Teilzeit-Rock’n’Roll

Nach zehn Jahren Rekonvaleszenz hat Evan Dando den alten Bandnamen The Lemonheads wieder reaktiviert

Der „Poster-Boy des Grunge“ trägt heute rosa Socken, die keck aus den ausgetretenen Converse-Sneakern hervorlugen. Die zerzausten blonden Haare fallen dem „sexiest man alive“ (People Magazine) verwegen ins Gesicht, die verwaschene Jeans wirkt wie ein integraler Bestandteil des sportlichen Körpers, die sanft gebräunten Arme sind bedeckt von kryptischen bis unbeholfenen Tätowierungen. Kein Zweifel: Evan Dando ist zurück, und man muss auf den Kalender schauen, um mit Bestimmtheit sagen zu können: Ja, wir schreiben das Jahr 2006, und das letzte Lemonheads-Album liegt bereits die popkulturelle Ewigkeit von zehn Jahren zurück. Dando jedoch sieht aus wie zu seinen besten Zeiten. Also auf eine sexy Art verschlafen, mit der Gitarre als Spielzeug auf dem Schoß. Seine Frau – ein Model namens Elizabeth Morgan – wartet ein Stockwerk höher in der luxuriösen Suite eines edlen Hamburger Hotels mit Alsterblick.

Mit welcher Frage soll man diesen hochentspannten Künstler als erstes belästigen: Warum er nach zehn Jahren nun wieder ein Lemonheads-Album aufgenommen hat?

Unmöglich. Denn dazu ist Dando viel zu sehr am Hamburger Immobilienmarkt interessiert: „Meine Frau und ich, wir spielen mit dem Gedanken, nach Hamburg zu ziehen. Was würde es ungefähr kosten, eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu kaufen- 200 000 Euro?“

Momentan leben die Dandos noch in New York. „Wir wohnen in der Nähe der Wall Street, zwei Blocks von der Stelle entfernt, wo das World Trade Center stand“, erzählt Dando. „Seit 9/11 haben wir eine tolle Aussicht, das darf man nicht unterschätzen, aber das wird sich bald ändern.“ Vermutlich, man liest ja gelegentlich in den Zeitungen darüber.

Nachdem ein längeres Gespräch über den Wohnungsmarkt und gute Nachbarschaften zu Dandos Zufriedenheit ausfällt, ist er bereit für die großen Fragen, zum Beispiel die, nach der langen Pause: „Neeeiiin, es gab keine Probleme mit Drogen!“, behauptet er treuherzig. „Es war doch einfach so: Wir starteten unsere kleine Punk-Band, hatten etwas Erfolg, dann kam diese dämliche Coverversion (die Simon & Garfunkel-Nummer „Mrs.Robinson“), und schließlich mochten die Leute auch unsere eigene Musik – da waren wir wirklich in Schwierigkeiten (lacht). Sie mochten uns so sehr, dass wir fast drei Jahre lang ununterbrochen auf Tour waren. Wenn man das berücksichtigt, dann war meine Pause gar nicht so lang, ich brauchte das einfach, nach all dem Stress.“

Dando ist in den letzten zehn Jahren viel Ski gefahren, hat wieder mit dem Skaten angefangen und war gelegentlich Angeln. Um nicht unter Geldmangel zu leiden hat er an der Börse spekuliert. Dank guter Berater kamen beachtliche 700 000 Dollar zusammen – und die mussten erst mal wieder ausgegeben werden: „Ich konnte so einfach nicht arbeiten. Ich bin nun mal wahnsinnig faul, und das viele Geld blockierte mich“.

2003 hatte der Grunge-Playboy sein kleines Vermögen offensichtlich so weit verprasst, dass er zumindest das Soloalbum „Baby I’m Bored“ einspielen konnte. Top 40 in England, immerhin. Als einer von mehreren Gastsängern ging er dann mit den wiedervereinigten Punk-Urvätern MC5 auf Tour. Ehrensache.

Das neue, schlicht „Lemonheads“ betitelte Werk ist deutlich ambitionierter und engagierter. Dandos alter Held J. Mascis ist als Gast dabei, ebenso der ehemalige The Band-Keyboarder Garth Hudson, der Dando mal bei einer von Hal Willner organisierten Edgar-Allen-Poe-Nacht an der Orgel begleitete. Der Kern der Band besteht nun aus Dando, plus Bill Stevenson und Karl Alvarez, die mit ihrer ehemaligen Band All fast so gut Punk und Melodien verbanden wie die Buzzcocks: „Anfangs hatte ich Angst, das Album könne als All-Platte enden, aber es klingt jetzt definitiv nach den Lemonheads. Nur durchtrainierter. Vielleicht wie die Lemonheads auf Stereoiden“, vermutet Dando und schickt zur Sicherheit – und um etwaigen Einwänden seines Gegenübers gleich den Boden zu entziehen – noch das Statement hinterher: „Die Lemonheads, das war schon immer nur ich – seit 1990.“ Wer möchte ihm da widersprechen?

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