Tandern ist tiberall
Von wegen „"Heimatfilm" : In „"Beste Gegend" beschreibt Marcus H. Rosenmüller die Provinz als brüchiges Paradies. Dem Regisseur geht es um archaische Fragen, nicht um Idyllisches.
Ein „Bergfest“ nennt Marcus H. Rosenmüller die Premiere von „Beste Gegend“ in einem Münchner Kino, und der Regisseur strahlt schon wieder wie die hellste bayrische Sonne. „I gfrei mi a so!“, ruft er ins klatschende Publikum. Das gesamte Ensemble ist gekommen, tast alle tragen Jeans, Shirts und Schals. Glamour ist anderswo. Dafür gibt es hier Inspiration und Ideen, viele. Ein Film hätte dafür nicht gereicht, deshalb plante Rosenmüller gleich eine Trilogie. Ursprünglich sollte die „nur“ im Fernsehen laufen, aber seit 2006 ist alles anders. Plötzlich dürfen auch Filme mit bayrischem Dialekt auf die große Leinwand, dank des Erfolgs von „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Mit diesem skurrilen Schuld-und-Sühne-Stück hat sich Rosenmüller als Kassenschlager erwiesen, sehr zur Überraschung eigentlich aller. So lief der erste Teil seiner Trilogie, „Beste Zeit“, im Juli gleich im Kino, „Beste Gegend“ folgt nun am 3. Januar.
Es geht um zwei Mädchen, die in einem kleinen bayrischen Dorf namens Tandern aufwachsen, um ihre Lieben und Leiden, um das verbockte Abitur und die geplante Weltreise, kurz: um das Leben auf dem Land, mit all seinem Charme und seinen Schrecklichkeiten. Anna Maria Sturm spielt „die Kati“ jetzt mit einer noch präziseren Mischung aus Eigensinn und Gutherzigkeit, und wenn sie grimmig durch die Gegend guckt, möchte man sie glatt in die festen Backen zwicken, damit sie wieder lächelt. Daneben hat es Rosalie Thomass als beste Freundin Jo nicht leicht. Sie ist weniger quirlig, nicht ganz so hübsch, aber am Ende ist sie diejenige, die es wagt, die Erinnerungen, die hier in jeder Ecke und auf allen Feldern stecken, hinter sich zu lassen. Ausgerechnet die scheinbar Schwerfälligere entflieht der immensen Schwerkraft, die ein Ort wie Tandern hat.
Man merkt diesen Filmen in jeder Minute an, dass sie von Menschen gemacht wurden, die wissen, wovon sie erzählen, und sich nicht von schnöden ökonomischen Realitäten ins Handwerk pfuschen lassen. Man sollte ja meinen, dass so eine Trilogie nacheinander abgedreht wird, weil die Drehorte ja nun schon mal zur Verfügung stehen. Stattdessen leistet sich Rosenmüller Pausen, damit es spannend bleibt. „Es geht mir nicht um Schnelligkeit, sondern um die Entwicklung im Leben der Figuren. Das muss man spüren, glauben und erleben. Das sieht man natürlich auch körperlich — die Figuren sind reiter geworden, das sind jetzt Frauen. Deshalb ist auch die Thematik anders.“ Freilich lief beim zweiten Teil vieles glatter, weil sich Regisseur und Schauspieler kannten, das gesamte Team weitgehend dasselbe war. Als „gute Familie“ bezeichnet sie Rosi, wie er von allen genannt wird. Er arbeitet gern mit Leuten zusammen, die ihn kennen und wissen, dass sie mit ihm reden können: „Ich lasse mich gern darauf ein, wenn jemand eine bessere Idee hat, wie man eine Szene machen kann, wenn dabei nicht der ganze Sinn entstellt wird. Bei solchen Produktionen, mit einem eingespielten Team kann man schon mal flexibel sein.“
Aber warum eigentlich ausgerechnet dieses Nest in der Nähe von Dachau? Die Autorin kommt aus Tandern, und sie beschreibt ihre Heimat tatsächlich so aufrichtig, wie es nur möglich ist – und da wäre es einfach unsinnig gewesen, dann woanders zu drehen. Karin Michalke hat das Drehbuch zu „Beste Zeit“ noch auf der Filmhochschule entwickelt, als Abschlussarbeit. Eigentlich hatte sie einen Kletterer-Film im Sinn, „über zwei Jungs aus einem Dorf, die nach Bolivien auswandern, um dann zu erkennen: Bolivien ist auch nicht besser als daheim, weil man sich ja immer selbst mitnimmt. Der letzte Satz sollte sein: This is Bolivien“. Mit der Geschichte kam sie nicht recht weiter, dann lief ihr die Zeit davon — aber an der Grundidee hielt sie fest: Die Heimat prägt einen mehr, als man manchmal zugeben möchte, und sie lässt einen nie ganz los. Tandern ist überall.
Rosenmüller traf sie 2004, also vor „Wer früher stirbt, ist länger tot“, ihm gefiel das Drehbuch sofort, aber dass sich nun so viele Leute ihre Tandern-Filme anschauen, damit hätte die bescheidene Autorin dann doch nicht gerechnet: „Wer hat das ahnen können – dass irgendwen mal interessiert, was wir machen?“ Dabei ist dies ja nicht nur ein Film über Tandern – es ist ein Film über Freundschaft, Familie und Fernweh, und er funktioniert ohne Bayern-Klischees.
