Tatort Totenmesse
ANNA VON HAUSWOLFF verpasste den Augenblick des Todes nur um ein paar Momente. Als ihr Großvater starb, holte sich die junge Schwedin nämlich gerade ein Sandwich aus der Krankenhauscafeteria. Weil der alte Mann seine Mundharmonika so sehr liebte, hatten ihm die Krankenschwestern das Instrument bereits zwischen seine gefalteten Hände gelegt. „Ich nahm dann seine Gitarre, die neben dem Bett stand, und spielte einen seiner Songs. Ich bin mir sicher, dass er es noch gehört hat“, meint Hausswolff. Die anrührende Anekdote erzählt sie mit entwaffnender Offenheit. Aber sie spiegelt auch ihr Faible für morbide Geschichten, ihren Hang zu Pathos und Theatralik wider.
Natürlich hat sie ihrem Großvater auch ein eigenes Lied gewidmet. Es heißt – wie sollte es anders sein? – „Harmonica“, das dazugehörige Album „Ceremony“. Darauf scheint Hausswolff ihr eigenes Lieblingsinstrument gefunden zu haben: eine Kirchenorgel. Gefunden hat sie es durch eine Notlösung.
Nach ihrem Debüt „Singing From The Grave“ von 2010 zog Hausswolff aus ihrer Heimat Göteborg fort in die dänische Hauptstadt Kopenhagen. „Ich wollte einfach aus dem Ort weg, in dem ich aufgewachsen bin“, sagt sie etwas zögerlich. In Kopenhagen hatte sie außer ihrer Schwester vorerst keine Bekannten, fand keine Freunde. Die musikalischen Möglichkeiten schienen gering. Ihr Piano musste aus Transportgründen durch ein schnödes Keyboard ersetzt werden, dessen Klang ihr derart missfiel, dass sie die komplette Soundpalette durchprobierte, bis sie schließlich diesen Kirchenorgelmodus fand, dessen sakrale Stimmung sie merkwürdig berührte. Sie begann damit, die dunkel-vibrierenden Klänge zu variieren. „Meine Schwester meinte irgendwann im Scherz:’Du musst auf einer richtigen Orgel spielen'“, erinnert sich die Songwriterin. Der Gedanke blieb hängen: Hausswolff versuchte es autodidaktisch, googelte, las Bücher zum Thema und mailte einen Orgelbauer in Göteborg an, der ihr half, eine Kirche für Aufnahmen zu finden. Zurück in der ihr überdrüssig gewordenen Heimat, entstand in der Annedalskyrkan innerhalb von nur fünf Tagen der größte Teil von „Ceremony“.
Das neue Album verströmt eine unheilschwangere Atmosphäre und mutet mitunter wie eine tröstliche Totenmesse an -einer ihrer neuen Songs trägt sogar den ahnungsvollen Titel „Funeral For My Future Children“. Doch Hausswolff durchbohrt diesen reinigenden Schmerz, diese evangelische Leidenslitanei mit langen Instrumentalstücken, die an Horrorfilm-Soundtracks der 70er-Jahre erinnern. „Filmmusik zu schreiben ist tatsächlich ein Traum von mir, den ich unbedingt verwirklichen will“, verrät Hausswolff und empfiehlt die Klangexperimente von Klaus Schulze zum österreichischen Gemetzel-Thriller „Angst“ sowie den Score der Prog-Rocker Goblin für den italienischen Splatter-Streifen „Suspiria“.
Die Verbindung zwischen kruden B-Movies und Hausswolffs Folksongs liegt gar nicht mal fern. Denn auch der Gewaltfetischismus dieser Filme findet die einzig wahre Erlösung im Tod und kann so in letzter Konsequenz auch als gesellschaftspolitisches Statement gesehen werden. „Tod ist der Zustand, in dem wir wieder eins sind mit der Natur“, erklärt die 26-jährige Songwriterin. Bei ihr wendet sich der angstvolle Pessimismus in die stoische Verweigerung der herrschenden Verhältnisse: „Ich bin genervt von der menschlichen Arroganz. Ich frage mich, wie wir wieder mit der Natur vereint sein können. Wie können wir eine gesunde Beziehung zu ihr haben, wenn wir sie zerstören?“ Puh. Das sind natürlich Fragen. Und Stoff genug für viele lange Orgelstunden. Oder morbide Musiken für imaginäre Filme.