Tears for Fears im Interview: „Wir sind einzigartig“
Neues Live-Album, neue Songs, ein Konzertfilm – Tears for Fears melden sich mit „Songs for a nervous Planet“ zurück
Mit „Songs for a Nervous Planet“ legen Tears for Fears das erste Live-Album ihrer 43-jährigen Geschichte vor, dazu einen Kino-Konzertfilm. „Wir wollen zeigen, dass wir kein Synthi-Duo sind“, sagen Roland Orzabal und Curt Smith. „Wir gehen mit einer echten Band auf die Bühne“. Das neue Set vereint Klassiker wie „Shout“ und „Mad World“ in Live-Versionen mit vier neuen Studioaufnahmen. Ein Gespräch über den Synthi-Fluch, perfekte Basslinien und ihr eigenes Vermächtnis.
„Say Goodbye To Mum and Dad“: Ist das der erste Song von Ihnen mit positivem Bezug zu den eigenen Eltern?
Orzabal: Vielleicht. Ich schrieb diesen neuen Song im Lockdown. Über Kinder, die ihre im Krankenhaus liegenden Eltern nicht mehr berühren durften. Sie sahen sie nur, hinter Glasscheiben. Begräbnisse, an denen Söhne und Töchter nicht teilnehmen durften. Wie schräg einem diese Jahre heute vorkommen …
„Everybody Wants To Rule The World“ entstand 1985 zur Hochzeit des Kalten Kriegs. Wofür steht es jetzt?
Smith: The more things change, the more they stay the same, wie Jean-Baptiste Alphonse Karr schrieb. Wir komponierten das Lied mit Anfang 20. Wer heute Anfang 20 ist, steht einer neuen Kriegsgefahr gegenüber. In dem Lied geht es aber um generelle Angstzustände.
Die Basslinie kennt jeder. Curt, warum spielen Sie den Song nicht live am Bass – und warum kommt er nie als Zugabe, sondern gleich zu Anfang des Sets?
Smith: Erstens, das ist kein Bass! Sondern ein Synthi-Bass. Ich bin besser am Instrument geworden, ich könnte die Basslinie jetzt wohl spielen. Aber es ist schwer, straight über einem galoppierend gespielten Rhythmus zu singen. Wir bringen „Everybody“ so früh im Set, weil das die Leute sofort aufweckt, geradezu schockt. Der Riesenhit, nicht als Zugabe.
„I made a fire, and watching it burn!“
Live reproduzieren Sie auch spontane Eingebungen aus Studioaufnahmen. In „Head over Heels“ gibt es den fulminanten „Yeah!“-Ausruf, den Sie seitdem stets auf der Bühne bringen.
Orzabal: Solche Emotionen entstehen, wenn man im Studio permanent dieselben Passagen einsingen will oder muss. Die „Yeah“-Improvisation hat für mich die Stimmung perfekt eingefangen: „I made a fire, and watching it burn!“ Aber ja, es ist irre zu sehen, wie tausende Fans in den Arenen denselben „spontanen“ Ausruf ertönen lassen.
Empfanden Sie es als Nachteil, zu Karrierebeginn als Synthi-Duo wahrgenommen zu werden? Ihr jetziges Live-Lineup beinhaltet zwei Gitarristen – und nur einen Keyboarder.
Smith: Roland und ich waren von Anfang an nicht Keyboarder. Wir betrachten uns nicht als Keyboarder. Wir waren und sind Gitarristen. Ich fürchte, viele Leute wissen immer noch nicht, dass Tears for Fears eine echte Live-Band ist. Deshalb jetzt das Live-Album. Wir wollen es der Nachwelt bereitstellen.
Kommt es denn heute noch vor, dass TV-Sender bei Ihnen nach einem reinen Duo-Auftritt anfragen?
Smith: Wir treten auch im Fernsehen nur noch mit Live-Band auf. Unsere Musik hat einen Band-Sound. Wir sind keine Playback-Fans, wir versuchen das zu vermeiden, wann immer es geht.
Fast alle ihrer früheren Hits endeten auf Platte mit einem Fade-Out. Live geht das nicht, wie wir auch auf Ihrem neuen Album hören. Aber warum nutzt heute kaum ein Band Fade-Outs für Studioaufnahmen?
Smith: Ich denke: Ein echtes Ende ist einfach eine gute Sache. Im Streaming-Zeitalter ist es sicher vorteilhaft, ein klar abgegrenztes Ende zu haben – dann ist es einfacher von einem Song zum anderen zu skippen, und das geht auch schneller.
Orzabal: Der Fade-Out ist ein Relikt aus den Sechzigern. Damals war er sogar notwendig, Songlängen auf Vinyl waren begrenzt.
