Surreale Erfahrungen
Im Kosovo nahmen THE STRANGLERS ihr Iive-Album auf. Musikalisches Neuland betreten sie allerdings nicht.
Die Stranglers machen seit nun einer Dekade nur noch das, was sie nicht kennen. „Ich bin nicht an dem dran geblieben, was an Neuem in der Musikwelt passiert“, sagt JJ Burnel, „es ist das Neue, das immer an mir dran bleibt.“
Der Stranglers-Veteran ist für ein paar Tage unterwegs, um das Doppelalbum „The Siranglers L ive “ zu promoten. Der im vergangenen Jahr getätigte Mitschnitt präsentiert den obligaten Überblick über 25 Jahre Schaffen der britischen Museumskapelle – Neues gibt’s da nur begrenzt zu erleben. „Es erscheint uns richtig, alle paar Jahre das jeweils letzte Kapitel unserer Historie mit einem Live-Album zu dokumentieren“, erläutert Burnel. Das letzte dieser Kapitel umfasst nicht mehr viele Seiten; die Stranglers machen sich seit einer Dekade rar und versuchen seit dem Ausstieg von Vordenker Hugh Cornwell dieses und jenes, ohne dabei kommerzielle oder künstlerische Großtaten hervorzubringen. Doch nur der ferne Beobachter, erklärt mir Burnel, deutet das als den langen Anfang vom Ende.
„1990 war eine gottgegebene Möglichkeit, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten“, erläutert er. Jetzt machen wir nur noch Sachen, die für uns Neuland bedeuten und die Stranglers nicht zu einem bloßen Job verkommen lassen.“ Auf eben solchem Neuland ist ein Großteil besagten Live-Albums entstanden: Zur kulturellen Erbauung der NATO-Truppen im Kosovo gaben die Stranglers einige Konzerte in Pristina. „Eine vollkommen surreale Erfahrung“, berichtet Burnel., JDie Soldaten müssen auch bei solchen Veranstaltungen immer ihre Waffen tragen und haben im Laufe des Abends dann angefangen, um ihre Maschinenpistolen herum zu tanzen.“
Ahnliche Erfahrungen haben die Stranglers in Bosnien gemacht Lapidarer Kommentar dazu: „Da haben die Leichen noch gestunken.“ Gibt’s die Band denn in Zukunft nur noch in Krisengebieten zu sehen? „Man kann sich das Interesse an dem, was man tut, ja nur erhalten, wenn man sich aus dem Vakuum immer gleicher Situationen heraus bewegt“, belehrt Burnel, und erzählt mir dann von einem anderen Unternehmen, das ihm dabei hilft, die Lust an der eigenen Kreativität zu erhalten.
Die Idee ist nicht neu, aber Burnel ist begeistert von der bloßen Vorstellung: „Ich gehe bald auf eine Tournee durch britische Pubs – nur mit meiner Gitarre. Ich brauche das einfach zum Überleben. Man lernt ja nichts, wenn man immer nur Austausch mit denselben Menschen hat.“ Zur Illustration greift Burnel zur Gitarre und singt ein altes Lied der Stranglers vor, das vielleicht mal ein Hit war, dessen Titel mir aber nicht bekannt vorkommt. „Erkennst du’s jetzt?“, fragt er zwischen den Strophen. Ja, jetzt erkenn ich’s“, sage ich peinlich berührt, aber das ist gelogen.