Swing-Vater Kuhn
Träte jetzt Philip Marlowe in den Raum, er würde schnell und diskret die Bleispritze im Zweireiher versenken, sich im Flüsterton einen Gin ordern und dann vergessen, ihn zu trinken. Das Lächeln des Charmeurs hinterm Piano nämlich spiegelt sich in den Gesichtern ringsum – und wer so lächelt, kann an nichts Böses denken. Wer weiß, womöglich hat Paul Kuhn so wie jetzt im „King Kamehameha“-Club von Offenbach- schon vor 54Jahren die amerikanischen Besatzer dazu gebracht, das Fraternisierungsverbot zu missachten und sich nicht für den drohenden Morgenthau-Plan („Agrarstaat Deutschland“) zu erwärmen.
Gespielt jedenfalls hat der – entgegen landläufiger Meinung – aus Wiesbaden und nicht aus Berlin stammende Musiker für die GI’s in Frankfurt, und eben deshalb muss Kuhn heute als einer der ersten genannt werden, wenn von der Rehabilitation des Swing nach dessen Verbannung durch die Nazis die Rede ist. Kuhn selbst erinnert sich seiner damaligen Glanztaten heute allerdings weniger als Politikum denn als lustvolles Aufatmen, „es gab einfach einen riesigen Nachholbedarf, denn diese Musik war ja noch bis zum Kriegseintritt der Amerikaner erlaubt und beliebt gewesen; die musste den Leuten ja nicht erst erklärt werden“.
Ihm sowieso nicht, denn Kuhn hatte sich bereits 1943 beim heimlichen Abhören der BBC infiziert, „die ersten Töne von Glenn Miller haben – auch wenn sich das abgegriffen anhört mein ganzes Leben bestimmt, und so waren die Nachkriegsjahre, in denen ich sicher als einer der ersten Deutschen in den Ami-Clubs spielen durfte, für mich nach der Musikhochschule das zweite Konservatorium. Wir wurden, schlicht ausgedrückt, zu einer verflucht heißen Kombo.“ Und er zum ersten festangestellten Musiker beim US-Soldatensender AFN. „Aber wir wussten natürlich, dass die Amis irgendwann gehen würden, und deshalb hab ich mich glücklicherweise rechtzeitig nach neuen Jobs umgesehen.“
Mit einem davon, in der Berliner „Femina-Bar“, begründete Kuhn seinen bundesdeutschen Ruhm – und kam zu erstem Wohlstand: „Für einen Musiker waren drei Mark pro Stunde der Satz, wir aber bekamen 80 Mark am Abend, weil der Laden ständig voll war. Wir fühlten uns wie die Könige.“ Das Einzige, was Kuhn und sein Quintett – darunter zeitweilig auch Hans „James“ Last und Max Greger nicht zu bieten hatten, war ein Swing deutscher Prägung, „weil es sowas einfach nicht gibt und geben kann. Wir Musiker waren damals alle, ohne Ausnahme, nur bedacht, möglichst schnell so zu spielen wie die US-Vorbilder. Die Tanzorchester, die damals einen deutschen Jazz für sich reklamierten, saßen einem Irrtum auf- und tun’s bis heute. Die dekorieren nur 80 Prozent Kommerzkram mit ein bisschen Jazz.“
Ein paar Jahre später geriet dann auch Kuhn ins Stolpern – auf der Karriereleiter nach oben, im Ansehen der Jazzfreunde geradewegs die Kellertreppe hinab. „Als ich ’54 Horst Lippmann mit ’nem dicken Buick beim Frankfurter Jazz-Festival vorfahren sah“, schmunzelt der 71-Jährige, „dachte ich nur: So einen will ich auch haben.“ Und weil die deutsche Plattenindustrie immer und immer wieder fragte, ob er denn nicht auch mal ein paar Verse auf deutsch singen könne, „hab ich halt nach einigem Zögern gesagt: ‚Gut, wenn’s sein muss‘.“ Seitdem ist Paul Kuhn, der exquisite Jazz-Pianist, für viele Fans nurmehr das Paulchen, der Mann am Klavier – noch ein Bier, noch ein Bier – und eben das gibt’s nun fast überall, bloß nicht auf Hawaii. Dafür aber kurvte Paulchen bald schon „in einem dicken Chevrolet Cabrio“ durch die Gegend „und vernachlässigte, offen gesagt, meinen geliebten Jazz sträflich“.
Wobei ihm die Öffentlich-Rechtlichen tatkräftig unter die Arme griffen. Sendungen wie „Hallo Paulchen“ und „Pauls Party“ halfen zwar das Konto und den Bekanntheitsgrad, kaum aber das Renommee zu kräftigen. Der TV-Präsenz weiß Kuhn dennoch ihre guten Seiten bis heute abzugewinnen, „denn immerhin konnte ich ab Leiter der SFB-Bigband den Leuten immer wieder auch ein paar Partikel guten Jazz verkaufen, den sie sich sonst doch niemals angehört hätten“.
Trotzdem kam für die vermutlich beste Swingband, die Deutschland je besessen hat, 1980 das Aus, „ich stand auf der Straße, verlor auch noch meinen Plattenvertrag, weil die Industrie sich auf den jungen Markt warf und jedem, der nicht singen konnte, aber gut aussah, nachlief. Und ich hatte erstmals Angst um den Jazz, der allmählich vom elektronischen Klingeln und Klimpern erstickt zu werden schien.“ Weil aber Paul Kuhn „die Hoffnung auf bessere „Zeiten nie aufgab“, darf sich der Veteran seit geraumer Zeit wieder über ein erstaunlich jugendliches Auditorium freuen. Zwar habe er „sogar in Zeiten, als ich mit Peter Alexander tourte und als Produzent einen Howard Carpendale miterfand“, seine Arbeit „mit Herz und Seele“ getan, nun jedoch gehe „ein Traum in Erfüllung: Ich kann wieder mit vernünftiger Musik mein Geld verdienen.“
Und die hat, sorry, mit fashionable Neo Swing – „von dessen Erfolg ich natürlich profitiere“- nur wenig zu tun. Als Kuhn mit seinem Trio unlängst im Jung Kamehameha“-Club sein neues Album „My World Of Music“ aufnahm, machte er sein Publikum vielmehr mit Klassikern von Gershwin, Ellington oder Irving Berlin bekannt – und mit einer fast vergessenen Tugend: Stil. Der fangt für Kuhn damit an, „dass ich meinjacket nie ausziehe, weil die Leute nicht für den Anblick eines verschwitzten Hemdes bezahlt haben“ – und er hört am Piano auf, „wo man mit wenigen Tönen Geschichten erzählen, mit der kompletten Tonleiter aber nur ein paar Dumme bluffen kann“.
So wie sein Bewunderer Götz Aismann, den Kuhn zwar einen „wirklich netten Menschen“ nennt, der aber „immer so flapsig am Piano sitzt und sich sagt: ‚Ach, das geht schon.‘ Diese Streuselkuchenmusik hört man an jeder Bat, und davon haben auch Aismann und einige seiner Kollegen was. Das soll nun keine… ja doch, das ist schon Kritik.“ Und die sollte sich mancher Neo-Swing-Enthusiast ruhig hinter die Ohren schreiben.