Tagträumereien

Daheim in Großbritannien sind sie die Attraktion der Saison. Nun erscheint das Debüt-Album von Glasvegas endlich in Deutschland.

Wer auf dem Dorf aufgewachsen ist und schlau war, mied bei Volksfesten den Autoscooter wie die Pest: schlechte Musik, ungehobelte Kerle, die unerklärlicherweise mit ihrem urzeitlichen Gehabe genau jene Mädchen beeindruckten, die man selbst nur aus der Ferne anschmachtete. Nicht gering war die Wahrscheinlichkeit, sich dort Ärger einzuhandeln, seiner ohnehin fragilen ^A^ürde verlustig zu gehen – zumindest aber ein Schleudertrauma davonzutragen. Nun aber ist es an der Zeit, den Autoscooter jenseits aller „junger Mann zum Mitreisen“-Klischees in einer idealisierten Fifties-Pastiche als romantischen Hort der Sehnsucht zu rehabilitieren. Die Songs der schottischen Band Glasvegas – allesamt vortrefflicher Autoscooter-Pop – nötigen uns dazu.

Auch wenn Glasvegas-Sänger James Allan sich vornehmlich mit sozialen Dramen auseinandersetzt. Zugleich ist der Mann nämlich ein unverbesserlicher Romantiker und großer Träumer, der noch stets der Versuchung erliegt, allzu Irdisches zu überhöhen, zu wattieren und mit einem Happy End zu versehen. Man könnte auch sagen: James Allan, ein stets ergriffen wirkender junger Mann, der ein bisschen so aussieht wie der junge Joe Strummer und seinen genuinen Akzent mit Stolz pflegt, strotzt dem sozialen Realismus der Arctic Monkeys mit einem cinemascopischen Gefühls-Konvolut aus haushohen Zuckerwatte-Bergen. Deshalb Glasvegas, natürlich eine Kombination aus Glasgow und Las Vegas.

Spitze Schuhe. Pomade. Tollen, schwarze Kleidung – es ist nicht nur der Style, der Vordenker Allan, seinen Cousin Rab (Gitarre) sowie Paul Donoghue (Bass) und die seit 2006 involvierte, Moe-Tucker-hafte Nicht-Drummerin Caroline Mc-Kay radikal von all jenen Bands der Post-Libertines-Jahre unterscheidet, die zuletzt einen lähmenden Innovationsstau im britischen Pop verursachten. Glasvegas sind auch so aufregend, weil sie mit ihrem aus der Zeit gefallenem Shoegazer-Rockabilly-Schmalz endlich eine andere Farbe ins Spiel bringen. Wären Mv Bloody Valentine eme Eddie-Cochran-Coverband mit Ronnie Bennett am Mikro gewesen, hätten sie vielleicht so geklungen wie diese Band.

Ob man das mag, entscheidet sich übrigens binnen kürzester Zeit, denn ihre Songs klingen im Prinzip alle gleich. Der Produzent Rieh Costey versuchte der Band bei der Produktion des selbstbetiteltes Debüt-Albums in New York eine Weile auszureden, alle Songs in der identischen Tonart zu spielen. Dabei verleiht genau das dieser Musik ein einzigartiges Moment. Zwar wurden die Schotten zunächst vor allem für ihre famosen Singles gelobt (die nun alle in Neueinspielungen auf dem Album sind), doch in Wahrheit ist „Glasvegas“ ein klares Bekenntnis zum Albumformat. Wer die ganze Vorgeschichte nicht kennt, nicht weiß, dass Alan McGee die Band bereits 2006 bei einem Konzert im Glasgower Club „King Tut’s“ entdeckte und seitdem keine Gelegenheit ungenutzt lässt. sie so lange anzupreisen, bis schließlich zuerst die Singles, ein ganzes Jahr später auch das Album in Großbritannien oberste Chart-Positionen erklommen, der wird kaum glauben, dass es sich etwa bei den perfekt ineinander fließenden „Geraldine“ und „It’s My Own Cheating Heart…“ nicht um ein und denselben Song handelt.

Seit einer ersten Demo-Sammlung mit dem Titel „Home Tapes“ schwirren Glasvegas nun schon durch Blogs und Magazine. Dass die Veröffentlichung des Debüts in Deutschland jener in Großbritannien nun einige Monate hinterherhinkt, hat vor diesem Hintergrund für Unmut gesorgt. Hierzu erklärt der zuständige Produkt-Manager, Daniel Kamps, er bemühe sich bereits seit über einem Jahr um Glasvegas, die Band sei aber nach dem unerwarteten Mega-Erfolg in der Heimat nicht verfügbar gewesen. Bis Kamps die Schotten endlich für Interviews und Konzerte nach Deutschland holen konnte, war das Album in England bereits veröffentlicht gewesen. Und ohne vernünftige Vorbereitung wollte er das Werk nicht auf den Markt bringen.“Trotzdem ist eine solche Vorgehensweise für uns unverständlich“, sagt James Allan in München.

Alle sind wichtig, schon klar, bla bla — aber im Prinzip inszeniert das ganze Drama tatsächlich nur dieser Mann. Und der ist so leicht nicht zu packen: Einerseits ein Tagträumer ohne feste Beschäftigung, der jahrelang mit Vorliebe alte Seifenopern im Fernsehen anschaute, war Allan andererseits bis vor dreijahren: Fußballprofi. Damals hörte er auf, weil er sich als Spieler nicht weiter entwickelte — was er heute als Wink des Schicksals bezeichnet. Viel lieber nämlich wollte er Songs schreiben, Geschichten erzählen. Die Zuversicht, dass er das auch kann, verdankt er Oasis, wie er sagt. „Gar nicht mal durch den direkten Einfluss ihrer Songs, sondern durch ihre Haltung, diese Attitüde des everything goes.“

Seitdem übersetzt er seine Tagträumereien eins zu eins in Songs, die die anderen Note für Note nachspielen. Wo die Ideen herkommen? „Keine Ahnung. George Best war ein genialer Fußballer, aber hätte er erklären können, was seine Genialität ausmacht? Und genau das macht für mich Rock’n’Roll und alle Kunst aus – dass es keine erklärbare Wissenschaft ist.“

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