Synkopenpredigt

Der orthodoxe Jude Matthew Miller alias Matisyahu bringt die Botschaft äußerst erfolgreich zu Reggae-Klängen unters Volk

Es waren drei Erfahrungen, die aus dem renitent aufsässigen, notorischen Dead-Head-Hippie Matthew Miller (1979 in Pennsylvania geboren) den hingegebenen orthodoxen Juden Matisyahu machten.

Die erste machte er während eines Camping-Trips in die menschenleere Einöde von Colorado, wo der damals 16jährige Sohn jüdischer Eltern die Leere des gottlosen Daseins im vollen Umfang begriff und die daraus folgenden Konsequenzen gründlich bedachte.

Der Schauplatz für die zweite Erfahrung war New York, Ende der Neunziger: Miller hatte eine Vorliebe für HipHop und Beat-Boxing entwickelt und fand in der künstlerfreundlichen, die meditativ-ekstatische Gottesbegegnung betonenden Synagoge Carlebach Shul (1940 vom Vater des jüdischen Folkers Shlomo Carlebach gegründet) einen Ort, an dem sich Musik und Spiritualität sehr nahestehen. „Natürlich ist das ein Thema, ob man gleichzeitig orthodoxer Jude sein und Reggae machen kann“, weiß Matisyahu. „In der Carlebach Shul ist man jedenfalls der Meinung, daß Gottes Gebote da keinen Widerspruch bilden. Ich sehe das genauso.“

Für die vollständige Bekehrung braucht es den dritten Moment, in dem Miller beim Spaziergang im Park zufällig einen Rabbi trifft und in einer Art Verklärung plötzlich seine Berufung erkennt. Seither heißt Matthew Matisyahu, trägt Bart, Hut und schwarzen Anzug. Und verbringt genauso viel Zeit auf der Bühne wie mit dem Studium der Tora und des Talmud. „Es ist schon verrückt, wie viele Türen sich im Moment öffnen“, freut sich Matisyahu über seinen Erfolg, „aber ich habe es nicht anders erwartet – wenn man sich im Willen Gottes bewegt, funktionieren die Dinge reibungslos.“

Der Wille Gottes ist es also, daß Matisyahu das korrekte jüdische Leben mit Reggae-Musik vielen Menschen näher bringt und seinen Herrn zum Off-Beat öffentlich preist. Die Wege des Herrn sind halt unergründlich.

Nach seinem doch eher marginalen Studiodebüt erschien Ende letzten Jahres Matisyahus übrigens sehr traditionell und kaum jüdisch klingender – Konzertmitschnitt „Live At Stubb’s“, der in allen möglichen Charts ganz oben stand und weitestgehend toll gefunden wird. Bei derartigem Zuspruch unterwirft sich auch ein Mann des Glaubens den Marktmechanismen: Matisyahu hat sein zweites Studiowerk, „Youth“, auch schon fertig, und das erscheint in Bälde.

Nun findet man Matisyahu natürlich vor allem deshalb so beachtenswert, weil er ein Kuriosum ist. Da fragen auch die Medien gerne mal näher nach und erfahren, daß man auf Tournee Mühe hat, an koscheres Essen zu kommen und daß stage diving nicht mehr geht, weil Matisyahu verheiratet ist und also keine Frau außer der eigenen berühren soll, nach Möglichkeit auch nicht aus Versehen. Zudem müssen die Damen des Background-Chors in Zukunft zu Hause bleiben, weil der Ehemann nur seine Frau beim Singen hören darf. Andere Reggae-Künstler nehmen es – der traditionellen Überlieferung nach Marley, Tosh, Perry und den anderen Propheten folgend – mit den Damen ja normalerweise nicht so genau.

„Das Ganze fühlt sich an wie ein Überraschungsangriff- wie ein Hund, der sich als Katze verkleidet“, erkennt auch Matisyahu, der übrigens sehr sanft spricht und sich im Interview kaum von einem „normalen“ Musiker unterscheidet, die Widersprüche seines Tuns, doch die stören ihn nicht. „Ich habe die Chance, den Menschen von den guten Dingen zu erzählen und das jüdische Leben näher zu bringen. Die Leute kommen nicht nur, weil ich so komisch aussehe. Sie kommen auch wegen der Nachricht, die ich überbringe.“

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