Das ist wohl das größte Missverständnis, mit dem Rosenmüller zu kämpfen hat: dass er „bayrische Heimatfilme“ macht. „Beste Gegend“ könnte genauso gut in Thüringen, Hessen oder Schleswig-Holstein spielen — freilich mit anderem Dialekt. Nur in die Stadt könnte man ihn bestimmt nicht versetzen. Der Regisseur stimmt zu: „Vielleicht ist es ein Landfilm, ein Provinzfilm. Wenn man zum Beispiel ,You Can Count On Me‘ von Kenneth Lonergan guckt – der Film spielt in der amerikanischen Provinz, aber er könnte auch genauso gut in Bayern spielen.“
Karin Michalke mag ebenso wenig mit dem angeblichen Phänomen vom „neuen Heimatfilm“ zu tun haben – und Tandern sieht sie ganz bestimmt nicht nur als Idylle: „Davon bin ich ganz weit weg. Die Heimat – das ist wie bei einem Baum, das sind die Wurzeln im Boden. Man wächst da raus, man strebt woanders hin, aber man kann das nicht verleugnen. Und man ernährt sich auch davon. Man hat da ja alles gelernt, was man zum Leben braucht. Alles bezieht sich erst mal darauf, und trotzdem ist es keine heile Welt, sondern eine, die zerbrechen kann. Wo man – um beim Baum-Vergleich zu bleiben — kein Licht bekommt und nicht wachsen kann. Wo an dir herumgesägt wird, man dich verdursten lässt. Weg kommst du trotzdem nicht.“
Wenn man sich irgendwann selbst verpflanzt, muss man ein bisschen Heimaterde mitnehmen, wenigstens im Kopf, sonst geht man kaputt. Das ist manchmal die Crux: Je weiter man weggeht, desto mehr weiß man sein Zuhause wieder zu schätzen. Und doch besteht Michalke darauf, dass man nicht hängenbleiben sollte: „Tandern ist so klein, und man wird immer so wahrgenommen, wie man halt immer war. Wenn man sich verändert, sehen die Leute das nicht ein. Man wird immer wieder zurückgeworfen auf das, was man war. Da rennt man bei der ersten sich bietenden Gelegenheit natürlich so schnell und so weit, wie es geht. Das muss man machen. Sonst wird man schnell alt. glaube ich.“
Heile Welt? Rosenmüller hat ganz andere Dinge im Sinn: „Die .Beste Gegend‘ – das ist natürlich eine Metapher für einen paradiesischen Zustand, das Glück. Es geht um die Jagd nach dem Glück und die Hoffnung, dass das bestehen bleibt. Aber das gibt’s natürlich nicht mehr seit der Vertreibung aus dem Paradies, man muss sich den Glückszustand immer wieder erkämpfen… Es geht um den Satz, den Kati zu Jo sagt: Hast du auch manchmal so Angst, dass man gar nicht mehr weiß, wo man ist. dass man verloren ist? Es geht um archaische Fragen, die man beantworten möchte. Wenn einer meint, dass ich das Landleben idealisiere, muss er sich vielleicht mehr mit den Filmen beschäftigen. Oder mit mir.“
Marcus H. Rosenmüller kommt selbst aus einem kleinen Dorf – Hausham. deshalb das H. in seinem Namen. Seine eigenen besten Freunde bezeichnet er als „Lebensglück“. Kein Wunder, dass er sich gleich in diese Geschichte über das Erwachsenwerden auf dem Land verliebte: „Ich konnte mich gut hineinversetzen in das Thema. Mädel, Buam – das ist gar kein so großer Unterschied in dem Fall. Bei Gefühlen sind wir doch alle gleich, haben die gleichen Ängste, das ist vom Geschlecht unabhängig… Ich versuche einfach immer, Geschichten zu erzählen, die spannend sein könnten.
Als ich Karins Drehbuch gelesen habe, habe ich sofort gesagt: Ich mag diesen Film unbedingt machen! Das hat mir so aus der Seele gesprochen, dafür bin ich ihr wirklich ewig dankbar.“ Was beide auf den ersten Blick verbindet, ist die große Leidenschaft für ihre Projekte, eine unübersehbare Herzenswärme und das Fehlen von jeglichem Zynismus – für manchen Stadtbewohner mag das schwer zu fassen sein. Es ist auf jeden Fall der Grund, warum man das Kino mit einem wohligen Gefühl verlässt.
Bis nun der dritte Teil begonnen wird, müssen noch ein paar Monate vergehen, „damit die Schauspielerinnen erst mal wieder ein bisschen leben können. Ich weiß, worum es emotional gehen soll, aber mehr nicht“, behauptet Rosenmüller. Er hat gerade die Geschichte vom „Räuber Kneißl“ fertig gedreht, jetzt macht er sich an den Jugendfilm „Die Perlmutterfarbe“. Danach will er mit dem Team von „Wer früher stirbt…“ etwas Neues basteln: „Es wird Zeit, dass wir wieder angreifen und was Anarchistisches machen. Was Lustiges ohne Vorlage, einfach nur mit Mut.“ Erst 2009 soll dann „Beste Chance“ ins Kino kommen.
Michalke graut immer ein bisschen vor der „Stunde der Wahrheit“, wenn der Film zum ersten Mal gezeigt wird. Sie fühlt sich dann „wie ein Papierkügelchen. das gleich abgeschossen wird. Oder eben nicht“. Aber sind nicht aller guten Dinge drei — und wird die Angst nicht kleiner nach dem ersten Erfolg?
Nein, lächelt sie. solche Dinge ändern sich nie. Auch das lernt man an einem Ort wie Tandern: Man nimmt vielleicht die Unsicherheiten von früher überallhin mit, davon aufhalten lassen muss man sich nicht.