viele andere machten große Schenkungen.