Hits gehören der Vergangenheit an, heute zählt nur das Feeling
Taylor Swift hat keine Hammer-Singles, das stimmt. Aber die Zeiten haben sich auch geändert.
Hoffentlich verstehen die Swifties, die zuweilen manischen Fans der Sängerin, britischen Humor. Dann wüssten sie, dass Neil Tennant keine böse Attacke auf den derzeit größten Star am Pop-Himmel fahren wollte. Die eine Hälfte der Pet Shop Boys fragte laut während eines Live-Events mit dem „Guardian“, ob Swift irgendetwas Vergleichbares wie „Billie Jean“ aufzubieten hätte. Der ehemalige Musikjournalist konkret: „Was ist Taylor Swifts ‚Billie Jean‘? ‚Shake It Off‘? Ich habe mir das neulich angehört und es ist bestimmt nicht ‚Billie Jean‘, oder was denkt ihr?“
Sicher, es ist ein medienwirksames Statement. Die Pet Shop Boys haben ein neues Album am Start („Nonetheless“, eine schöne Rückkehr zu alter Form, mit einer Single, deren Musikvideo erst ab 18 ist) und Taylor Swift bricht mit „The Tortured Poets Department“ gerade alle Streaming- und Verkaufsrekorde (was zumindest, sehr zur Freude einer schadenfreudigen älteren Zuhörerschaft, nicht für Vinyl gilt). Früher hatte das britische Duo Hits, die es zumindest mit „Billie Jean“ aufnehmen können. „West End Girls“. „It’s A Sin“. „New York City Boy“. Es sind noch eine ganze Menge mehr. Doch in den letzten Jahren gelang den Pet Shop Boys selten ein Comeback in den Charts. Es stört die gealterten Musiker kein bisschen, sie gehen eben jetzt auch mit ihren Ohrwürmern auf Tour, statt wie früher neues Material raffiniert auf die Bühne zu zerren.
Taylor Swift setzt nicht auf Überwältigung
Zurück zu Swift: Tennant trifft durchaus einen wunden Punkt, wenn er der Sängerin attestiert, keine großen Melodien zu haben, die alle rund um den Globus jeden Tag im Radio hören wollen. Was bei ihr enttäuschend sei, so der Musiker, sind nicht die Texte (wenngleich sie doch etwas öde um ihre längst abgelegten Liebschaften kreisen), sondern die spannungslose Musik. Tennant erkennt aber auch, dass Swift die Menschen zusammenbringt wie keine andere Künstlerin dieser Tage. Und das ist entscheidend.
Swift und ihrer Entourage geht es nicht darum, DEN einen großen Hit zu produzieren. Die Anthology-Version von „The Tortured Poets Department“ kommt mit stolzen 31 Songs daher. Der Vorgänger „Midnights“ enthielt in seiner prallsten Variante auch 23 Stücke. Bei dieser Menge kann nicht jeder Track ein Treffer sein. Und das ist auch gar nicht gewollt. Jack Antonoff, maßgebliche kreative Triebfeder hinter Swifts jüngsten Erfolgen als Songwriterin, hat etwas ganz anderes im Sinn.
Es geht um den Fluss von wiedererkennbaren Sounds, sich ähnelnden atmosphärisch straffen Melodien, viel Raum für das nicht immer in allen möglichen Registern gesungene Textgut, das weniger ins Dramatische oder Hyperreflexive abhebt, sondern vielmehr sehr konkret Geschichten darlegt, einen authentischen Bezugspunkt wählt (das Taylorverse) und dabei Referenzen hinterlegt, die von jeder Hörerin verstanden werden. Anspielungen auf Hoch- und Popkultur werden deutlich gemacht, Anknüpfungspunkte an Swifts Privatleben werden hingegen wie Eastereggs, wie versteckte Ostereier, untergebracht. Früher war es einmal andersherum.
Fans werden zu Freundinnen
„Um heute eine erfolgreiche Popkarriere zu haben, muss man wohl eine Reihe von Beziehungen haben, die toll sind und dann tragisch enden“, sagte Neil Tennant in dem Interview etwas sarkastisch weiter. „In der Welt des Pop schreiben die Leute keine Songs wie ‚Karma Chameleon‘ mehr“. Das mag vielleicht etwas spitz formuliert sein, aber es deutet auch an, wo die Reise hingeht. Erfolg hat heute nicht, wer die Welt versteht und das in einfache Melodien und Lyrics verpacken kann (so wie das die Pet Shop Boys seit den 80ern wie kaum eine andere Electroband schaffte), sondern es geht darum, dem Publikum die eigene Welt so anschlussfähig wie möglich darzubieten.
So wird das Privatleben von Taylor Swift als ein eigener mythischer Kosmos sozusagen shareable. Die Sängerin ermöglicht Teilhabe, sie macht ihre Anhängerinnen von Fans zu Freundinnen. Es geht exakt um dieses Feeling, das seinen Mehrwert nicht mehr aus der Souveränität des künstlerischen Ausdrucks (also einer mehr oder weniger eindeutigen Aussage) schöpft, sondern aus der Kraft der Verbindung zu anderen Menschen. Der Sozialaspekt der Musik ist so wichtig wie nie zuvor, und niemand hat das besser verstanden als Taylor Swift.
Während Neil Tennant mit lässiger Scharfzüngigkeit kommentierte, ging Cobain-Witwe Courtney Love noch ein Stück mehr in die Offensive. In einem Interview mit dem „Standard“ polterte sie los, dass Taylor Swift trotz ihres Erfolges keinerlei Relevanz für die Musikwelt habe. Doch auch sie trifft, womöglich ohne es zu wollen, mit ihrer Kritik ins Schwarze, wenn sie die Sängerin als „Safe Space für Mädchen“ bezeichnet. Auch das ist ein Erfolgskriterium einer neuen Pop-Welt, die keine Hits und auch keine konsistenten, großen Alben mehr nötig hat: Musik als Zufluchtsort, bei der es stets Bestätigung für die eigenen Gefühle und Gedanken gibt, die trotz Genrevariation einen gesicherten Wiedererkennungswert hat und wirklich niemals darauf aus ist, zu verstören.