Smith: Und der Fade-Out war das langsame Singal an den DJ: Gleich kannst du wieder reden!
„Die Menge singt auch ohne uns!“
„Shout“ bedient sich der Hitformel von Abba und den Beatles: nicht mit der Strophe, sondern gleich mit dem Refrain loslegen. Warum nicht in der Live-Version?
Orzabal: Ganz ehrlich, es ist sehr schwer, live mit diesem Chrous zu starten, schwer für alle, gleichzeitig mit derselben Kraft einzusteigen, you won’t find the pitch immediately. Und dann hat der Anfang nicht mal eine richtige Instrumentierung – nur den Bass-Synthi. Außerdem: Die Leute kennen den Song doch! Wir legen mit dem Percussion-Intro los, und die Menge singt, auch ohne uns.
Smith: Das mag sich anhören, als hätten wir nur aufgrund einer Notwendigkeit das Lied neu arrangieren müssen. Aber das folgt auch einem Plan. Nun hat „Shout“ einen richtigen Buildup.
Roland, in Thom Yorke haben Sie einen Epigonen. Er sieht aus wie Sie, Haare, Bart, er spielt auf einer roten Strat, zitiert Ihre existenzialistischen Texte. Kennen Sie ihn persönlich?
Orzabal: Nein. Um 1993 herum, ich tourte mit meinem „Elemental“-Album ohne Curt, waren Radiohead meine Vorband in Las Vegas – was mich umhaute. Damals schon coverte ich „Creep“, aber als witzige Verbeugung vor ihnen. God bless Radiohead.
Warum singen Sie im 1989er-Song „Sowing the Seeds of Love“ heute „Gotta educate yourself“?
Orzabal: Ich las damals viele Bücher über Marxismus. Ich war 27, da ergab Marxismus für mich noch Sinn. Mein Lieblingsbuch war „Marxismus für Dummies“. Margareth Thatcher regierte Großbritannien ins Verderben, aber war kurz vor dem Abgang. Gleichzeitig gab es den britischen Summer of Love. Hippies, Ecstasy, Raves, die Sixties kamen zurück. Ich ließ mir lange Haare stehen. Curt schnitt seine ab. Die Neufassung von „Seeds“ gründet im so genannten Informationszeitalter.
Klingt ja erstmal gut.
Orzabal: Ich glaube nur: 99 Prozent aller heutigen Gespräche beruhen auf dem Fundament geballten Nichtwissens beider Gesprächspartner. Keiner liest mehr Bücher. Leute, lest wieder Bücher. Alles, was ihr in die Hände bekommt.
„Zwei Dinge mussten Bewerber hinbekommen“
Curt, warum ist „Advice For The Young At Heart“ von der Setlist geflogen?
Smith: Zuletzt stand unser aktuelles Album „The Tipping Point“ in Zentrum der Konzerte. Darauf übernehme ich verhältnismäßig häufig den Leadgesang. Live-Dramaturgien sind herausfordernd, also die „emotionale Reise“ während dieser rund 20 Songs. Die meisten Lieder singt Roland.
Wie fühlt es sich für Ihren Live-Drummer Jamie Wollam an, das nachzuspielen, was Größen wie Phil Collins oder Manu Katché für Sie aufnahmen?
Orzabal: Ja, der muss gut sein! Manu und Phil spielten auf „The Seeds of Love“. Es war schon 1989 schwierig, einen Tour-Schlagzeuger zu finden. Zwei Dinge mussten Bewerber hinbekommen: Das Bassdrum-Intro von „Badman’s Song“, und für „Sowing the Seeds of Love“ auf den Ringo-Modus switchen. Das bekam keiner hin.
Collins‘ Einsatz in „Woman Chains“ erinnert an …
Smith: Wir hatten ihn um einen „In The Air Tonight“-Einsatz gebeten. Aber das wollte er nicht abliefern. Wir erträumten uns „Woman in Chains“ voller Phil-Drum-Fills. Ich sprach ihn beim Konzert für Nelson Mandela 1987 in Wembley an, da war er als Schlagzeuger gebucht. Ich holte dann sogar Hugh Padgham in unser Studio, seinen Produzenten, der ihm den Gated-Reverb-Schlagzeugsound angefertigt hatte. Phil kam dann für drei Stunden nur, schon war er wieder weg.
Als einziges Stück des in Franklin, Tennessee aufgenommenen Live-Albums wurde „Suffer The Children“ neu arrangiert. Das intoniert nun Ihre Co-Sängerin Lauren Evans. Warum?
Smith: Das Lied von einer Frau anstimmen zu lassen, ergibt nun viel mehr Sinn: „But the Pain of birth /What is it worth /When it don’t turn out the way it should“.
