Sweetheart ist zurück
Grey DeLisle sucht in Songs nach dem Herzen alter Zeiten, während die Gegenwart Kompromisse will
Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung in Los Angeles. Auch wenn sich Grey DeLisle direkt aus dem Bett ans Telefon schleppt. Sie hat es so gewollt, nur hat ihr niemand übermittelt, dass dies der Morgen für das Gespräch sein würde. Macht nichts. 40 sehr aufgeweckte Minuten später wird sie sich für den „guten Start“ in den Tag bedanken.
Es ist ein Tag wie viele andere für die 30-jährige Sängerin und Songschreiberin. Um zehn Uhr steht der erste Job als Synchronsprecherin an, gefolgt von einer vierstündigen Cartoon-Nachmittagsschicht für Danny Soundso. „Ich liebe die Voice-Overs genauso wie die Musik“, sagt De Lisle und switcht übergangslos in ihre Kleinmädchenstimme in „Clifford The Big Red Dog“ über, gefolgt von einer Einlage als grantelnde Grandma Stuff Em aus „Kids Next Door“. Die Musik? Nach Feierabend, an den Wochenenden.
Erst „Homewrecker“ sicherte DeLisle vor zwei Jahren breitere Aufmerksamkeit Ein Album wie eine bestens bestückte Jukebox, bis hin zu den Latin-Einflüssen, die sie Eva Flores Ruth verdankt Ihre Oma sang sogar für Salsa-Legende Tito Puente und war der Rettungsanker einer turbulenten Kindheit Nach der Scheidung ergab sich ihre Mutter der Flasche, nur um derselben als Heiliger Geist wieder zu entsteigen. The Cure und Depeche Mode standen fortan auf dem Haus-Index der wiedergeborenen Christin, Make-up und Hosen ebenso. Grey DeLisle war wohl ein Kind von Traurigkeit, auch wenn das schwer mit der aufgekratzten Frau von heute in Einklang zu bringen ist. Für sie selbst ja oft auch nicht „Dann rieche oder höre ich etwas und werde sehr traurig, weil es mich an damals erinnert Ich denke: Meine Güte, muss ich übel drauf gewesen sein. Aber wenn du drinsteckst, merkst du gar nicht, wie traurig du bist“
Vielleicht sucht sie deshalb in den Old-Timey-Songs auf „Graceful Ghost“ so konsequent nach diesem Herzen, das „in eine andere Zeit zu gehören scheint“. Der Nachfolger soll wieder etwas moderner klingen, sie schreibe gerade „Kinksy“-Songs. „Aber bei mir klingen sie eher wie die Kinks aus den Appalachen.“ Ein Lachen, das Morgenmuffel ins Bett zurücktreibt „Graceful Ghost“ war ihr Debüt bei Sugar Hill. Die „New York Times“ hat nun über sie geschrieben, sie trat in großen TV-Shows auf, „das wäre sonst nicht passiert“. Einerseits. Andererseits geht es finanziell schlechter als zuvor, als sie ihr eigenes Label hatte. CDs für den Konzertverkauf muss sie für sieben Dollar das Stück einkaufen, über eine Vinyl-Auflage von „Graceful Ghost“ lange verhandeln. „Ich habe das Gefühl, dass ich Freiheit verloren habe“, resümiert Grey DeLisle ihren Schritt ins etwas größere Musikgeschäft Kurz nach unserem Interview kommt dann die Meldung, dass sie ihren ersten Deutschland-Besuch abgesagt hat. Das Cartoon-Network drohte mit Entlassung, falls DeLisle die große Europa-Tour antreten sollte. Sie hat sich für den Job entschieden. Und gegen mehr Musik. Damit ihre Welt weiterhin in Ordnung ist, morgens um sieben in Los Angeles. Auch wenn sie von Journalisten aus dem Schlaf geklingelt wird.