Tanz der Farben: Helio Oiticica im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt

Brasilien ist Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse 2013. Das MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main zeigt dazu die bislang größte Retrospektive des brasilianischen Künstlers Hélio Oiticica in Deutschland

Im Traveller-Special unsere aktuellen Ausgabe widmen wir uns auch dem Reiseland Brasilien. ROLLING-STONE-Autor Daniel Haaksman begab sich dabei auf die Spuren des Baile Funk.  Und wir widmen uns großartiger Kunst des Landes.

Brasilien ist nicht nur Sound und Strand. Brasilien ist Architektur, Literatur, Kunst. Hélio Oiticica hat alle zusammengebracht: die Maler und Musiker, die Schrift­steller und Filmemacher. Der bedeutendste Künstler Brasiliens, der bereits 1980 im Alter von 42 Jahren verstarb, hat wie selbstverständlich unterschiedliche Felder der Kultur miteinander verbunden. Der Vordenker der Tropicália-Bewegung ließ sich von der chaotisch gewachsenen Architektur der Favelas zu begehbaren Skulpturen inspirieren. Er verknüpfte die Samba-Kultur mit seinen bunten Capes, den „Pa­rangolés“. Seinen Arbeitsstil bezeichnete er einmal als „Delílirio Ambulatório“, eine Art Schlafwandeln, begleitet von Drogen, Exzess und Musik. Er propagierte Ko­kain, integrierte das Pulver in seine Werke, um es schließlich als hirnerweichende Modedroge kategorisch zu verdammen.

Es war Oiticicas Installation „Tropicália“, die 1967 jenen Begriff prägte, den die Progressiven in Zeiten der Militärdiktatur für ihr künstlerisches Schaffen aufgriffen. Der Musiker und spätere Kulturminister Gilberto Gil erinnert sich, dass es dabei um mehr ging als um die Definition eines neuen Stilbegriffs, wie etwa bei der Bossa Nova: „Es war eine Lebenshaltung, eine kulturelle Einstellung, ein Konzept.“ Songwriter wie Gilberto Gil, Caetano Veloso oder Gal Costa wiesen aus brasilianischen Traditionen und internationalen Pop-Einflüssen einen eigenen (musikalischen) Weg.

Oiticica stellte damals eine verwinkelte Holzhütte in eine tropische Landschaft mit lebendigen Papageien, die von Sand umgeben und mit Plastikplanen verkleidet war. In ihrem Inneren summte ein Fernseher – zur damaligen Zeit ein veritabler Skandal. Schon bald wurde „Tropicália“ zu einer gesamtkulturellen Strömung des Aufbegehrens. Oiticica selbst emigrierte bereits 1969 nach London, denn das politische und kulturelle Klima seines Landes machte ein freies Arbeiten nahezu unmöglich. Im Exil zeigte er in der großformatigen Installation „Eden“ eine Fortentwicklung von Tropicália. 1970 zog Oiticica nach New York, wo er psychedelische Räume schuf und parallel dazu das Konzept des „Quasi Cinema“ entwickelte. Oiticica zeichnete Coverfotografien von Marilyn Monroe, Yoko Ono und Jimi Hendrix mit Kokain nach und traf auf die Protagonisten des New Yorker Undergroundfilms. Er selbst drehte mit dem Warhol-Darsteller Mario Montez und arbeitete an weiteren Experimentalformaten. Seine künstlerische Produktion verlagerte sich zunehmend auf Pläne und Modelle für künftige Werke. Erst 1978 kehrte Oiticica nach Brasilien zurück, wo er verstärkt mit seinen „Penetrávels“ Interventionen im Stadtraum entwickelte. Er schuf Architekturideen, die heute wie farbgetränkte Bungalow-Modelle erscheinen. Mit nur 42 Jahren verstarb Helio Oiticica an den Folgen eines Schlaganfalls in Rio de Janeiro.

Unter dem Titel „Das große Labyrinth“ ist im Rahmen des brasilianischen Kulturprogramms zur Frankfurter Buchmesse die bislang umfassendste Retrospek­tive Oiticicas vom 28. September bis 12. Januar 2014 im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zu sehen. Gezeigt werden sowohl die abstrakten Malereien aus seiner Frühzeit als auch die schwebenden Reliefs, die farbigen „Bólides“-Holzkonstruktionen (Foto oben) und seine begehbaren labyrinthischen Rauminstallationen, jene „Penetrávels“, mit denen sich der Betrachter genauso aktiv auseinandersetzen kann wie mit seinen imposanten Stoffarbeiten, die zu gespenstischen Rückzugsräumen werden.

Hélio Oiticica – Das große Labyrinth, bis 12. Januar 2014. MMK Museum für Moderne Kunst, Domstraße 10, 60311 Frankfurt am Main.

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