„Come on, I wanna have a life!“
Vier neue Songs. Warum haben Sie nicht gewartet, bis fünf weitere entstanden wären – und veröffentlichen sie gleich als neues Studioalbum?
Orzabal: Hätten wir jetzt schon machen können. Wir haben noch mehr Lieder aufgenommen. Diese vier neuen eignen sich einfach gut als E.P. Aber warum hätten wir einfach nur ein Live-Album mit älteren Stücken promoten sollen? Mit dem neuen Material ist „Songs for a Nervous Planet“ doch viel aufregender. Nun, unsere Plattenfirma wollte eh mindestens ein neues Stück haben. Hätten wir zuerst ein Live-Album herausgebracht, dann gleich wieder eine neues Studioalbum, hätte das zu einer unendlichen Promo-Reise geführt. Zu anstrengend.
Come on, I wanna have a life! Jetzt also dieser Hybrid. Nun sind Tears for Fears an einem Punkt angelangt, an dem niemand, wirklich niemand das tut, was wir tun. Wir sind einzigartig.
„Songs for a Nervous Planet“ ist eine E.P. – eine E.P. mit 18 Bonus-Songs“
Wie meinen Sie das?
Smith: „Songs for a Nervous Planet“ ist eine E.P. – eine E.P. mit 18 Bonus-Songs, live aufgenommen. Plattenfirmen fordern stets: Nehmt doch mindestens einen neuen Song für die Live-Platte oder die „Greatest Hits“-Sammlung dazu. Wir haben also gleich vier addiert – so stellen wir sicher, dass sie nicht verloren wirken oder gar von den Leuten nicht bemerkt werden. Sie sind zu wertvoll. Jetzt bilden sie eine Einheit. Wir reden auch lieber über sie, als über unseren Back-Katalog.
Einer Ihrer persönlichen Lieblingssongs ist „Secret World“ vom weniger beachteten 2004er-Albums „Everybody Loves a Happy Ending“, das zum festen Teil der Setliste wurde.
Smith: Das stärkste Stück auf der Platte. Es hätte damals als Vorabsingle erscheinen sollen, das ist uns heute klar. Ein Vorteil der heutigen Zeit ist, dass wir solche unbekannteren Lieder auf YouTube hochladen können, es dort neu entdeckt wird. There It has its little day in the sun.
Ein Running Gag von Tears for Fears besteht in der regelmäßigen Verwendung des Wortes „World“ einmal pro Album in einem Songtitel. Warum heißt das neue Werk dann statt „Songs For A Nervous Planet“ nicht „Songs For A Nervous World“?
Orzabal: Der war gut!
Smith: Können wir den Titel noch ändern, Roland!
Orzabal: Ich habe den Titel von einem Autor namens Matt Haig geklaut. Sein Buch heißt „Notes On A Nervous Planet“. Darin geht es nicht um die Klimakrise. Sondern um die Frage: Wie nehmen wir Informationen auf, die uns Angst machen? Haig verweist auf all die neuen Kategorien psychischer Erkrankungen, und wie allein dieser dazugehörige Informationsfluss uns verängstigt. Auf Twitter einen Streit zu führen mit einem Menschen, der 5.000 Kilometer in seine Tastatur hackt. Wir haben News auf dem Telefon. Wir haben Meinungen auf dem Telefon. Das ist ein Bombardement. Die Alternative? Ein Feld voller Sonnenblumen. Wie auf unserem neuen Plattencover. Natur. Der Cut-off von Social Media, aber auch CNN und Fox. Dafür mehr Spiritualität!
Wir waren uns sicher, dass „The Tipping Point“ herausragende Kritiken erhalten würde
In den Nullerjahren galten Tears For Fears als over. Ihr letztes Studioalbum „The Tipping Point“ bescherte Ihnen nun einige Ihrer besten Kritiken. Betrachten Sie Ihr Vermächtnis als gesichert?
Smith: Wir waren uns sicher, dass „The Tipping Point“ herausragende Kritiken erhalten würde. Aber was könnten wir auch anderes tun, als ins Studio zu gehen und bei den Aufnahmen zu hoffen, dass sie gut werden?
Kaum eine Band veröffentlicht noch Live-Alben. Was hat Ihr Label dazu gesagt?
Orzabal: Die waren anfangs von der Idee nicht allzu begeistert. Aber es gibt ja noch unseren Konzertfilm „Tears for Fears Live: A Tipping Point Film“, wir bieten das Gesamtpaket an.
Welcher Tears-For Fears-Song ist eigentlich ihr liebster?
Smith: Das ändert sich immer wieder. „Sowing the Seeds of Love“ ist wohl derjenige, den man als perfekt bezeichnen könnte. Mein liebster ist, aber das geht vielen Musikern so, meistens die jeweils aktuelle Aufnahme.